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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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nem Orte vorüber, um dessen Alterthümer sie eine weite Reise nicht scheuen wür¬
den. Sie ahnen nichts von seinem Kunstreichthum.

Nie sah ich ein zierlicheres Spitzbogengewölbe als das des Kreuzganges vom
Michaelisklostcr. Die unendliche Feinheit und Schärfe, mit der es ausgeführt ist,
könnte glauben machen, daß das Ganze mich unabänderlichen Naturgesetzen wie
ein Krystall zusammengeschossen sei. Das alte prächtige Kloster ist jetzt eine Ir¬
renanstalt. Die Klosterkirche, eine Basilika wie Deutschland wohl kaum eine zweite
auszuweisen hat, diente bis jetzt den Irren als Kegelbahn. Nun wird sie wieder
für den Gottesdienst eingerichtet und die mannigfaltigen reichen Säulenknäufe, das
kostbare Deckengemälde werden vor weiterer Zerstörung bewahrt. Herrlich frei
liegt das Gebäude auf einem der höchsten Punkte der Stadt, hohe Treppen führen
von den umliegenden Gassen zum Kirchhofe.

Ein Meisterwerk byzantinischer Architectur ist die Godehardi Kirche. Von
dem wechselnden Niveau der alten Stadt nimmt sie, wie die vorige, einen erhabe¬
nen Punkt ein. Der Hauptthurm erhebt sich, auf vier Pfeilern ruhend, über dem
Chöre. Außerdem ist das Mittelschiff noch mit zwei kleineren Thürmen geziert.
Unter der inneren Ausschmückung entdeckt mau die wertvollsten Reste alterthümli-
cher Skulptur. Die schönste Ansicht des Gebäudes gewinnt man von dem Walle
aus. In harmonischen Verhältnissen sieht man hier den Bau aus dem Boden
wachse". Kühn ragt der Hauptthurm über die Kreuzschiffe, und die mannigfalti¬
gen, halbkreisförmigen Ausbauten des Chors heraus.

Die Wälle sind es vorzüglich auf die der Hildesheimer stolz ist. Sie rücken
ihm Landschaftsbilder nach, deren Reize ermüdende Märsche hinreichend lohnen
würden. Blickt man von der höchsten westlichen Wallecke hinaus, so glaubt man
sich in eine liebliche Jdyllwelt mit ihrem ewigen Frieden versetzt. Der Wall wird
hier von einem natürlichen ziemlich bedeutenden Hügel gebildet. An seinen schroff
abfallenden Wänden klimmen einige Schaafe und Ziegen, das Eigenthum armer
Bürger, sein Fuß ist von Wasser bespült. Dahinter dehnt sich ein reizendes enges
Wiesenthal, gegenüber in sanften Contouren von beweideten Hügeln begrenzt. Wo
sich der Eichenhain an diesen hinaufzieht, lehnt sich die Vorstadt Mvritzberg mit
ihren weißen Wohnhäusern und dem hohen Kirchthurme an die Böschung. In
mannigfachen Krümmungen windet sich die Innerste dnrch das Thal, eine Bleiche
dehnt sich zu unsern Füßen an ihrem Ufer, gewölbte Brücken überspannen das
Bett, wenn es hinter dem Bassin beim Ueberfalle wieder enger wird. An einem
höheren Punkte rechts liegt ein Kirchhof mit seinen Trauerweiden und weißen
Leichensteinen, weiter zurück im Thale die alte Feste Steuerwaldt und das freund¬
liche Dörfchen Himmelsthür.

Nähert sich die Sonne dein Untergange, so trifft man hier Gruppen von
Menschen, die sich an der herrlichen Landschaft und dem himmlischer? Schauspiel


nem Orte vorüber, um dessen Alterthümer sie eine weite Reise nicht scheuen wür¬
den. Sie ahnen nichts von seinem Kunstreichthum.

Nie sah ich ein zierlicheres Spitzbogengewölbe als das des Kreuzganges vom
Michaelisklostcr. Die unendliche Feinheit und Schärfe, mit der es ausgeführt ist,
könnte glauben machen, daß das Ganze mich unabänderlichen Naturgesetzen wie
ein Krystall zusammengeschossen sei. Das alte prächtige Kloster ist jetzt eine Ir¬
renanstalt. Die Klosterkirche, eine Basilika wie Deutschland wohl kaum eine zweite
auszuweisen hat, diente bis jetzt den Irren als Kegelbahn. Nun wird sie wieder
für den Gottesdienst eingerichtet und die mannigfaltigen reichen Säulenknäufe, das
kostbare Deckengemälde werden vor weiterer Zerstörung bewahrt. Herrlich frei
liegt das Gebäude auf einem der höchsten Punkte der Stadt, hohe Treppen führen
von den umliegenden Gassen zum Kirchhofe.

Ein Meisterwerk byzantinischer Architectur ist die Godehardi Kirche. Von
dem wechselnden Niveau der alten Stadt nimmt sie, wie die vorige, einen erhabe¬
nen Punkt ein. Der Hauptthurm erhebt sich, auf vier Pfeilern ruhend, über dem
Chöre. Außerdem ist das Mittelschiff noch mit zwei kleineren Thürmen geziert.
Unter der inneren Ausschmückung entdeckt mau die wertvollsten Reste alterthümli-
cher Skulptur. Die schönste Ansicht des Gebäudes gewinnt man von dem Walle
aus. In harmonischen Verhältnissen sieht man hier den Bau aus dem Boden
wachse». Kühn ragt der Hauptthurm über die Kreuzschiffe, und die mannigfalti¬
gen, halbkreisförmigen Ausbauten des Chors heraus.

Die Wälle sind es vorzüglich auf die der Hildesheimer stolz ist. Sie rücken
ihm Landschaftsbilder nach, deren Reize ermüdende Märsche hinreichend lohnen
würden. Blickt man von der höchsten westlichen Wallecke hinaus, so glaubt man
sich in eine liebliche Jdyllwelt mit ihrem ewigen Frieden versetzt. Der Wall wird
hier von einem natürlichen ziemlich bedeutenden Hügel gebildet. An seinen schroff
abfallenden Wänden klimmen einige Schaafe und Ziegen, das Eigenthum armer
Bürger, sein Fuß ist von Wasser bespült. Dahinter dehnt sich ein reizendes enges
Wiesenthal, gegenüber in sanften Contouren von beweideten Hügeln begrenzt. Wo
sich der Eichenhain an diesen hinaufzieht, lehnt sich die Vorstadt Mvritzberg mit
ihren weißen Wohnhäusern und dem hohen Kirchthurme an die Böschung. In
mannigfachen Krümmungen windet sich die Innerste dnrch das Thal, eine Bleiche
dehnt sich zu unsern Füßen an ihrem Ufer, gewölbte Brücken überspannen das
Bett, wenn es hinter dem Bassin beim Ueberfalle wieder enger wird. An einem
höheren Punkte rechts liegt ein Kirchhof mit seinen Trauerweiden und weißen
Leichensteinen, weiter zurück im Thale die alte Feste Steuerwaldt und das freund¬
liche Dörfchen Himmelsthür.

Nähert sich die Sonne dein Untergange, so trifft man hier Gruppen von
Menschen, die sich an der herrlichen Landschaft und dem himmlischer? Schauspiel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/424>, abgerufen am 24.08.2024.