Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

man bisher als Staatsdiener zu betrachten gewohnt war, die, ebenso wie das
Militär, auf die Verfassung beeidigt sind, gegen die bisher übliche Form seine
Diener, sein Edict ist von keinem Minister contrasignirt.

Es ist noch nichts geschehen. Aber wenn man an die hannöversche Geschichte
von 1838 denkt, wenn man das bisherige Verfahren des neuen Kurfürsten mit
seiner bekannten Gesinnung zusammenstellt, so drängt sich die Befürchtung auf,
es sei eine Nichtanerkennung der seit 16 Jahren zu Recht bestehenden Verfassung
im Werke. Es hilft nichts, sich die Augen zu verblenden, wie man es damals
in Hannover gethan; in einer politischen Krisis wird der Leichtsinn unb die Träg¬
heit in der Erkenntniß der Gefahr zum Verrath. Schon oft hat das >bloße Mi߬
trauen, die gedrückte und gereizte Stimmung zu unangenehmen, zu frevelhaften
Attentaten geführt.

Ein Gerücht, welches sich auch in den Zeitungen Bahn gebrochen hat, be¬
zeichnete die österreichische Diplomatie als Anstifterin dieses Attentats, und erman¬
gelt nicht, auch die preußische Regierung der Mitwissenschaft zu zeihen. Wir sind
in die höheren Mysterien unserer vaterländischen Politik nicht eingeweiht, aber wir
nehmen keinen Anstand, aus inneren Gründen dieses Gerücht für ein absurdes zu
erklären. Die Kammern der kleinen deutschen Staaten mögen den absoluten Re¬
gierungen vielfach unbequem sein -- obgleich sie sich nach den Vorgängen in Berlin
und jetzt in Preßburg denn doch allmälig an dergleichen gewöhnen müssen -- aber
diese beiden Mächte werden es nie verkennen, daß eine gewaltsame Rechtsverletzung
in irgend einem deutschen Staate nicht nur die Ruhe und das Gedeihen dieses Staa¬
tes, sondern die Existenz des ganzen Bundes in Frage stellt. Louis Philipp ist
wahrlich ein frommer König -- dieser Kujiolenn "t et"- potiov -- und Guizot ein
ergebener Knecht der Reaction; aber man erinnere sich an die Sprache, welche
das Journal des Hoff und der Aristokratie noch immer führt; man erinnere sich
an die Ideen eines neuen Rheinbundes der constitutionellen Staaten unter fran¬
zösischem Schutz, Ideen, in denen die Organe des .lusto Union und der Legiti¬
mität mit denen der Republik und der dynastischen Opposition wetteisern; man
erinnere sich an die Erbitterung, die so viel getäuschte Hoffnungen, so viel uner--
füllte Versprechungen in den Herzen des Volkes angesammelt haben, und man
lege sich ernstlich die Frage vor, ob es nicht möglich ist, daß eine Contrerevolu-
tion in Hessen zur Empörung, und im Fall einer Intervention zur Allarmirung
sämmtlicher constitutionellen deutschen Staaten führen könnte. -- Das weiß Fürst
Metternich, das wissen die Minister Friedrich Wilhelms IV. besser als wir; die
preußische Staatszeitung übersieht kein Wort in den bedeutungsvollen Spalten des
^in,ri,"l8 lies ""bills; es ist also uicht daran zu denken, daß sie zu einem Schritt
rathen werdeu, der den gesammten Rechtszustand Deutschlands in Frage stellt.

Eine andere Frage ist es aber, wie sie das lui". it,:oompli einer solchen Rechts¬
verletzung aufnehmen werden. Leider'zeigt die hannöversche Frage, daß die Stände


man bisher als Staatsdiener zu betrachten gewohnt war, die, ebenso wie das
Militär, auf die Verfassung beeidigt sind, gegen die bisher übliche Form seine
Diener, sein Edict ist von keinem Minister contrasignirt.

Es ist noch nichts geschehen. Aber wenn man an die hannöversche Geschichte
von 1838 denkt, wenn man das bisherige Verfahren des neuen Kurfürsten mit
seiner bekannten Gesinnung zusammenstellt, so drängt sich die Befürchtung auf,
es sei eine Nichtanerkennung der seit 16 Jahren zu Recht bestehenden Verfassung
im Werke. Es hilft nichts, sich die Augen zu verblenden, wie man es damals
in Hannover gethan; in einer politischen Krisis wird der Leichtsinn unb die Träg¬
heit in der Erkenntniß der Gefahr zum Verrath. Schon oft hat das >bloße Mi߬
trauen, die gedrückte und gereizte Stimmung zu unangenehmen, zu frevelhaften
Attentaten geführt.

Ein Gerücht, welches sich auch in den Zeitungen Bahn gebrochen hat, be¬
zeichnete die österreichische Diplomatie als Anstifterin dieses Attentats, und erman¬
gelt nicht, auch die preußische Regierung der Mitwissenschaft zu zeihen. Wir sind
in die höheren Mysterien unserer vaterländischen Politik nicht eingeweiht, aber wir
nehmen keinen Anstand, aus inneren Gründen dieses Gerücht für ein absurdes zu
erklären. Die Kammern der kleinen deutschen Staaten mögen den absoluten Re¬
gierungen vielfach unbequem sein — obgleich sie sich nach den Vorgängen in Berlin
und jetzt in Preßburg denn doch allmälig an dergleichen gewöhnen müssen — aber
diese beiden Mächte werden es nie verkennen, daß eine gewaltsame Rechtsverletzung
in irgend einem deutschen Staate nicht nur die Ruhe und das Gedeihen dieses Staa¬
tes, sondern die Existenz des ganzen Bundes in Frage stellt. Louis Philipp ist
wahrlich ein frommer König — dieser Kujiolenn »t et»- potiov — und Guizot ein
ergebener Knecht der Reaction; aber man erinnere sich an die Sprache, welche
das Journal des Hoff und der Aristokratie noch immer führt; man erinnere sich
an die Ideen eines neuen Rheinbundes der constitutionellen Staaten unter fran¬
zösischem Schutz, Ideen, in denen die Organe des .lusto Union und der Legiti¬
mität mit denen der Republik und der dynastischen Opposition wetteisern; man
erinnere sich an die Erbitterung, die so viel getäuschte Hoffnungen, so viel uner--
füllte Versprechungen in den Herzen des Volkes angesammelt haben, und man
lege sich ernstlich die Frage vor, ob es nicht möglich ist, daß eine Contrerevolu-
tion in Hessen zur Empörung, und im Fall einer Intervention zur Allarmirung
sämmtlicher constitutionellen deutschen Staaten führen könnte. — Das weiß Fürst
Metternich, das wissen die Minister Friedrich Wilhelms IV. besser als wir; die
preußische Staatszeitung übersieht kein Wort in den bedeutungsvollen Spalten des
^in,ri,»l8 lies »«bills; es ist also uicht daran zu denken, daß sie zu einem Schritt
rathen werdeu, der den gesammten Rechtszustand Deutschlands in Frage stellt.

Eine andere Frage ist es aber, wie sie das lui«. it,:oompli einer solchen Rechts¬
verletzung aufnehmen werden. Leider'zeigt die hannöversche Frage, daß die Stände


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0440" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185204"/>
          <p xml:id="ID_1431" prev="#ID_1430"> man bisher als Staatsdiener zu betrachten gewohnt war, die, ebenso wie das<lb/>
Militär, auf die Verfassung beeidigt sind, gegen die bisher übliche Form seine<lb/>
Diener, sein Edict ist von keinem Minister contrasignirt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1432"> Es ist noch nichts geschehen. Aber wenn man an die hannöversche Geschichte<lb/>
von 1838 denkt, wenn man das bisherige Verfahren des neuen Kurfürsten mit<lb/>
seiner bekannten Gesinnung zusammenstellt, so drängt sich die Befürchtung auf,<lb/>
es sei eine Nichtanerkennung der seit 16 Jahren zu Recht bestehenden Verfassung<lb/>
im Werke. Es hilft nichts, sich die Augen zu verblenden, wie man es damals<lb/>
in Hannover gethan; in einer politischen Krisis wird der Leichtsinn unb die Träg¬<lb/>
heit in der Erkenntniß der Gefahr zum Verrath. Schon oft hat das &gt;bloße Mi߬<lb/>
trauen, die gedrückte und gereizte Stimmung zu unangenehmen, zu frevelhaften<lb/>
Attentaten geführt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1433"> Ein Gerücht, welches sich auch in den Zeitungen Bahn gebrochen hat, be¬<lb/>
zeichnete die österreichische Diplomatie als Anstifterin dieses Attentats, und erman¬<lb/>
gelt nicht, auch die preußische Regierung der Mitwissenschaft zu zeihen. Wir sind<lb/>
in die höheren Mysterien unserer vaterländischen Politik nicht eingeweiht, aber wir<lb/>
nehmen keinen Anstand, aus inneren Gründen dieses Gerücht für ein absurdes zu<lb/>
erklären. Die Kammern der kleinen deutschen Staaten mögen den absoluten Re¬<lb/>
gierungen vielfach unbequem sein &#x2014; obgleich sie sich nach den Vorgängen in Berlin<lb/>
und jetzt in Preßburg denn doch allmälig an dergleichen gewöhnen müssen &#x2014; aber<lb/>
diese beiden Mächte werden es nie verkennen, daß eine gewaltsame Rechtsverletzung<lb/>
in irgend einem deutschen Staate nicht nur die Ruhe und das Gedeihen dieses Staa¬<lb/>
tes, sondern die Existenz des ganzen Bundes in Frage stellt. Louis Philipp ist<lb/>
wahrlich ein frommer König &#x2014; dieser Kujiolenn »t et»- potiov &#x2014; und Guizot ein<lb/>
ergebener Knecht der Reaction; aber man erinnere sich an die Sprache, welche<lb/>
das Journal des Hoff und der Aristokratie noch immer führt; man erinnere sich<lb/>
an die Ideen eines neuen Rheinbundes der constitutionellen Staaten unter fran¬<lb/>
zösischem Schutz, Ideen, in denen die Organe des .lusto Union und der Legiti¬<lb/>
mität mit denen der Republik und der dynastischen Opposition wetteisern; man<lb/>
erinnere sich an die Erbitterung, die so viel getäuschte Hoffnungen, so viel uner--<lb/>
füllte Versprechungen in den Herzen des Volkes angesammelt haben, und man<lb/>
lege sich ernstlich die Frage vor, ob es nicht möglich ist, daß eine Contrerevolu-<lb/>
tion in Hessen zur Empörung, und im Fall einer Intervention zur Allarmirung<lb/>
sämmtlicher constitutionellen deutschen Staaten führen könnte. &#x2014; Das weiß Fürst<lb/>
Metternich, das wissen die Minister Friedrich Wilhelms IV. besser als wir; die<lb/>
preußische Staatszeitung übersieht kein Wort in den bedeutungsvollen Spalten des<lb/>
^in,ri,»l8 lies »«bills; es ist also uicht daran zu denken, daß sie zu einem Schritt<lb/>
rathen werdeu, der den gesammten Rechtszustand Deutschlands in Frage stellt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1434" next="#ID_1435"> Eine andere Frage ist es aber, wie sie das lui«. it,:oompli einer solchen Rechts¬<lb/>
verletzung aufnehmen werden. Leider'zeigt die hannöversche Frage, daß die Stände</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0440] man bisher als Staatsdiener zu betrachten gewohnt war, die, ebenso wie das Militär, auf die Verfassung beeidigt sind, gegen die bisher übliche Form seine Diener, sein Edict ist von keinem Minister contrasignirt. Es ist noch nichts geschehen. Aber wenn man an die hannöversche Geschichte von 1838 denkt, wenn man das bisherige Verfahren des neuen Kurfürsten mit seiner bekannten Gesinnung zusammenstellt, so drängt sich die Befürchtung auf, es sei eine Nichtanerkennung der seit 16 Jahren zu Recht bestehenden Verfassung im Werke. Es hilft nichts, sich die Augen zu verblenden, wie man es damals in Hannover gethan; in einer politischen Krisis wird der Leichtsinn unb die Träg¬ heit in der Erkenntniß der Gefahr zum Verrath. Schon oft hat das >bloße Mi߬ trauen, die gedrückte und gereizte Stimmung zu unangenehmen, zu frevelhaften Attentaten geführt. Ein Gerücht, welches sich auch in den Zeitungen Bahn gebrochen hat, be¬ zeichnete die österreichische Diplomatie als Anstifterin dieses Attentats, und erman¬ gelt nicht, auch die preußische Regierung der Mitwissenschaft zu zeihen. Wir sind in die höheren Mysterien unserer vaterländischen Politik nicht eingeweiht, aber wir nehmen keinen Anstand, aus inneren Gründen dieses Gerücht für ein absurdes zu erklären. Die Kammern der kleinen deutschen Staaten mögen den absoluten Re¬ gierungen vielfach unbequem sein — obgleich sie sich nach den Vorgängen in Berlin und jetzt in Preßburg denn doch allmälig an dergleichen gewöhnen müssen — aber diese beiden Mächte werden es nie verkennen, daß eine gewaltsame Rechtsverletzung in irgend einem deutschen Staate nicht nur die Ruhe und das Gedeihen dieses Staa¬ tes, sondern die Existenz des ganzen Bundes in Frage stellt. Louis Philipp ist wahrlich ein frommer König — dieser Kujiolenn »t et»- potiov — und Guizot ein ergebener Knecht der Reaction; aber man erinnere sich an die Sprache, welche das Journal des Hoff und der Aristokratie noch immer führt; man erinnere sich an die Ideen eines neuen Rheinbundes der constitutionellen Staaten unter fran¬ zösischem Schutz, Ideen, in denen die Organe des .lusto Union und der Legiti¬ mität mit denen der Republik und der dynastischen Opposition wetteisern; man erinnere sich an die Erbitterung, die so viel getäuschte Hoffnungen, so viel uner-- füllte Versprechungen in den Herzen des Volkes angesammelt haben, und man lege sich ernstlich die Frage vor, ob es nicht möglich ist, daß eine Contrerevolu- tion in Hessen zur Empörung, und im Fall einer Intervention zur Allarmirung sämmtlicher constitutionellen deutschen Staaten führen könnte. — Das weiß Fürst Metternich, das wissen die Minister Friedrich Wilhelms IV. besser als wir; die preußische Staatszeitung übersieht kein Wort in den bedeutungsvollen Spalten des ^in,ri,»l8 lies »«bills; es ist also uicht daran zu denken, daß sie zu einem Schritt rathen werdeu, der den gesammten Rechtszustand Deutschlands in Frage stellt. Eine andere Frage ist es aber, wie sie das lui«. it,:oompli einer solchen Rechts¬ verletzung aufnehmen werden. Leider'zeigt die hannöversche Frage, daß die Stände

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/440
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/440>, abgerufen am 05.12.2024.