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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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einen Anfall von Pietät bekommen, und eine Deputation abgesandt, die darauf
antragen soll, daß ein solcher Greuel im christlichen England nicht stattfinde. Daß
Alles an dem Namen liege, ist klar, denn d'Jsraeli blieb stets ein Jude, wenn er
gleich als Christ im Parlamente sitzt, und seine Schriften haben hinlänglich bewie¬
sen, wie hoch er sein Volk stellt. Und auch außerdem weiden der falschen Eide
im christlichen England genug geschworen, um den Schein zu retten; aber der
Name macht hier die Sache, und an diesen wird man sich so lange stoßen, wie
man nur kann. Das Lange wird aber so lange nicht sein.

Auch einen neuen Pfeiler hat sich die hohe Kirche zugelegt, indem sie Master
Musgrave, bis dahin Bischof von Hereford, zum Erzbischof vou Uork erhoben, ein
Posten, der ihm deu Vorrang vor den Herzögen des Landes gibt. Dieser Mr.
Mnsgrave ist der Sohn eines Schneiders, und besitzt weder besonderen Geist noch
Talente; seine Carriere ist daher eine so glückliche, daß Niemand begreift, wie er
sie gemacht -- vielleicht er selbst am wenigsten. Auch ist er nicht einmal unge¬
wöhnlich fromm, orthodox, oder betlustig; nichts vou dem Allen, womit man
sich in heutiger Zeit sowohl hier als in Deutschland einen Weg bahnt. Es ist
also blos Hans im Glück.

Wenn nun aber einmal die Rede von kirchlichen Angelegenheiten ist, so darf
man nicht unbemerkt lassen welch ein großes Verbrechen neulich gegen den größten
der schottischen Götzen, den Sonntag, begangen worden ist. Fanny Kemble, deren
Name als Schauspielerin und Schriftstellerin bekannt ist, wollte sich gerne an ei¬
nem Sonntag von Edinburgh uach Glasgow begeben, und da an diesem Tage
kein Zug abgeht, so waren die Herrn Direktoren so artig einen Extra-Zug zu
befehlen. Das war nun über alle Begriffe gottlos, ja so gottlos, daß sich fürch¬
ten läßt, der liebe Gott werde es nöthig finden eine specielle Rache dafür an dem
Lande 'zu nehmen, wo diese Sünde begangen ward; vielleicht läßt er nun die
Kartoffeln mißrathen und dann muß das arme Volk wegen Fanny Kemble Hun¬
ger leiden, während die Herrn Direktoren immer noch Mittel und Wege finden
sich v" -ttlvmlimt mit andern guten Dingen zu nähren. Das ist die Gerechtigkeit,
^ uicht der Welt, wie man immer sagt, -- sondern Gottes in England. --
Wir haben das bei dem großen Fasttag gesehen.

Die Eisenbahnen schämen sich hier aber überhaupt nicht unter dem Schulze
der himmlischen Mächte zu stehen, und die irdischen leknmmern sich weniger um
ein paar Leben, so lange die ki-ni ma,I Sinn-es gut stehen; daher hört man vou
immer neuen Unglücksfällen, ohne daß an Maßregeln zur Vorbeugung derselben
gedacht wurde. In Deutschland fährt man freilich bedeutend langsamer und wird
oft eine Viertelstunde vor dem Abgang des Zuges in die Wagen eingesperrt, we ö
auf einer langen und ermüdenden Reise, wie die von Berlin nach Cöln ein Uebel-
stand ist, weil jede Minnte die man stehenden Fußes zubringen kann, eine Wohl¬
that wird. Dafür ist man denn aber auch sicher zu rechter Zeit ans seinem


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einen Anfall von Pietät bekommen, und eine Deputation abgesandt, die darauf
antragen soll, daß ein solcher Greuel im christlichen England nicht stattfinde. Daß
Alles an dem Namen liege, ist klar, denn d'Jsraeli blieb stets ein Jude, wenn er
gleich als Christ im Parlamente sitzt, und seine Schriften haben hinlänglich bewie¬
sen, wie hoch er sein Volk stellt. Und auch außerdem weiden der falschen Eide
im christlichen England genug geschworen, um den Schein zu retten; aber der
Name macht hier die Sache, und an diesen wird man sich so lange stoßen, wie
man nur kann. Das Lange wird aber so lange nicht sein.

Auch einen neuen Pfeiler hat sich die hohe Kirche zugelegt, indem sie Master
Musgrave, bis dahin Bischof von Hereford, zum Erzbischof vou Uork erhoben, ein
Posten, der ihm deu Vorrang vor den Herzögen des Landes gibt. Dieser Mr.
Mnsgrave ist der Sohn eines Schneiders, und besitzt weder besonderen Geist noch
Talente; seine Carriere ist daher eine so glückliche, daß Niemand begreift, wie er
sie gemacht — vielleicht er selbst am wenigsten. Auch ist er nicht einmal unge¬
wöhnlich fromm, orthodox, oder betlustig; nichts vou dem Allen, womit man
sich in heutiger Zeit sowohl hier als in Deutschland einen Weg bahnt. Es ist
also blos Hans im Glück.

Wenn nun aber einmal die Rede von kirchlichen Angelegenheiten ist, so darf
man nicht unbemerkt lassen welch ein großes Verbrechen neulich gegen den größten
der schottischen Götzen, den Sonntag, begangen worden ist. Fanny Kemble, deren
Name als Schauspielerin und Schriftstellerin bekannt ist, wollte sich gerne an ei¬
nem Sonntag von Edinburgh uach Glasgow begeben, und da an diesem Tage
kein Zug abgeht, so waren die Herrn Direktoren so artig einen Extra-Zug zu
befehlen. Das war nun über alle Begriffe gottlos, ja so gottlos, daß sich fürch¬
ten läßt, der liebe Gott werde es nöthig finden eine specielle Rache dafür an dem
Lande 'zu nehmen, wo diese Sünde begangen ward; vielleicht läßt er nun die
Kartoffeln mißrathen und dann muß das arme Volk wegen Fanny Kemble Hun¬
ger leiden, während die Herrn Direktoren immer noch Mittel und Wege finden
sich v» -ttlvmlimt mit andern guten Dingen zu nähren. Das ist die Gerechtigkeit,
^ uicht der Welt, wie man immer sagt, — sondern Gottes in England. —
Wir haben das bei dem großen Fasttag gesehen.

Die Eisenbahnen schämen sich hier aber überhaupt nicht unter dem Schulze
der himmlischen Mächte zu stehen, und die irdischen leknmmern sich weniger um
ein paar Leben, so lange die ki-ni ma,I Sinn-es gut stehen; daher hört man vou
immer neuen Unglücksfällen, ohne daß an Maßregeln zur Vorbeugung derselben
gedacht wurde. In Deutschland fährt man freilich bedeutend langsamer und wird
oft eine Viertelstunde vor dem Abgang des Zuges in die Wagen eingesperrt, we ö
auf einer langen und ermüdenden Reise, wie die von Berlin nach Cöln ein Uebel-
stand ist, weil jede Minnte die man stehenden Fußes zubringen kann, eine Wohl¬
that wird. Dafür ist man denn aber auch sicher zu rechter Zeit ans seinem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/395>, abgerufen am 22.07.2024.