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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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einem Schreiben an die Stände von 1841, das jetzt veröffentlicht worden, hat er
die Verfassung alö ein theures Vermächtniß seiner Negierung dem Volk übergeben.
Alle Beamte im Civil wie im Militär haben Kraft dieser von ihnen beschworenen
Verfassung ihre Stellen. Die Landeseinkünfte sind durch diese Verfassung garantirt
und controlirt. Es hat über die Befugnisse der Stände, über die Grenze ihrer
Machtvollkommenheit, an Reibungen und Conflicten nicht gefehlt; namentlich in
der Zeit des reactionären Ministeriums Hassenpflng (1832--37) hat die Camarilla
auf jede Weise sich bestrebt, die wohlthätige Wirksamkeit der Stände zu hinter¬
treiben, ihren Einfluß zu paralysiren; mau hat nach guter deutscher Weise den
Ständen die Ungnade des Kurfürsten verkündet, ihre Beschlüsse umgestoßen und
dergleichen; aber nie ist auch nur der Versuch gewagt wordeu, ihre rechtliche Be-
gründung anzufechten.

Wenn aus dieser Darstellung nicht unumstößlich hervorgeht, daß die ans dem
Vertrag von 1831 zwischen dem Kurfürsten und den Ständen hervorgegangene
Verfassung zu Recht besteht, daß jedes Attentat ans dieselbe eine Usurpation ist,
so hört überhaupt aller Begriff des Rechts ans; es herrscht nur noch die Faust
und das Schwert, und der einzig legitime Grundsatz bleibt das vllo vian" der
barbarischen Gallier. Und zwar beginnt die Usurpation, so wie vom Buchstaben
der Verfassung abgewichen wird, so wie also der neue Kurfürst die in der Ver-
fassung vorgeschriebene Form der Huldigung überschreitet.

Es ist nun die zweite Frage aufzuwerfen. Haben die Stände, hat das Volk,
hat Deutschland ein Interesse auf dem Nechtspunkt zu bestehen? - Das Recht
ist ein hohes, aber nicht das letzte Argument; es gibt Verhältnisse, wo ein ma¬
gerer Vergleich einem fetten Prozesse vorzuziehen ist. -- Liegen hier solche Ver¬
hältnisse vor?

Die kurhessischen Stände haben, wie die deutschen Stände überhaupt, herz¬
lich wenig Recht, und diese werden ihnen noch durch tausend Ausnahmen und
Rücksichten verkümmert. Jeder Erweiterung ihrer Befugnisse steht der Bundes¬
tag entgegen. Die Regierung wird, so lange die Verhältnisse fortbestehen, Alles
aufbieten, den Einfluß der Stände auf ein Minimum zu reduciren, und sie wird
darin von den deutschen Großmächten bestärkt und unterstützt werden.

Dennoch, trotz all' dieser Fesseln, trotz all' dieser ungünstigen Umstände, trotz
des heimlichen Kriegs, den die Camarilla gegen die Verfassung führte, hat sie
ihre segensreichen Folgen gehabt; der Unordnung in den Finanzen ist einiger¬
maßen gesteuert, für die Laudcscultur ist einigermaßen gesorgt, der sinnlosen Ver¬
schwendung, so wie der ministeriellen Willkür sind einigermaßen Schranken gesetzt.
Der Staat ist wenigsteus nicht ganz mehr Privatgut des Fürsten, die Unter¬
thanen nicht rechtlos.

Und wäre auch nichts Ersprießliches aus ihr hervorgegangen, so ist sie doch
der letzte Anker, an den die Selbständigkeit des Volks sich klammern kaun, die


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einem Schreiben an die Stände von 1841, das jetzt veröffentlicht worden, hat er
die Verfassung alö ein theures Vermächtniß seiner Negierung dem Volk übergeben.
Alle Beamte im Civil wie im Militär haben Kraft dieser von ihnen beschworenen
Verfassung ihre Stellen. Die Landeseinkünfte sind durch diese Verfassung garantirt
und controlirt. Es hat über die Befugnisse der Stände, über die Grenze ihrer
Machtvollkommenheit, an Reibungen und Conflicten nicht gefehlt; namentlich in
der Zeit des reactionären Ministeriums Hassenpflng (1832—37) hat die Camarilla
auf jede Weise sich bestrebt, die wohlthätige Wirksamkeit der Stände zu hinter¬
treiben, ihren Einfluß zu paralysiren; mau hat nach guter deutscher Weise den
Ständen die Ungnade des Kurfürsten verkündet, ihre Beschlüsse umgestoßen und
dergleichen; aber nie ist auch nur der Versuch gewagt wordeu, ihre rechtliche Be-
gründung anzufechten.

Wenn aus dieser Darstellung nicht unumstößlich hervorgeht, daß die ans dem
Vertrag von 1831 zwischen dem Kurfürsten und den Ständen hervorgegangene
Verfassung zu Recht besteht, daß jedes Attentat ans dieselbe eine Usurpation ist,
so hört überhaupt aller Begriff des Rechts ans; es herrscht nur noch die Faust
und das Schwert, und der einzig legitime Grundsatz bleibt das vllo vian« der
barbarischen Gallier. Und zwar beginnt die Usurpation, so wie vom Buchstaben
der Verfassung abgewichen wird, so wie also der neue Kurfürst die in der Ver-
fassung vorgeschriebene Form der Huldigung überschreitet.

Es ist nun die zweite Frage aufzuwerfen. Haben die Stände, hat das Volk,
hat Deutschland ein Interesse auf dem Nechtspunkt zu bestehen? - Das Recht
ist ein hohes, aber nicht das letzte Argument; es gibt Verhältnisse, wo ein ma¬
gerer Vergleich einem fetten Prozesse vorzuziehen ist. — Liegen hier solche Ver¬
hältnisse vor?

Die kurhessischen Stände haben, wie die deutschen Stände überhaupt, herz¬
lich wenig Recht, und diese werden ihnen noch durch tausend Ausnahmen und
Rücksichten verkümmert. Jeder Erweiterung ihrer Befugnisse steht der Bundes¬
tag entgegen. Die Regierung wird, so lange die Verhältnisse fortbestehen, Alles
aufbieten, den Einfluß der Stände auf ein Minimum zu reduciren, und sie wird
darin von den deutschen Großmächten bestärkt und unterstützt werden.

Dennoch, trotz all' dieser Fesseln, trotz all' dieser ungünstigen Umstände, trotz
des heimlichen Kriegs, den die Camarilla gegen die Verfassung führte, hat sie
ihre segensreichen Folgen gehabt; der Unordnung in den Finanzen ist einiger¬
maßen gesteuert, für die Laudcscultur ist einigermaßen gesorgt, der sinnlosen Ver¬
schwendung, so wie der ministeriellen Willkür sind einigermaßen Schranken gesetzt.
Der Staat ist wenigsteus nicht ganz mehr Privatgut des Fürsten, die Unter¬
thanen nicht rechtlos.

Und wäre auch nichts Ersprießliches aus ihr hervorgegangen, so ist sie doch
der letzte Anker, an den die Selbständigkeit des Volks sich klammern kaun, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/443>, abgerufen am 22.07.2024.