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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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stand. Wiege ist hier natürlich eine Metapher; es ist die ritterlich mystische Ju¬
gend, die sich um Fouque sammelte, diesen Bayard der modernen Poesie; eine
Jugend, die den geheimnißvollen "Zauberring " besaß, der sie über alles Ge¬
wöhnliche in den Kreis der gazelleuäugige" blonden Ideale erhob. Ihre Poesie
war eine ttudinc, die in der Vermählung mit dem Realismus des Lebens eine
Seele suchte, sie aber nicht sand, weil der Realismus sein mondscheinartiges Lieb¬
chen verschmähte. Friedländer hat die sonderbaren Bockssprünge, mit denen seine
alten Freunde gegen das Gespenst des Radicalismus anrückten, nicht mitgemacht;
er ist eine friedliche Natur, die den ästhetischen universellen Sinn, die unendliche
Receptivität, die Ruhe des gebildeten Genußlebcus und die gelinde Ironie gegen
die Ideen der Menschenverbesscrung allein ans dem Schiffbruch der romantischen
Schule gerettet hat. Seine einsame Wohnung ist im Umkreis unserer Lehmhütten
das Asyl aller Knnstliebhaberci und aller Eleganz.

Aber wenn es uns Ernst ist mit unserer Geschäftigkeit für die Gattung, so
dürfen wir uns auf das Materielle der leiblichen Gesundheit nicht beschränken;
Galenus ist nicht der einzige Heilige, der in unseren Mauern verehrt wird, der
ideale Theil der menschlichen Seele findet ebenso sein Recht. Es war zwar eins
der Hauptlicder des alten Nationalismus: deö Leibes warten und ihn nähren, das
ist, o Schöpfer, meine Pflicht! Aber gegen dies sinnliche Treiben hat sich ja
eben der Spiritualismus unserer neumodischen Theologie gewendet. Ist Gott
transcendere oder immanent? ist er jenseits der Natur oder in ihr? das ist die
große Frage, die nicht erst seit den Zeiten der "Jahrbücher" von unseren Denkern
bentilirt wird. Als die lutherische Theologie in hohler Wortglänbigkeit verknö¬
cherte, war es Halle, wo die Reaction des sündenbewnßten und erlösnngSbedürs-
tigen Herzens in der jeht so verrufenen Form des Pietismus ausbrach; eine
Form, deren innere Krankhaftigkeit wir keinen Augenblick verkennen wollen, die
aber einmal in der Aeußerlichkeit der herrschenden Orthodoxie ihre geschichtliche
Berechtigung fand, und die ans der anderen Seite grade bei uns zu Werken der
christlichen Liebe geführt hat, die denn doch zeigen, daß auch die abstracto Inner¬
lichkeit des Pietismus nicht unbedingt unprodnctiv war. Die prächtige Anstalt
des Waisenhauses, so wenig sie auch in all' ihren Formen mit dem modernen Zeit-
bewußtsein im Einverständniß stehen mag, ist doch eins der edelsten Denkmale,
die der christliche Sinn sich gesetzt hat, und wenn wir dem alten ehrlichen Franke
keineswegs in seine" snpcrnaturalistischen Theorieen über die Verworfenheit der
Natur folge" können, so müssen wir doch zugestehen, daß er el" aufrichtig from¬
mer Christ und ein ächter Menschenfreund war -- das pai-coque oder "jun^ne ist
dabei Nebensache. ES war unsere Stadt, in der Thomasius seine energische
Stimme gegen den ""heiligen Glauben a" das Reich des Teufels, gegc" de"
Aberwih und die Verruchtheit der Hereuproeesse erschallen ließ. Es war Halle,
welches der Mittelpunkt des philosophischen Nationalismus wurde. Wenn Wolf


stand. Wiege ist hier natürlich eine Metapher; es ist die ritterlich mystische Ju¬
gend, die sich um Fouque sammelte, diesen Bayard der modernen Poesie; eine
Jugend, die den geheimnißvollen „Zauberring " besaß, der sie über alles Ge¬
wöhnliche in den Kreis der gazelleuäugige» blonden Ideale erhob. Ihre Poesie
war eine ttudinc, die in der Vermählung mit dem Realismus des Lebens eine
Seele suchte, sie aber nicht sand, weil der Realismus sein mondscheinartiges Lieb¬
chen verschmähte. Friedländer hat die sonderbaren Bockssprünge, mit denen seine
alten Freunde gegen das Gespenst des Radicalismus anrückten, nicht mitgemacht;
er ist eine friedliche Natur, die den ästhetischen universellen Sinn, die unendliche
Receptivität, die Ruhe des gebildeten Genußlebcus und die gelinde Ironie gegen
die Ideen der Menschenverbesscrung allein ans dem Schiffbruch der romantischen
Schule gerettet hat. Seine einsame Wohnung ist im Umkreis unserer Lehmhütten
das Asyl aller Knnstliebhaberci und aller Eleganz.

Aber wenn es uns Ernst ist mit unserer Geschäftigkeit für die Gattung, so
dürfen wir uns auf das Materielle der leiblichen Gesundheit nicht beschränken;
Galenus ist nicht der einzige Heilige, der in unseren Mauern verehrt wird, der
ideale Theil der menschlichen Seele findet ebenso sein Recht. Es war zwar eins
der Hauptlicder des alten Nationalismus: deö Leibes warten und ihn nähren, das
ist, o Schöpfer, meine Pflicht! Aber gegen dies sinnliche Treiben hat sich ja
eben der Spiritualismus unserer neumodischen Theologie gewendet. Ist Gott
transcendere oder immanent? ist er jenseits der Natur oder in ihr? das ist die
große Frage, die nicht erst seit den Zeiten der „Jahrbücher" von unseren Denkern
bentilirt wird. Als die lutherische Theologie in hohler Wortglänbigkeit verknö¬
cherte, war es Halle, wo die Reaction des sündenbewnßten und erlösnngSbedürs-
tigen Herzens in der jeht so verrufenen Form des Pietismus ausbrach; eine
Form, deren innere Krankhaftigkeit wir keinen Augenblick verkennen wollen, die
aber einmal in der Aeußerlichkeit der herrschenden Orthodoxie ihre geschichtliche
Berechtigung fand, und die ans der anderen Seite grade bei uns zu Werken der
christlichen Liebe geführt hat, die denn doch zeigen, daß auch die abstracto Inner¬
lichkeit des Pietismus nicht unbedingt unprodnctiv war. Die prächtige Anstalt
des Waisenhauses, so wenig sie auch in all' ihren Formen mit dem modernen Zeit-
bewußtsein im Einverständniß stehen mag, ist doch eins der edelsten Denkmale,
die der christliche Sinn sich gesetzt hat, und wenn wir dem alten ehrlichen Franke
keineswegs in seine» snpcrnaturalistischen Theorieen über die Verworfenheit der
Natur folge» können, so müssen wir doch zugestehen, daß er el» aufrichtig from¬
mer Christ und ein ächter Menschenfreund war — das pai-coque oder «jun^ne ist
dabei Nebensache. ES war unsere Stadt, in der Thomasius seine energische
Stimme gegen den »»heiligen Glauben a» das Reich des Teufels, gegc» de»
Aberwih und die Verruchtheit der Hereuproeesse erschallen ließ. Es war Halle,
welches der Mittelpunkt des philosophischen Nationalismus wurde. Wenn Wolf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/465>, abgerufen am 25.08.2024.