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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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allein es kam alles darauf an, wer siegen würde, ob die Opposition oder die Regierung.
siegte letztere, so war die Staatseinheit hergestellt, welche Joseph II. angestrebt.

Der gegenwärtige Reichstag hat diese Sachlage gänzlich verändert, denn die öster¬
reichische Regierung hat in Betreff Ungarns ihren Grundsatz geändert. Dieselbe Regie¬
rung, die in Wien rücksichtslos absolut herrscht, tritt in Presburg entschieden constitu-
tionell auf, bringt das, was bisher die Opposition gewollt, als königliche Gesctzvor-
schlcige zur Berathung, stellt sich somit an die Spitze der Reformbewegung. Wer dies
wichtige Ereignis) aufmerksam betrachtet, der kauu leicht zu der Behauptung gedrängt
werden, daß durch die jetzige Erhebung Ungarns die Halbirnng der österreichischen Mo¬
narchie nicht blos vorbereitet, sondern bereits, im Princip wenigstens, entschieden sei.
Und sie ist dies in der That, wenn nicht in der andern Hälfte von der Negierung
und von den Ständen zu einer der ungarischen, wenigstens ähnlichen Erhebung ge¬
schritten wird.

Diejenigen, welche die österreichischen Zustände nnr flüchtig und oberflächlich be¬
trachten, werden dieser unserer Darstellung den Negierungsautrag auf Wegräumung des
ungarischen Zolles entgegenhalten und darin die künftige Einigung Ungarns und Oester¬
reichs preisen. Besagter Antrag ist nun an und sür sich allerdings ein höchst dankens-
werther und längst ersehnter, aber er ist nicht entscheidend, denn die Trennung Ungarns
von Oesterreich ist, wie gesagt, keine blos äußere, sondern eine innere principielle. Die
Art und Weise aber, wie jener Antrag gemacht wurde, läßt diese innere Trennung nur
noch schroffer hervortreten. Die Regierung will nämlich die Zollschranken durch consti-
tutionelle Uebereinkunft mit den Ungarn wegräumen, den Oesterreichern aber soll dies
eine Verfügung des unumschränkten Absolutismus sei". Konnte jener Antrag wirklich
durchgeführt werden, so würden noch immer die Vortheile der materiellen Einigung die
Nachtheile des fortdauernden und gesteigerten principiellen Zwiespaltes nicht überwältigen.

Erstlich können die Ungarn so lange nicht gut österreichisch gesinnt sein, als
Oesterreich als solches absolut monarchisch bleibt, so lange die Negierung in Oesterreich
dasselbe Staatsprincip verdammt, welches sie in Ungarn beschwört. Diese an sich klare
Wahrheit hat die ungarische Opposition in ihrem diesjährigen Programm ausdrücklich
hervorgehoben, sie hat die Negierung aufgefordert, in allen ihren Ländern nach ver-
nunstrechtlich freisinnigen Grundsätzen zu regieren und so das alte Mißtrauen der Un¬
garn, ihre wohlbegründete Furcht für ihre constitutionelle Freiheit zu beseitigen. Diese
Furcht wird aber nicht beseitigt, sondern gesteigert, wenn die Einigung Ungarns mit
Oesterreich für dieses ein Act absoluter Gewalt sein soll. Fallen also ans solche Art
auch die Zollschranken, so wird das Mißtrauen der Ungarn einerseits und die Unzu¬
friedenheit und politische Scham der Oesterreicher andererseits eine viel feindlichere
Scheidewand bilden. Dies wird in um so höherem Grade der Fall sein, als die Re¬
gierung, während sie durch diesen Act in Ungarn verfassungsmäßig auftritt, in Oester¬
reich die bestehende Verfassung geradezu bricht.

Die Zollschranken gegen Ungarn sind nämlich hauptsächlich zum Schutz der öster¬
reichischen Agricultur aufgestellt, weil sonst der österreichische Landwirth mit dem durch
größere Fruchtbarkeit begünstigten, gar nicht oder nur gering besteuerten Ungar die
Concurrenz nicht aushalten, also auch die hohe Besteuerung, die alleinige Haftung
für die Staatsschuld, mit einem Wort, die eigentliche Erhaltung der Kaiscrmacht nicht
länger ertragen könnte. Hebt also die Regierung jene Zollschranken auf, ohne die
Zustimmung der österreichischen Provinzen eingeholt zu haben, so ist dies Verfahren
völlig gleich einer willkürlich einseitigen Erhöhung und Erschwerung der Steuern, und


allein es kam alles darauf an, wer siegen würde, ob die Opposition oder die Regierung.
siegte letztere, so war die Staatseinheit hergestellt, welche Joseph II. angestrebt.

Der gegenwärtige Reichstag hat diese Sachlage gänzlich verändert, denn die öster¬
reichische Regierung hat in Betreff Ungarns ihren Grundsatz geändert. Dieselbe Regie¬
rung, die in Wien rücksichtslos absolut herrscht, tritt in Presburg entschieden constitu-
tionell auf, bringt das, was bisher die Opposition gewollt, als königliche Gesctzvor-
schlcige zur Berathung, stellt sich somit an die Spitze der Reformbewegung. Wer dies
wichtige Ereignis) aufmerksam betrachtet, der kauu leicht zu der Behauptung gedrängt
werden, daß durch die jetzige Erhebung Ungarns die Halbirnng der österreichischen Mo¬
narchie nicht blos vorbereitet, sondern bereits, im Princip wenigstens, entschieden sei.
Und sie ist dies in der That, wenn nicht in der andern Hälfte von der Negierung
und von den Ständen zu einer der ungarischen, wenigstens ähnlichen Erhebung ge¬
schritten wird.

Diejenigen, welche die österreichischen Zustände nnr flüchtig und oberflächlich be¬
trachten, werden dieser unserer Darstellung den Negierungsautrag auf Wegräumung des
ungarischen Zolles entgegenhalten und darin die künftige Einigung Ungarns und Oester¬
reichs preisen. Besagter Antrag ist nun an und sür sich allerdings ein höchst dankens-
werther und längst ersehnter, aber er ist nicht entscheidend, denn die Trennung Ungarns
von Oesterreich ist, wie gesagt, keine blos äußere, sondern eine innere principielle. Die
Art und Weise aber, wie jener Antrag gemacht wurde, läßt diese innere Trennung nur
noch schroffer hervortreten. Die Regierung will nämlich die Zollschranken durch consti-
tutionelle Uebereinkunft mit den Ungarn wegräumen, den Oesterreichern aber soll dies
eine Verfügung des unumschränkten Absolutismus sei». Konnte jener Antrag wirklich
durchgeführt werden, so würden noch immer die Vortheile der materiellen Einigung die
Nachtheile des fortdauernden und gesteigerten principiellen Zwiespaltes nicht überwältigen.

Erstlich können die Ungarn so lange nicht gut österreichisch gesinnt sein, als
Oesterreich als solches absolut monarchisch bleibt, so lange die Negierung in Oesterreich
dasselbe Staatsprincip verdammt, welches sie in Ungarn beschwört. Diese an sich klare
Wahrheit hat die ungarische Opposition in ihrem diesjährigen Programm ausdrücklich
hervorgehoben, sie hat die Negierung aufgefordert, in allen ihren Ländern nach ver-
nunstrechtlich freisinnigen Grundsätzen zu regieren und so das alte Mißtrauen der Un¬
garn, ihre wohlbegründete Furcht für ihre constitutionelle Freiheit zu beseitigen. Diese
Furcht wird aber nicht beseitigt, sondern gesteigert, wenn die Einigung Ungarns mit
Oesterreich für dieses ein Act absoluter Gewalt sein soll. Fallen also ans solche Art
auch die Zollschranken, so wird das Mißtrauen der Ungarn einerseits und die Unzu¬
friedenheit und politische Scham der Oesterreicher andererseits eine viel feindlichere
Scheidewand bilden. Dies wird in um so höherem Grade der Fall sein, als die Re¬
gierung, während sie durch diesen Act in Ungarn verfassungsmäßig auftritt, in Oester¬
reich die bestehende Verfassung geradezu bricht.

Die Zollschranken gegen Ungarn sind nämlich hauptsächlich zum Schutz der öster¬
reichischen Agricultur aufgestellt, weil sonst der österreichische Landwirth mit dem durch
größere Fruchtbarkeit begünstigten, gar nicht oder nur gering besteuerten Ungar die
Concurrenz nicht aushalten, also auch die hohe Besteuerung, die alleinige Haftung
für die Staatsschuld, mit einem Wort, die eigentliche Erhaltung der Kaiscrmacht nicht
länger ertragen könnte. Hebt also die Regierung jene Zollschranken auf, ohne die
Zustimmung der österreichischen Provinzen eingeholt zu haben, so ist dies Verfahren
völlig gleich einer willkürlich einseitigen Erhöhung und Erschwerung der Steuern, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/453>, abgerufen am 12.12.2024.