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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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einmal in Frieden mehr auf die Mensur gehen. Wir wollen artig sein, und fin's
Wohl unserer Mitmenschen nach Kräften wirken.

Wo könnten wir das besser, als am Siechbett der Nothleidenden! Wir wol¬
len mit Blasius schneiden, schneiden und immer schneiden, Kröpfe, Wasscrbäuche
und was es sei! und thut einem Patienten nur der Finger weh, wir schneiden ihn
ab, wir wollen kein Glied, das uns ärgert. Mag Erde und Himmel untergehen,
die Chirurgie behauptet ihr Recht. Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg. Bla¬
sius Nuhm liegt weniger in dein zweifelhaften Glück seiner Operationen selbst,
als in der Virtuosität und Unermüdlichfeit, mit welcher er "Modifikationen" chi¬
rurgischer Instrumente erfindet. Es gibt kein Skalpicrmesser, das von ihm nicht
modificirt wäre. Dabei ist die Rücksicht anerkennenSwerth, mit der er eS vermei¬
det, sich seiner Modifikationen zu bedienen; Menschenliebe ist überall zu lobe".--
Oder besser, wir machen eine Visite in Pctersruh, und lassen uus für die Klinik
anwerben. Der alte Peter Krukenberg wird uns zwar mitunter einige Dinge
zu hören geben, die das erwachte Selbstbewußtsein eines Secundaners, der zum
ersten Mal mit "Sie" angeredet wird, schwerlich in dem freien Leben eines voll-
kommnen Studenten vermuthet haben würde -- aber wir lassen uus mit der Zeit
auch Grobheiten gefallen, wenn sie witzig sind, und wenn sie aus einem guten
Herzen kommen. Der alte Krukenberg war unser Ideal -- ich meine uns Klini-
cisten, die wir ans allen Weltgegenden zusammengewebt, hier einen Staat im
Staate, ein (juen-dier Indi" im (er-n-eier mein bildeten; wir dichten uns mit den
anderen Studenten nicht, wir gingen in der Regel nur als Paukärzte auf die Men¬
sur, wir unterhielten uns in unseren Gelagen über die Beschaffenheit des Uterus
und die Fortschritte der medicinischen Wissenschaft; wir untersuchten mikroskopisch
die Beschaffenheit des Blutes und die Urform der Spinneneier. Jeder von uns
hatte eine umfangreiche Praxis unter den Barfüßern der Winkelgasscn, die uns
zwar kein irdisches Gut und Geld, aber einen sicheren Anspruch an himmlische
Gaben eintrug. Und man muß gestehen, die edlen Proletarier haben ihren Scla¬
ven gegenüber ihre Launen und Einfälle so gut als die Saloudamcu, die an Mi¬
gräne leiden; wenn ein Bübchen sich die Nase wund gestoßen hat, so werden wir
aus unserer nächtlichen Ruhe aufgeläutet, und wehe dem Säumigen! Ein legiti¬
mer Kunde ist ein strenger Kritiker. Wir lernten übrigens unserem "Peter" nicht
blos seine wissenschaftliche!: Ansichten ab, nicht nur die Ironie gegen alle Ideolo¬
gen, wir machten es ihm auch nach, wie er sich räuspert und wie er spuckt. Das
Krukeubcrgische ist ein eigener Dialekt, an den sich anch die "Kümmeltürken"
allmälig gewöhnen müssen. Wollen wir uns aber neben praktischer Befähigung
auch einen idealistischen Anstrich erwerben, so gehen wir zu Friedländer
in's Colleg, und hören einen Vortrag über die Jpecacuanha a", ein Medica-
ment, dessen Name schon durch seineu träumerische" Anstrich an das alte ro¬
mantische Land erinnert, auf dem unseres geistreichen, poetischen Mediciners Wiege


einmal in Frieden mehr auf die Mensur gehen. Wir wollen artig sein, und fin's
Wohl unserer Mitmenschen nach Kräften wirken.

Wo könnten wir das besser, als am Siechbett der Nothleidenden! Wir wol¬
len mit Blasius schneiden, schneiden und immer schneiden, Kröpfe, Wasscrbäuche
und was es sei! und thut einem Patienten nur der Finger weh, wir schneiden ihn
ab, wir wollen kein Glied, das uns ärgert. Mag Erde und Himmel untergehen,
die Chirurgie behauptet ihr Recht. Stirbt der Fuchs, so gilt der Balg. Bla¬
sius Nuhm liegt weniger in dein zweifelhaften Glück seiner Operationen selbst,
als in der Virtuosität und Unermüdlichfeit, mit welcher er „Modifikationen" chi¬
rurgischer Instrumente erfindet. Es gibt kein Skalpicrmesser, das von ihm nicht
modificirt wäre. Dabei ist die Rücksicht anerkennenSwerth, mit der er eS vermei¬
det, sich seiner Modifikationen zu bedienen; Menschenliebe ist überall zu lobe».—
Oder besser, wir machen eine Visite in Pctersruh, und lassen uus für die Klinik
anwerben. Der alte Peter Krukenberg wird uns zwar mitunter einige Dinge
zu hören geben, die das erwachte Selbstbewußtsein eines Secundaners, der zum
ersten Mal mit „Sie" angeredet wird, schwerlich in dem freien Leben eines voll-
kommnen Studenten vermuthet haben würde — aber wir lassen uus mit der Zeit
auch Grobheiten gefallen, wenn sie witzig sind, und wenn sie aus einem guten
Herzen kommen. Der alte Krukenberg war unser Ideal — ich meine uns Klini-
cisten, die wir ans allen Weltgegenden zusammengewebt, hier einen Staat im
Staate, ein (juen-dier Indi» im (er-n-eier mein bildeten; wir dichten uns mit den
anderen Studenten nicht, wir gingen in der Regel nur als Paukärzte auf die Men¬
sur, wir unterhielten uns in unseren Gelagen über die Beschaffenheit des Uterus
und die Fortschritte der medicinischen Wissenschaft; wir untersuchten mikroskopisch
die Beschaffenheit des Blutes und die Urform der Spinneneier. Jeder von uns
hatte eine umfangreiche Praxis unter den Barfüßern der Winkelgasscn, die uns
zwar kein irdisches Gut und Geld, aber einen sicheren Anspruch an himmlische
Gaben eintrug. Und man muß gestehen, die edlen Proletarier haben ihren Scla¬
ven gegenüber ihre Launen und Einfälle so gut als die Saloudamcu, die an Mi¬
gräne leiden; wenn ein Bübchen sich die Nase wund gestoßen hat, so werden wir
aus unserer nächtlichen Ruhe aufgeläutet, und wehe dem Säumigen! Ein legiti¬
mer Kunde ist ein strenger Kritiker. Wir lernten übrigens unserem „Peter" nicht
blos seine wissenschaftliche!: Ansichten ab, nicht nur die Ironie gegen alle Ideolo¬
gen, wir machten es ihm auch nach, wie er sich räuspert und wie er spuckt. Das
Krukeubcrgische ist ein eigener Dialekt, an den sich anch die „Kümmeltürken"
allmälig gewöhnen müssen. Wollen wir uns aber neben praktischer Befähigung
auch einen idealistischen Anstrich erwerben, so gehen wir zu Friedländer
in's Colleg, und hören einen Vortrag über die Jpecacuanha a», ein Medica-
ment, dessen Name schon durch seineu träumerische« Anstrich an das alte ro¬
mantische Land erinnert, auf dem unseres geistreichen, poetischen Mediciners Wiege


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/464>, abgerufen am 22.07.2024.