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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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das nicht unmittelbar, sondern auf dem Umwege der Sehnsucht, der Ahnung, der
Reflexion in den Kreis des religiösen Lebens eingetreten ist. Der Rationalismus,
den Uhlich und seine Anhänger vertreten, ist formell und theoretisch von dem al¬
ten nicht wesentlich verschieden, aber er ist durch seine praktische Stellung, in die
seine Gegner ihn hineingedrängt haben, auch in seinem Inhalt verändert.

Ehe ich auf diesen inneren Umschwung näher eingehe, muß ich eiuer Persön¬
lichkeit gedenken, die an sich merkwürdig genug, hauptsächlich aber für die Cha¬
rakteristik der modernen Gegensätze von Wichtigkeit ist. In der Regel hat jede
Universität ihren Löwen, ihr Original, das mit der ursprünglichen, genialen
Energie seines particulären Wesens als eine in sich abgerundete Erscheinung ein
gewisses pikantes Interesse erregt. Unser Löwe nun ist unstreitig Heinrich Leo,
Professor der Geschichte, Doctor beider Rechte, Mitarbeiter an der Evangelischen
Kirchenzeitung, Feind der Aufklärung, für die er den Namen "Aufkläricht" erfunden
hat, Feind der Gerechtigkeit, "die wir an uns selbst haben," Feind der Freiheit,
Feind der ganzen neuen Zeit, und Zelot für die ursprüngliche Reinheit des göttlichen
Wesens, das sich noch nicht durch die Vermischung mit der Natur und der Geschichte
verunreinigt hat. Er gehört der romantischen Genialität an, die nicht denken, sondern
inspirirt werden, nicht in den Ernst des praktischen Lebens, der sittlichen Verhältnisse
aufgehen, sondern der schönen Seele ein apartes Gebiet vindiciren wollte. Er that
sich beim Beginn seiner akademischen Laufbahn mit den jungen Hegelianern zusammen,
die rationalistischen "Philister" zu scandalistren, und setzte der ehrsamen Spießbür-
gerlichkeit des gemeinen Verstandes die Ueberschwenglichkeit einer besonderen Bega¬
bung entgegen. Diese Ueberschwenglichkeit ging auch in das praktische Leben über,
und nicht umsonst hat der romantische Rückschrittsmann gegen die sittliche Befreiung
des Menschengeschlechts die Confesstonen des heiligen Augustin studirt, den die
Sünde zu Gott führte, und dem viel vergeben wurde, weil er viel geliebt hatte.

Von seinen historischen Schriften haben mit Ausschluß seiner gelehrten For¬
schungen in der altdeutschen Sprache und dem altdeutschen Recht, die ihm auch
den juristischen Doctorhut erwarben, namentlich drei Werke Aufsehn gemacht: Zwölf
Bücher niederländischer Geschichte, die Geschichte von Italien und die
allgemeine Geschichte. Jeder Mensch hat auch für sein Gemüth und seine Gesin¬
nung eine besondere geistige Heimath, von der aus er die Stürme der Naturnoth¬
wendigkeit und der Geschichte mit objectiver Sammlung betrachtet. Leo hat sich
um Mittelalter diese Heimath erworben, vielleicht weil es die einzige Zeit ist, die
er ordentlich studirt hat, denn auch für das geistloseste Zeitalter gewinnt man In¬
teresse und sogar eine gewisse Liebe, wenn man sich mit Andacht in das Detail
vertieft. Leo hat mit großer Aufmerksamkeit die geheimen Regungen des bürgerlichen
und feudalen Lebens jener Zeit verfolgt, und bei seinem glücklichen Instinkt --
den er nur "le zur wissenschaftlichen Klarheit erhoben hat, weil er jede Schule ver¬
schmähte -- die blendendsten Combinationen aufgefunden, die zuweilen eine über-


das nicht unmittelbar, sondern auf dem Umwege der Sehnsucht, der Ahnung, der
Reflexion in den Kreis des religiösen Lebens eingetreten ist. Der Rationalismus,
den Uhlich und seine Anhänger vertreten, ist formell und theoretisch von dem al¬
ten nicht wesentlich verschieden, aber er ist durch seine praktische Stellung, in die
seine Gegner ihn hineingedrängt haben, auch in seinem Inhalt verändert.

Ehe ich auf diesen inneren Umschwung näher eingehe, muß ich eiuer Persön¬
lichkeit gedenken, die an sich merkwürdig genug, hauptsächlich aber für die Cha¬
rakteristik der modernen Gegensätze von Wichtigkeit ist. In der Regel hat jede
Universität ihren Löwen, ihr Original, das mit der ursprünglichen, genialen
Energie seines particulären Wesens als eine in sich abgerundete Erscheinung ein
gewisses pikantes Interesse erregt. Unser Löwe nun ist unstreitig Heinrich Leo,
Professor der Geschichte, Doctor beider Rechte, Mitarbeiter an der Evangelischen
Kirchenzeitung, Feind der Aufklärung, für die er den Namen „Aufkläricht" erfunden
hat, Feind der Gerechtigkeit, „die wir an uns selbst haben," Feind der Freiheit,
Feind der ganzen neuen Zeit, und Zelot für die ursprüngliche Reinheit des göttlichen
Wesens, das sich noch nicht durch die Vermischung mit der Natur und der Geschichte
verunreinigt hat. Er gehört der romantischen Genialität an, die nicht denken, sondern
inspirirt werden, nicht in den Ernst des praktischen Lebens, der sittlichen Verhältnisse
aufgehen, sondern der schönen Seele ein apartes Gebiet vindiciren wollte. Er that
sich beim Beginn seiner akademischen Laufbahn mit den jungen Hegelianern zusammen,
die rationalistischen „Philister" zu scandalistren, und setzte der ehrsamen Spießbür-
gerlichkeit des gemeinen Verstandes die Ueberschwenglichkeit einer besonderen Bega¬
bung entgegen. Diese Ueberschwenglichkeit ging auch in das praktische Leben über,
und nicht umsonst hat der romantische Rückschrittsmann gegen die sittliche Befreiung
des Menschengeschlechts die Confesstonen des heiligen Augustin studirt, den die
Sünde zu Gott führte, und dem viel vergeben wurde, weil er viel geliebt hatte.

Von seinen historischen Schriften haben mit Ausschluß seiner gelehrten For¬
schungen in der altdeutschen Sprache und dem altdeutschen Recht, die ihm auch
den juristischen Doctorhut erwarben, namentlich drei Werke Aufsehn gemacht: Zwölf
Bücher niederländischer Geschichte, die Geschichte von Italien und die
allgemeine Geschichte. Jeder Mensch hat auch für sein Gemüth und seine Gesin¬
nung eine besondere geistige Heimath, von der aus er die Stürme der Naturnoth¬
wendigkeit und der Geschichte mit objectiver Sammlung betrachtet. Leo hat sich
um Mittelalter diese Heimath erworben, vielleicht weil es die einzige Zeit ist, die
er ordentlich studirt hat, denn auch für das geistloseste Zeitalter gewinnt man In¬
teresse und sogar eine gewisse Liebe, wenn man sich mit Andacht in das Detail
vertieft. Leo hat mit großer Aufmerksamkeit die geheimen Regungen des bürgerlichen
und feudalen Lebens jener Zeit verfolgt, und bei seinem glücklichen Instinkt —
den er nur «le zur wissenschaftlichen Klarheit erhoben hat, weil er jede Schule ver¬
schmähte — die blendendsten Combinationen aufgefunden, die zuweilen eine über-


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[0467] das nicht unmittelbar, sondern auf dem Umwege der Sehnsucht, der Ahnung, der Reflexion in den Kreis des religiösen Lebens eingetreten ist. Der Rationalismus, den Uhlich und seine Anhänger vertreten, ist formell und theoretisch von dem al¬ ten nicht wesentlich verschieden, aber er ist durch seine praktische Stellung, in die seine Gegner ihn hineingedrängt haben, auch in seinem Inhalt verändert. Ehe ich auf diesen inneren Umschwung näher eingehe, muß ich eiuer Persön¬ lichkeit gedenken, die an sich merkwürdig genug, hauptsächlich aber für die Cha¬ rakteristik der modernen Gegensätze von Wichtigkeit ist. In der Regel hat jede Universität ihren Löwen, ihr Original, das mit der ursprünglichen, genialen Energie seines particulären Wesens als eine in sich abgerundete Erscheinung ein gewisses pikantes Interesse erregt. Unser Löwe nun ist unstreitig Heinrich Leo, Professor der Geschichte, Doctor beider Rechte, Mitarbeiter an der Evangelischen Kirchenzeitung, Feind der Aufklärung, für die er den Namen „Aufkläricht" erfunden hat, Feind der Gerechtigkeit, „die wir an uns selbst haben," Feind der Freiheit, Feind der ganzen neuen Zeit, und Zelot für die ursprüngliche Reinheit des göttlichen Wesens, das sich noch nicht durch die Vermischung mit der Natur und der Geschichte verunreinigt hat. Er gehört der romantischen Genialität an, die nicht denken, sondern inspirirt werden, nicht in den Ernst des praktischen Lebens, der sittlichen Verhältnisse aufgehen, sondern der schönen Seele ein apartes Gebiet vindiciren wollte. Er that sich beim Beginn seiner akademischen Laufbahn mit den jungen Hegelianern zusammen, die rationalistischen „Philister" zu scandalistren, und setzte der ehrsamen Spießbür- gerlichkeit des gemeinen Verstandes die Ueberschwenglichkeit einer besonderen Bega¬ bung entgegen. Diese Ueberschwenglichkeit ging auch in das praktische Leben über, und nicht umsonst hat der romantische Rückschrittsmann gegen die sittliche Befreiung des Menschengeschlechts die Confesstonen des heiligen Augustin studirt, den die Sünde zu Gott führte, und dem viel vergeben wurde, weil er viel geliebt hatte. Von seinen historischen Schriften haben mit Ausschluß seiner gelehrten For¬ schungen in der altdeutschen Sprache und dem altdeutschen Recht, die ihm auch den juristischen Doctorhut erwarben, namentlich drei Werke Aufsehn gemacht: Zwölf Bücher niederländischer Geschichte, die Geschichte von Italien und die allgemeine Geschichte. Jeder Mensch hat auch für sein Gemüth und seine Gesin¬ nung eine besondere geistige Heimath, von der aus er die Stürme der Naturnoth¬ wendigkeit und der Geschichte mit objectiver Sammlung betrachtet. Leo hat sich um Mittelalter diese Heimath erworben, vielleicht weil es die einzige Zeit ist, die er ordentlich studirt hat, denn auch für das geistloseste Zeitalter gewinnt man In¬ teresse und sogar eine gewisse Liebe, wenn man sich mit Andacht in das Detail vertieft. Leo hat mit großer Aufmerksamkeit die geheimen Regungen des bürgerlichen und feudalen Lebens jener Zeit verfolgt, und bei seinem glücklichen Instinkt — den er nur «le zur wissenschaftlichen Klarheit erhoben hat, weil er jede Schule ver¬ schmähte — die blendendsten Combinationen aufgefunden, die zuweilen eine über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/467>, abgerufen am 22.07.2024.