Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

zeugnng zufolge was die Ständetasel von 1844 behauptete, daß nämlich die voll¬
kommene Entwickelung des ungarischen constitutionellen Lebens bei unserem Verhält¬
nisse zu deu Erbstaatcn durchaus möglich ist. Ich behaupte ferner, daß wenn auch
in dieser Beziehung Schwierigkeiten obwalten, wenn unsere gegenseitige" Interessen
hier und da in Conflict zu sein scheinen, doch diese Schwierigkeiten, diese
Conflicte uicht aus der Natur unserer Verbindung mit den österreichischen Pro¬
vinzen, sondern aus der divergenten Richtung des Negierungösystcms entspringen,
jenes Negiernngssystems, welches, nachdem die geschichtliche Gestaltung unserer
Begegnung mit den Nachbarländern verändert wurde, mit unserer Coustitutivna-
lität in widersprechende Richtung kam, und durch diese Divergenz sogar unsere
Jnteresseugleichheit in Conflicte verwandelte. Es ist den Ständen bekannt, daß
das glorreich regierende österreichische Haus einst in allen seinen Verhältnissen
constitutionelle Formen umgaben. Das Kaiserthum des deutschen Reichs war eine
verfassungsmäßig beschränkte Macht und unter den die jetzige Monarchie bildenden
Provinzen ist auch nicht Eine, die keine Konstitution gehabt hätte. Diese wesentliche
Harmonie der Hauptmacht trug in sich selbst die Bürgschaft, daß die Regierung
des Gesammtstaates weder ihrer Natur nach, noch ihren Elementen uach in diver¬
gente Richtung mit dem ungarischen Constitutionalismus konimen werde. Es ist
unzweifelhaft, daß wenn dieses Verhältniß unverändert so geblieben wäre, wir
gar manches bittere Andenken der Vergangenheit nicht in unserer Geschichte finden,
manches Uebel der Gegenwart uicht kennen würden, und daß mauches Bedenken
der Zukunft wegfiele. Im Laufe der Zeiten indeß wurde dies Verhältniß verändert.

Die Geschichte, die geschichtliche Constitutioualität der österreichischen Provin¬
zen wurde der Einheit des NegieruugsmechauiSmus -- was fälschlich Staatseinheit
genannt wurde -- aufgeopfert, und dieser einheitliche Mechanismus der Regie¬
rung entwickelte sich auf den Grundprincipien der Unbeschränktheit der Haupt¬
gewalt. Erst in neuester Zeit sehen wir in unsern verbündeten Nachbaren den
friedlichen und loyalen, aber männlichen und energischen Wunsch uach Wieder¬
erlangung der verlornen Cvnstitulionalität erwachen, und sie finden eben ihrer
männlichen Loyalität wegen Sympathie beim ganzen civilisirten Europa und natürlich
anch bei der benachbarten ungarischen Nation, welche ihr cvnstitntivnelles Leben
um so höher schätzt, je mehr Sorgfalt es sie gekostet, dasselbe Jahrhunderte hin¬
durch der volksthümlichen Entwickelung zu erhalten. Daß auf diese Weise Jnter-
esseuevuflicte entstehe" mußten, ist eben so natürlich, als es schmerzlich ist -- doch
folgten diese Conflicte uicht aus der Natur unseres Verhältnisses, vielmehr bin ich
überzeugt, daß wenn diese Veränderung uicht hinzugetreten und in Folge deren
die Entwickelung des einen verbündeten Theiles nicht in eine erkünstelte Richtung
gezwungen. der andere aber in seiner natürlichen Entfaltung uicht aufgehalten
wäre, weder ein Juteressenznsammenftvß, noch Gespanntheit zwischeu den Einem
Fürsten huldigenden Völkern stattgefunden hätte, vielmehr würden die einzelnen


zeugnng zufolge was die Ständetasel von 1844 behauptete, daß nämlich die voll¬
kommene Entwickelung des ungarischen constitutionellen Lebens bei unserem Verhält¬
nisse zu deu Erbstaatcn durchaus möglich ist. Ich behaupte ferner, daß wenn auch
in dieser Beziehung Schwierigkeiten obwalten, wenn unsere gegenseitige» Interessen
hier und da in Conflict zu sein scheinen, doch diese Schwierigkeiten, diese
Conflicte uicht aus der Natur unserer Verbindung mit den österreichischen Pro¬
vinzen, sondern aus der divergenten Richtung des Negierungösystcms entspringen,
jenes Negiernngssystems, welches, nachdem die geschichtliche Gestaltung unserer
Begegnung mit den Nachbarländern verändert wurde, mit unserer Coustitutivna-
lität in widersprechende Richtung kam, und durch diese Divergenz sogar unsere
Jnteresseugleichheit in Conflicte verwandelte. Es ist den Ständen bekannt, daß
das glorreich regierende österreichische Haus einst in allen seinen Verhältnissen
constitutionelle Formen umgaben. Das Kaiserthum des deutschen Reichs war eine
verfassungsmäßig beschränkte Macht und unter den die jetzige Monarchie bildenden
Provinzen ist auch nicht Eine, die keine Konstitution gehabt hätte. Diese wesentliche
Harmonie der Hauptmacht trug in sich selbst die Bürgschaft, daß die Regierung
des Gesammtstaates weder ihrer Natur nach, noch ihren Elementen uach in diver¬
gente Richtung mit dem ungarischen Constitutionalismus konimen werde. Es ist
unzweifelhaft, daß wenn dieses Verhältniß unverändert so geblieben wäre, wir
gar manches bittere Andenken der Vergangenheit nicht in unserer Geschichte finden,
manches Uebel der Gegenwart uicht kennen würden, und daß mauches Bedenken
der Zukunft wegfiele. Im Laufe der Zeiten indeß wurde dies Verhältniß verändert.

Die Geschichte, die geschichtliche Constitutioualität der österreichischen Provin¬
zen wurde der Einheit des NegieruugsmechauiSmus — was fälschlich Staatseinheit
genannt wurde — aufgeopfert, und dieser einheitliche Mechanismus der Regie¬
rung entwickelte sich auf den Grundprincipien der Unbeschränktheit der Haupt¬
gewalt. Erst in neuester Zeit sehen wir in unsern verbündeten Nachbaren den
friedlichen und loyalen, aber männlichen und energischen Wunsch uach Wieder¬
erlangung der verlornen Cvnstitulionalität erwachen, und sie finden eben ihrer
männlichen Loyalität wegen Sympathie beim ganzen civilisirten Europa und natürlich
anch bei der benachbarten ungarischen Nation, welche ihr cvnstitntivnelles Leben
um so höher schätzt, je mehr Sorgfalt es sie gekostet, dasselbe Jahrhunderte hin¬
durch der volksthümlichen Entwickelung zu erhalten. Daß auf diese Weise Jnter-
esseuevuflicte entstehe» mußten, ist eben so natürlich, als es schmerzlich ist — doch
folgten diese Conflicte uicht aus der Natur unseres Verhältnisses, vielmehr bin ich
überzeugt, daß wenn diese Veränderung uicht hinzugetreten und in Folge deren
die Entwickelung des einen verbündeten Theiles nicht in eine erkünstelte Richtung
gezwungen. der andere aber in seiner natürlichen Entfaltung uicht aufgehalten
wäre, weder ein Juteressenznsammenftvß, noch Gespanntheit zwischeu den Einem
Fürsten huldigenden Völkern stattgefunden hätte, vielmehr würden die einzelnen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0430" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185194"/>
            <p xml:id="ID_1397" prev="#ID_1396"> zeugnng zufolge was die Ständetasel von 1844 behauptete, daß nämlich die voll¬<lb/>
kommene Entwickelung des ungarischen constitutionellen Lebens bei unserem Verhält¬<lb/>
nisse zu deu Erbstaatcn durchaus möglich ist. Ich behaupte ferner, daß wenn auch<lb/>
in dieser Beziehung Schwierigkeiten obwalten, wenn unsere gegenseitige» Interessen<lb/>
hier und da in Conflict zu sein scheinen, doch diese Schwierigkeiten, diese<lb/>
Conflicte uicht aus der Natur unserer Verbindung mit den österreichischen Pro¬<lb/>
vinzen, sondern aus der divergenten Richtung des Negierungösystcms entspringen,<lb/>
jenes Negiernngssystems, welches, nachdem die geschichtliche Gestaltung unserer<lb/>
Begegnung mit den Nachbarländern verändert wurde, mit unserer Coustitutivna-<lb/>
lität in widersprechende Richtung kam, und durch diese Divergenz sogar unsere<lb/>
Jnteresseugleichheit in Conflicte verwandelte. Es ist den Ständen bekannt, daß<lb/>
das glorreich regierende österreichische Haus einst in allen seinen Verhältnissen<lb/>
constitutionelle Formen umgaben. Das Kaiserthum des deutschen Reichs war eine<lb/>
verfassungsmäßig beschränkte Macht und unter den die jetzige Monarchie bildenden<lb/>
Provinzen ist auch nicht Eine, die keine Konstitution gehabt hätte. Diese wesentliche<lb/>
Harmonie der Hauptmacht trug in sich selbst die Bürgschaft, daß die Regierung<lb/>
des Gesammtstaates weder ihrer Natur nach, noch ihren Elementen uach in diver¬<lb/>
gente Richtung mit dem ungarischen Constitutionalismus konimen werde. Es ist<lb/>
unzweifelhaft, daß wenn dieses Verhältniß unverändert so geblieben wäre, wir<lb/>
gar manches bittere Andenken der Vergangenheit nicht in unserer Geschichte finden,<lb/>
manches Uebel der Gegenwart uicht kennen würden, und daß mauches Bedenken<lb/>
der Zukunft wegfiele. Im Laufe der Zeiten indeß wurde dies Verhältniß verändert.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1398" next="#ID_1399"> Die Geschichte, die geschichtliche Constitutioualität der österreichischen Provin¬<lb/>
zen wurde der Einheit des NegieruugsmechauiSmus &#x2014; was fälschlich Staatseinheit<lb/>
genannt wurde &#x2014; aufgeopfert, und dieser einheitliche Mechanismus der Regie¬<lb/>
rung entwickelte sich auf den Grundprincipien der Unbeschränktheit der Haupt¬<lb/>
gewalt. Erst in neuester Zeit sehen wir in unsern verbündeten Nachbaren den<lb/>
friedlichen und loyalen, aber männlichen und energischen Wunsch uach Wieder¬<lb/>
erlangung der verlornen Cvnstitulionalität erwachen, und sie finden eben ihrer<lb/>
männlichen Loyalität wegen Sympathie beim ganzen civilisirten Europa und natürlich<lb/>
anch bei der benachbarten ungarischen Nation, welche ihr cvnstitntivnelles Leben<lb/>
um so höher schätzt, je mehr Sorgfalt es sie gekostet, dasselbe Jahrhunderte hin¬<lb/>
durch der volksthümlichen Entwickelung zu erhalten. Daß auf diese Weise Jnter-<lb/>
esseuevuflicte entstehe» mußten, ist eben so natürlich, als es schmerzlich ist &#x2014; doch<lb/>
folgten diese Conflicte uicht aus der Natur unseres Verhältnisses, vielmehr bin ich<lb/>
überzeugt, daß wenn diese Veränderung uicht hinzugetreten und in Folge deren<lb/>
die Entwickelung des einen verbündeten Theiles nicht in eine erkünstelte Richtung<lb/>
gezwungen. der andere aber in seiner natürlichen Entfaltung uicht aufgehalten<lb/>
wäre, weder ein Juteressenznsammenftvß, noch Gespanntheit zwischeu den Einem<lb/>
Fürsten huldigenden Völkern stattgefunden hätte, vielmehr würden die einzelnen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0430] zeugnng zufolge was die Ständetasel von 1844 behauptete, daß nämlich die voll¬ kommene Entwickelung des ungarischen constitutionellen Lebens bei unserem Verhält¬ nisse zu deu Erbstaatcn durchaus möglich ist. Ich behaupte ferner, daß wenn auch in dieser Beziehung Schwierigkeiten obwalten, wenn unsere gegenseitige» Interessen hier und da in Conflict zu sein scheinen, doch diese Schwierigkeiten, diese Conflicte uicht aus der Natur unserer Verbindung mit den österreichischen Pro¬ vinzen, sondern aus der divergenten Richtung des Negierungösystcms entspringen, jenes Negiernngssystems, welches, nachdem die geschichtliche Gestaltung unserer Begegnung mit den Nachbarländern verändert wurde, mit unserer Coustitutivna- lität in widersprechende Richtung kam, und durch diese Divergenz sogar unsere Jnteresseugleichheit in Conflicte verwandelte. Es ist den Ständen bekannt, daß das glorreich regierende österreichische Haus einst in allen seinen Verhältnissen constitutionelle Formen umgaben. Das Kaiserthum des deutschen Reichs war eine verfassungsmäßig beschränkte Macht und unter den die jetzige Monarchie bildenden Provinzen ist auch nicht Eine, die keine Konstitution gehabt hätte. Diese wesentliche Harmonie der Hauptmacht trug in sich selbst die Bürgschaft, daß die Regierung des Gesammtstaates weder ihrer Natur nach, noch ihren Elementen uach in diver¬ gente Richtung mit dem ungarischen Constitutionalismus konimen werde. Es ist unzweifelhaft, daß wenn dieses Verhältniß unverändert so geblieben wäre, wir gar manches bittere Andenken der Vergangenheit nicht in unserer Geschichte finden, manches Uebel der Gegenwart uicht kennen würden, und daß mauches Bedenken der Zukunft wegfiele. Im Laufe der Zeiten indeß wurde dies Verhältniß verändert. Die Geschichte, die geschichtliche Constitutioualität der österreichischen Provin¬ zen wurde der Einheit des NegieruugsmechauiSmus — was fälschlich Staatseinheit genannt wurde — aufgeopfert, und dieser einheitliche Mechanismus der Regie¬ rung entwickelte sich auf den Grundprincipien der Unbeschränktheit der Haupt¬ gewalt. Erst in neuester Zeit sehen wir in unsern verbündeten Nachbaren den friedlichen und loyalen, aber männlichen und energischen Wunsch uach Wieder¬ erlangung der verlornen Cvnstitulionalität erwachen, und sie finden eben ihrer männlichen Loyalität wegen Sympathie beim ganzen civilisirten Europa und natürlich anch bei der benachbarten ungarischen Nation, welche ihr cvnstitntivnelles Leben um so höher schätzt, je mehr Sorgfalt es sie gekostet, dasselbe Jahrhunderte hin¬ durch der volksthümlichen Entwickelung zu erhalten. Daß auf diese Weise Jnter- esseuevuflicte entstehe» mußten, ist eben so natürlich, als es schmerzlich ist — doch folgten diese Conflicte uicht aus der Natur unseres Verhältnisses, vielmehr bin ich überzeugt, daß wenn diese Veränderung uicht hinzugetreten und in Folge deren die Entwickelung des einen verbündeten Theiles nicht in eine erkünstelte Richtung gezwungen. der andere aber in seiner natürlichen Entfaltung uicht aufgehalten wäre, weder ein Juteressenznsammenftvß, noch Gespanntheit zwischeu den Einem Fürsten huldigenden Völkern stattgefunden hätte, vielmehr würden die einzelnen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/430
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/430>, abgerufen am 25.08.2024.