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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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IX.
Aus München.

Zwei F.ickelzüge. -- Nur ein Zohr Philosophie! -- Ringseis und der Professor der Chirurgie. -- Kein
Dicfcnbnch. -- Veseler-Concert.

Das ist der Vortheil der Jugend, daß sie, richtig geleitet, das Bessere erkennt,
dein Wahn vergangener Zeiten Valet sagt und mit freudigem Auge der Gestaltung der
Zukunft entgegensieht. Die Studierenden an der hiesigen Hochschule zeigen dies sehr
deutlich. Wenn man sie Anfangs März vor dem Hause der Lota Montez brüllen horte
weil einige Obscuranten unter den Professoren abgesetzt worden waren und dann sie am 23.
Nov. vor dem Hause des jetzigen Rector Magnifikus, des Hofraths Thiersch, stehen sah, wie sie
dem Vertheidiger akademischer Rechte und Freiheit einen Fackelzug und ein Bivat brach¬
ten, so erkennt man fast dieselbe Jugend nicht mehr; und doch stehen beide Demon¬
strationen in enger Verbindung. Man wollte damals die Verbesserungen nicht jener
Dame verdanken, die allgemein, mit Recht oder Unrecht, als die Urheberin derselben
genannt wurde, ein Beweis von Moralität der nicht zu verachten ist. Jetzt ist die
Sache verjährt und man freut sich der Reformen. Ein Hauptgrund dieser Freude liegt
wohl auch in dem neuen Studieuplane. Herr v. Abel ließ nämlich in den dreißiger Jahren
den philosophischen Cursus auf zwei Jahre ausdehne", denn da, wenigstens an der hiesigen
Universität, keine wahre Philosophie mehr vorgetragen ward, litt der Katholizismus
der Studenten nicht, während sie ihr Geld vergeudeten und dann zahme Beamten wur¬
den. Nun ist der Minister gefallen und mit ihm auch ein Jahr des philosophischen
Cursus, was natürlich zur Folge hat, daß alle diejenigen, welche ein Jahr länger auf
der Universität zubringen mußten, ihm einen wohlgemeinten Fluch über die Alpen nach¬
senden. Hofrath Thiersch steht nnn an der Spitze der Hochschule und begünstigt in je¬
der Hinsicht eine freiere Regung, was der Wissenschaft, die sonst hier sehr darnicdcrlag,
von unendlichem Vortheil sein wird. Wer gezwungen war, die schwüle Siroccolnft
zur Zeit eiues Döllinger, Philipp's Höflcr, ?c, zu athmen, fühlt sich neu belebt, aber
es fragt sich, ob man nicht zu weit geht, wenn man unschädliche Personen, wie z. B.
den Privatdocenten ">-. Sepp, der in seine Heimath Tölz verbannt wurde, zu Märtyrern
ihrer Meinung macht. Auch wäre es gewiß ein großer Mißgriff, wenn, wie man sagt,
der Geheimrath v. Ringseis seines Lehrstuhls beraubt würde; denn ist derselbe auch sehr
katholisch gesinnt, so blieb ihm doch stets jener schleichende, kriechende Jesuitismus fremd,
der Manchen der Andern charakterisirt. Er ist ein trefflicher Arzt am Krankenbette,
läßt jeder Meinung Gerechtigkeit widerfahren und seine Spitalklinik ist eine wahre Er¬
holung sür den Mediziner, der auf der andern medizinischen Abtheilung des hiesigen
Krankenhauses jedes Semester eine andere Panacee pi eisen hören muß und gezwungen
ist, den Operationssaal zu einem Schauspielhaus herabgewürdigt zu sehen. "Jch operire
nicht allein aus Nothwendigkeit, sondern auch >>in elinicu" ist der Wahlspruch des
Professors der Chirurgie, aber er bleibt dabei uicht stehen, sondern ladet zu den Ope¬
rationen, die alle ans Einen Tag verschoben werden, die hiesigen höchsten Herrschaften
ein und zeigt seine Fertigkeit im Glicdcrvcrtilgcn, ein Gegensatz zu dem leider zu früh
verstorbenen Diefenbach, der mangelnde Glieder zu ersetzen trachtete. Strohmcyer'ö
Ausspruch, daß an der Jsar höchstens Bader, aber keine Chirurgen gedeihen, scheint
durch ihn nicht widerlegt zu werden. --

Dieser Tage gab die hiesige Liedertafel, die hauptsächlich aus Studenten und jun¬
gen Künstlern besteht zu Gunsten des ". Beseler eine Production, welche bei weitem
mehr besucht war und sich mehr Beifall erwarb, als das Hochamt in der Herzogspital-
E. D. kirche zum Heile des Sondcrbundes.




Verlag von Fr. L"do. Herbig. -- Redacteur: I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä,


IX.
Aus München.

Zwei F.ickelzüge. — Nur ein Zohr Philosophie! — Ringseis und der Professor der Chirurgie. — Kein
Dicfcnbnch. — Veseler-Concert.

Das ist der Vortheil der Jugend, daß sie, richtig geleitet, das Bessere erkennt,
dein Wahn vergangener Zeiten Valet sagt und mit freudigem Auge der Gestaltung der
Zukunft entgegensieht. Die Studierenden an der hiesigen Hochschule zeigen dies sehr
deutlich. Wenn man sie Anfangs März vor dem Hause der Lota Montez brüllen horte
weil einige Obscuranten unter den Professoren abgesetzt worden waren und dann sie am 23.
Nov. vor dem Hause des jetzigen Rector Magnifikus, des Hofraths Thiersch, stehen sah, wie sie
dem Vertheidiger akademischer Rechte und Freiheit einen Fackelzug und ein Bivat brach¬
ten, so erkennt man fast dieselbe Jugend nicht mehr; und doch stehen beide Demon¬
strationen in enger Verbindung. Man wollte damals die Verbesserungen nicht jener
Dame verdanken, die allgemein, mit Recht oder Unrecht, als die Urheberin derselben
genannt wurde, ein Beweis von Moralität der nicht zu verachten ist. Jetzt ist die
Sache verjährt und man freut sich der Reformen. Ein Hauptgrund dieser Freude liegt
wohl auch in dem neuen Studieuplane. Herr v. Abel ließ nämlich in den dreißiger Jahren
den philosophischen Cursus auf zwei Jahre ausdehne», denn da, wenigstens an der hiesigen
Universität, keine wahre Philosophie mehr vorgetragen ward, litt der Katholizismus
der Studenten nicht, während sie ihr Geld vergeudeten und dann zahme Beamten wur¬
den. Nun ist der Minister gefallen und mit ihm auch ein Jahr des philosophischen
Cursus, was natürlich zur Folge hat, daß alle diejenigen, welche ein Jahr länger auf
der Universität zubringen mußten, ihm einen wohlgemeinten Fluch über die Alpen nach¬
senden. Hofrath Thiersch steht nnn an der Spitze der Hochschule und begünstigt in je¬
der Hinsicht eine freiere Regung, was der Wissenschaft, die sonst hier sehr darnicdcrlag,
von unendlichem Vortheil sein wird. Wer gezwungen war, die schwüle Siroccolnft
zur Zeit eiues Döllinger, Philipp's Höflcr, ?c, zu athmen, fühlt sich neu belebt, aber
es fragt sich, ob man nicht zu weit geht, wenn man unschädliche Personen, wie z. B.
den Privatdocenten »>-. Sepp, der in seine Heimath Tölz verbannt wurde, zu Märtyrern
ihrer Meinung macht. Auch wäre es gewiß ein großer Mißgriff, wenn, wie man sagt,
der Geheimrath v. Ringseis seines Lehrstuhls beraubt würde; denn ist derselbe auch sehr
katholisch gesinnt, so blieb ihm doch stets jener schleichende, kriechende Jesuitismus fremd,
der Manchen der Andern charakterisirt. Er ist ein trefflicher Arzt am Krankenbette,
läßt jeder Meinung Gerechtigkeit widerfahren und seine Spitalklinik ist eine wahre Er¬
holung sür den Mediziner, der auf der andern medizinischen Abtheilung des hiesigen
Krankenhauses jedes Semester eine andere Panacee pi eisen hören muß und gezwungen
ist, den Operationssaal zu einem Schauspielhaus herabgewürdigt zu sehen. „Jch operire
nicht allein aus Nothwendigkeit, sondern auch >>in elinicu" ist der Wahlspruch des
Professors der Chirurgie, aber er bleibt dabei uicht stehen, sondern ladet zu den Ope¬
rationen, die alle ans Einen Tag verschoben werden, die hiesigen höchsten Herrschaften
ein und zeigt seine Fertigkeit im Glicdcrvcrtilgcn, ein Gegensatz zu dem leider zu früh
verstorbenen Diefenbach, der mangelnde Glieder zu ersetzen trachtete. Strohmcyer'ö
Ausspruch, daß an der Jsar höchstens Bader, aber keine Chirurgen gedeihen, scheint
durch ihn nicht widerlegt zu werden. —

Dieser Tage gab die hiesige Liedertafel, die hauptsächlich aus Studenten und jun¬
gen Künstlern besteht zu Gunsten des ». Beseler eine Production, welche bei weitem
mehr besucht war und sich mehr Beifall erwarb, als das Hochamt in der Herzogspital-
E. D. kirche zum Heile des Sondcrbundes.




Verlag von Fr. L«do. Herbig. — Redacteur: I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä,


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[0416] IX. Aus München. Zwei F.ickelzüge. — Nur ein Zohr Philosophie! — Ringseis und der Professor der Chirurgie. — Kein Dicfcnbnch. — Veseler-Concert. Das ist der Vortheil der Jugend, daß sie, richtig geleitet, das Bessere erkennt, dein Wahn vergangener Zeiten Valet sagt und mit freudigem Auge der Gestaltung der Zukunft entgegensieht. Die Studierenden an der hiesigen Hochschule zeigen dies sehr deutlich. Wenn man sie Anfangs März vor dem Hause der Lota Montez brüllen horte weil einige Obscuranten unter den Professoren abgesetzt worden waren und dann sie am 23. Nov. vor dem Hause des jetzigen Rector Magnifikus, des Hofraths Thiersch, stehen sah, wie sie dem Vertheidiger akademischer Rechte und Freiheit einen Fackelzug und ein Bivat brach¬ ten, so erkennt man fast dieselbe Jugend nicht mehr; und doch stehen beide Demon¬ strationen in enger Verbindung. Man wollte damals die Verbesserungen nicht jener Dame verdanken, die allgemein, mit Recht oder Unrecht, als die Urheberin derselben genannt wurde, ein Beweis von Moralität der nicht zu verachten ist. Jetzt ist die Sache verjährt und man freut sich der Reformen. Ein Hauptgrund dieser Freude liegt wohl auch in dem neuen Studieuplane. Herr v. Abel ließ nämlich in den dreißiger Jahren den philosophischen Cursus auf zwei Jahre ausdehne», denn da, wenigstens an der hiesigen Universität, keine wahre Philosophie mehr vorgetragen ward, litt der Katholizismus der Studenten nicht, während sie ihr Geld vergeudeten und dann zahme Beamten wur¬ den. Nun ist der Minister gefallen und mit ihm auch ein Jahr des philosophischen Cursus, was natürlich zur Folge hat, daß alle diejenigen, welche ein Jahr länger auf der Universität zubringen mußten, ihm einen wohlgemeinten Fluch über die Alpen nach¬ senden. Hofrath Thiersch steht nnn an der Spitze der Hochschule und begünstigt in je¬ der Hinsicht eine freiere Regung, was der Wissenschaft, die sonst hier sehr darnicdcrlag, von unendlichem Vortheil sein wird. Wer gezwungen war, die schwüle Siroccolnft zur Zeit eiues Döllinger, Philipp's Höflcr, ?c, zu athmen, fühlt sich neu belebt, aber es fragt sich, ob man nicht zu weit geht, wenn man unschädliche Personen, wie z. B. den Privatdocenten »>-. Sepp, der in seine Heimath Tölz verbannt wurde, zu Märtyrern ihrer Meinung macht. Auch wäre es gewiß ein großer Mißgriff, wenn, wie man sagt, der Geheimrath v. Ringseis seines Lehrstuhls beraubt würde; denn ist derselbe auch sehr katholisch gesinnt, so blieb ihm doch stets jener schleichende, kriechende Jesuitismus fremd, der Manchen der Andern charakterisirt. Er ist ein trefflicher Arzt am Krankenbette, läßt jeder Meinung Gerechtigkeit widerfahren und seine Spitalklinik ist eine wahre Er¬ holung sür den Mediziner, der auf der andern medizinischen Abtheilung des hiesigen Krankenhauses jedes Semester eine andere Panacee pi eisen hören muß und gezwungen ist, den Operationssaal zu einem Schauspielhaus herabgewürdigt zu sehen. „Jch operire nicht allein aus Nothwendigkeit, sondern auch >>in elinicu" ist der Wahlspruch des Professors der Chirurgie, aber er bleibt dabei uicht stehen, sondern ladet zu den Ope¬ rationen, die alle ans Einen Tag verschoben werden, die hiesigen höchsten Herrschaften ein und zeigt seine Fertigkeit im Glicdcrvcrtilgcn, ein Gegensatz zu dem leider zu früh verstorbenen Diefenbach, der mangelnde Glieder zu ersetzen trachtete. Strohmcyer'ö Ausspruch, daß an der Jsar höchstens Bader, aber keine Chirurgen gedeihen, scheint durch ihn nicht widerlegt zu werden. — Dieser Tage gab die hiesige Liedertafel, die hauptsächlich aus Studenten und jun¬ gen Künstlern besteht zu Gunsten des ». Beseler eine Production, welche bei weitem mehr besucht war und sich mehr Beifall erwarb, als das Hochamt in der Herzogspital- E. D. kirche zum Heile des Sondcrbundes. Verlag von Fr. L«do. Herbig. — Redacteur: I. Kuranda. Druck von Friedrich Andrä,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/416>, abgerufen am 12.12.2024.