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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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auszuweisen. Dabei aber herrscht wieder, mit einigen wenigen Ausnahmen, eine
se> schlechte Pflasterung, eine so widrige Schmutzigkeit auf den straften, in den
andern, besonders den älteren Stadttheilen. Oder noch ein Beispiel, wie man
deren gar viele noch anführen könnte. Die Hamburger Gastfreiheit ist sehr aus¬
gedehnt ; der nur einigermaßen empfohlene Fremde wird mit vieler Liberalität auf¬
genommen und bald zu Diners eingeladen, welche das Auserlesenste an Küche und
Keller darbieten, und hinter denen manche fürstliche Tafel weit zurückstehen muß.
Aber so wie er das Hans verlassen will, steht der reichgallonirte Bediente mit
gekrümmter Hand an der Thür und es ist unumgängliche Sitte, ein Zwei-Mark-
Stück als Trinkgeld hincinzndrückcn. Soll es doch ganz vornehme (?) Häuser geben,
die ihre Domestiken förmlich aus das Trinkgeld mit anweisen und genane Controle
darüber halten, wie viel ein jeder Gast gegeben. Ist dies aber nicht eine über¬
aus schmutzige Sitte, sich auf solche Weise seine Gastfreundschaft mit bezahlen zu
lassen, wird man ähnlichen Gebrauch wohl sonst noch, Bremen vielleicht ausge-
nommen, in ganz Deutschland finden? Die Prostitution wird förmlich hier unter
den Schutz des Gesetzes genommen, eine hohe Abgabe von den unglücklichen
Wesen erpreßt, förmlich Buch und Register über dieselben geführt, und es
geduldet, daß sie in manchen Gassen ihr ehrloses Gewerbe mit einer Scham¬
losigkeit treiben, wie man es sonst nirgends (?) weiter finden wird während
die Geistlichkeit ihnen den Genuß des Abendmahles verweigerte, ja sogar
ans alle Handwerker und Hauseigenthümer, welche vorzugsweise von diesen
Prostituirten leben, ausdehnen will. Wie paßt dies zusammen? Solche in¬
nere und äußere Widersprüche könnte mau noch gar viele hier anführen, wenn
nicht der Raum dafür zu gering wäre. So auch noch, daß hier, wo man den
Hafen mit nicht wieder vergoltener Liberalität für die Schiffe aller Nationen auf
gleiche Weise öffnet, sonst bei einigen Gewerben ein Zunftzwang, eine Engher¬
zigkeit der Aufnahme herrscht, von der man im übrigen ganzen Deutschland glück¬
licher Weise keinen Begriff mehr hat. Auch der Hamburger Bürger selbst auf der
einen Seite voll festen, ihm wohl anstehenden Bürgerstolzes, ist auf der andern Seite
wieder von einem übergroßen, selbst oft lächerlichen Respect gegen Alles was reich
lst, und diesen Reichthum wohlgefällig zur Schau trägt, durchdrungen.

Aber trotz aller dieser inneren und äußeren Widersprüche, trotz der mancherlei
Ungerechtigkeiten und Lächerlichkeiten, denen man hier täglich begegnet, und die
reichen Stoff zu Spott oder Aerger geben, ist Hamburg doch sehr großstädtisch.



*) La Gegentheil; es ist dies in allen Hafenstädten der Fall, und die Erfahrung lehrt,
daß es so sein muß. Auch ist die controlirte und überwachte Prostitution, worin Hamburg
der französischen Gesetzgebung folgt, weit weniger demoralisirend und gefährlich, als jene
scheinheilige Prüderie gewisser deutschen Städte, welche, "um die öffentliche Sünde nicht zu
theilen," einen Zustand der Dinge einreißen läßt, den man in öffentlichen Blättern gar nicht
besprechen kann.
KrciiMcn. lo. 1847. 48

auszuweisen. Dabei aber herrscht wieder, mit einigen wenigen Ausnahmen, eine
se> schlechte Pflasterung, eine so widrige Schmutzigkeit auf den straften, in den
andern, besonders den älteren Stadttheilen. Oder noch ein Beispiel, wie man
deren gar viele noch anführen könnte. Die Hamburger Gastfreiheit ist sehr aus¬
gedehnt ; der nur einigermaßen empfohlene Fremde wird mit vieler Liberalität auf¬
genommen und bald zu Diners eingeladen, welche das Auserlesenste an Küche und
Keller darbieten, und hinter denen manche fürstliche Tafel weit zurückstehen muß.
Aber so wie er das Hans verlassen will, steht der reichgallonirte Bediente mit
gekrümmter Hand an der Thür und es ist unumgängliche Sitte, ein Zwei-Mark-
Stück als Trinkgeld hincinzndrückcn. Soll es doch ganz vornehme (?) Häuser geben,
die ihre Domestiken förmlich aus das Trinkgeld mit anweisen und genane Controle
darüber halten, wie viel ein jeder Gast gegeben. Ist dies aber nicht eine über¬
aus schmutzige Sitte, sich auf solche Weise seine Gastfreundschaft mit bezahlen zu
lassen, wird man ähnlichen Gebrauch wohl sonst noch, Bremen vielleicht ausge-
nommen, in ganz Deutschland finden? Die Prostitution wird förmlich hier unter
den Schutz des Gesetzes genommen, eine hohe Abgabe von den unglücklichen
Wesen erpreßt, förmlich Buch und Register über dieselben geführt, und es
geduldet, daß sie in manchen Gassen ihr ehrloses Gewerbe mit einer Scham¬
losigkeit treiben, wie man es sonst nirgends (?) weiter finden wird während
die Geistlichkeit ihnen den Genuß des Abendmahles verweigerte, ja sogar
ans alle Handwerker und Hauseigenthümer, welche vorzugsweise von diesen
Prostituirten leben, ausdehnen will. Wie paßt dies zusammen? Solche in¬
nere und äußere Widersprüche könnte mau noch gar viele hier anführen, wenn
nicht der Raum dafür zu gering wäre. So auch noch, daß hier, wo man den
Hafen mit nicht wieder vergoltener Liberalität für die Schiffe aller Nationen auf
gleiche Weise öffnet, sonst bei einigen Gewerben ein Zunftzwang, eine Engher¬
zigkeit der Aufnahme herrscht, von der man im übrigen ganzen Deutschland glück¬
licher Weise keinen Begriff mehr hat. Auch der Hamburger Bürger selbst auf der
einen Seite voll festen, ihm wohl anstehenden Bürgerstolzes, ist auf der andern Seite
wieder von einem übergroßen, selbst oft lächerlichen Respect gegen Alles was reich
lst, und diesen Reichthum wohlgefällig zur Schau trägt, durchdrungen.

Aber trotz aller dieser inneren und äußeren Widersprüche, trotz der mancherlei
Ungerechtigkeiten und Lächerlichkeiten, denen man hier täglich begegnet, und die
reichen Stoff zu Spott oder Aerger geben, ist Hamburg doch sehr großstädtisch.



*) La Gegentheil; es ist dies in allen Hafenstädten der Fall, und die Erfahrung lehrt,
daß es so sein muß. Auch ist die controlirte und überwachte Prostitution, worin Hamburg
der französischen Gesetzgebung folgt, weit weniger demoralisirend und gefährlich, als jene
scheinheilige Prüderie gewisser deutschen Städte, welche, „um die öffentliche Sünde nicht zu
theilen," einen Zustand der Dinge einreißen läßt, den man in öffentlichen Blättern gar nicht
besprechen kann.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/377>, abgerufen am 22.07.2024.