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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Städte, sich ein so weites Handelsgebiet erringen, ihren derartigen Geschäften eine
so große Ausdehnung geben, sich selbst einen so geachteten Namen darin erwerben
können. Hätten sie einem monarchischen Staate angehört, wahrscheinlich wäre
dies nicht der Fall gewesen. Nach gewohnter Art hätte man so viel Gesetze und
Verfügungen aller Art gewiß oft in der wohlwollendsten Absicht erlassen, daß die
freie Handelsthätigkeit darunter verkümmert wäre. Diese wenigen Abgaben, ver¬
bunden mit der Gedeihlichkeit des Handels, haben aber in diesen Städten einen
selbst bis auf die untersten Stände herabgehenden Wohlstand verbreitet.

Nirgends in Deutschland ist das Arbeitslohn, selbst für den geringsten Hand¬
arbeiter, höher, nirgends lebt dieser besser, ißt kräftigere Speisen, kleidet sich
ordentlicher und reinlicher, nirgends wird man weniger Arme finden als gerade
hier. Dies Alles aber ist ein unendlicher Vorzug, der manches andere gern er¬
tragen läßt. Dann hat auch diese republikanische Verfassung, so sehr sie immer¬
hin in ihrer freien Entwickelung auf alle Weise gehemmt ist, ein Selbstgefühl,
einen Bürgerstvlz erzeugt, wie er uur erfreulich sein kann. Es hat doch in diesen
Städten noch einige Bedeutung das Wort "Bürger," was auch wieder viele
Pflichten für das Allgemeine auferlegt. Wohlhabende, selbst von eigenen Geschäf¬
ten fast erdrückte Männer, werden sich hier nicht scheuen, beschwerlichen Commuual-
ämtern, die weiter nichts als viel Arbeit und oft noch viel größeren Undank
bringen, ihre Zeit und Kräfte zu opfern, ja selbst, wenn es nicht anders sein kann,
die untergeordnetsten, oft widerlichsten Dienste dabei zu verrichten. Wo findet man
ein Gleiches aber in unseren monarchischen Staaten, wo Jeder gewohnt ist, Alles
der abgeschlossenen, streng gegliederten Bureaukratie zu überlassen, und sich so viel
als möglich hütet, dem Gemeindewesen seine Kräfte zu widmen.

Dies Alles ist diesen norddeutschen Hanse-Städten so ziemlich gemeinsam.
Dazu haben sie als äußeres Band ein gemeinsames Militärcontingent, was mit
den Oldenburgern zusammen eine Brigade bildet, eine gemeinsame Vertretung
beim deutschen Bunde, und mit Frankfurt ein gemeinsames, sehr mit Geschäften
überladenes und daher auch sehr langsames Ober-Appellations-Gericht zu Lübeck,
wie auch den gemeinsamen Hanse-Namen und mitunter, wenn auch nicht immer,
gemeinsame Consulate im Auslande. Lübeck und Hamburg haben auch ein gemein¬
sames Landgebiet von einigen Quadratmeilen, die sogenannten "Vierlande" mit
demi Städtchen Bergedorf. Sonst herrscht völlige Getrenntheit zwischen denselben,
ja oft, wie z. B. zwischen Bremen und Hamburg augenblicklich viel Eifersucht
und Gespanntheit, ans Handelsrivalität hervorgehend.

Wir wollen nun etwas mehr auf die nähere Charakteristik dieser einzelnen
Städte hier eingehen.


Städte, sich ein so weites Handelsgebiet erringen, ihren derartigen Geschäften eine
so große Ausdehnung geben, sich selbst einen so geachteten Namen darin erwerben
können. Hätten sie einem monarchischen Staate angehört, wahrscheinlich wäre
dies nicht der Fall gewesen. Nach gewohnter Art hätte man so viel Gesetze und
Verfügungen aller Art gewiß oft in der wohlwollendsten Absicht erlassen, daß die
freie Handelsthätigkeit darunter verkümmert wäre. Diese wenigen Abgaben, ver¬
bunden mit der Gedeihlichkeit des Handels, haben aber in diesen Städten einen
selbst bis auf die untersten Stände herabgehenden Wohlstand verbreitet.

Nirgends in Deutschland ist das Arbeitslohn, selbst für den geringsten Hand¬
arbeiter, höher, nirgends lebt dieser besser, ißt kräftigere Speisen, kleidet sich
ordentlicher und reinlicher, nirgends wird man weniger Arme finden als gerade
hier. Dies Alles aber ist ein unendlicher Vorzug, der manches andere gern er¬
tragen läßt. Dann hat auch diese republikanische Verfassung, so sehr sie immer¬
hin in ihrer freien Entwickelung auf alle Weise gehemmt ist, ein Selbstgefühl,
einen Bürgerstvlz erzeugt, wie er uur erfreulich sein kann. Es hat doch in diesen
Städten noch einige Bedeutung das Wort „Bürger," was auch wieder viele
Pflichten für das Allgemeine auferlegt. Wohlhabende, selbst von eigenen Geschäf¬
ten fast erdrückte Männer, werden sich hier nicht scheuen, beschwerlichen Commuual-
ämtern, die weiter nichts als viel Arbeit und oft noch viel größeren Undank
bringen, ihre Zeit und Kräfte zu opfern, ja selbst, wenn es nicht anders sein kann,
die untergeordnetsten, oft widerlichsten Dienste dabei zu verrichten. Wo findet man
ein Gleiches aber in unseren monarchischen Staaten, wo Jeder gewohnt ist, Alles
der abgeschlossenen, streng gegliederten Bureaukratie zu überlassen, und sich so viel
als möglich hütet, dem Gemeindewesen seine Kräfte zu widmen.

Dies Alles ist diesen norddeutschen Hanse-Städten so ziemlich gemeinsam.
Dazu haben sie als äußeres Band ein gemeinsames Militärcontingent, was mit
den Oldenburgern zusammen eine Brigade bildet, eine gemeinsame Vertretung
beim deutschen Bunde, und mit Frankfurt ein gemeinsames, sehr mit Geschäften
überladenes und daher auch sehr langsames Ober-Appellations-Gericht zu Lübeck,
wie auch den gemeinsamen Hanse-Namen und mitunter, wenn auch nicht immer,
gemeinsame Consulate im Auslande. Lübeck und Hamburg haben auch ein gemein¬
sames Landgebiet von einigen Quadratmeilen, die sogenannten „Vierlande" mit
demi Städtchen Bergedorf. Sonst herrscht völlige Getrenntheit zwischen denselben,
ja oft, wie z. B. zwischen Bremen und Hamburg augenblicklich viel Eifersucht
und Gespanntheit, ans Handelsrivalität hervorgehend.

Wir wollen nun etwas mehr auf die nähere Charakteristik dieser einzelnen
Städte hier eingehen.


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[0372] Städte, sich ein so weites Handelsgebiet erringen, ihren derartigen Geschäften eine so große Ausdehnung geben, sich selbst einen so geachteten Namen darin erwerben können. Hätten sie einem monarchischen Staate angehört, wahrscheinlich wäre dies nicht der Fall gewesen. Nach gewohnter Art hätte man so viel Gesetze und Verfügungen aller Art gewiß oft in der wohlwollendsten Absicht erlassen, daß die freie Handelsthätigkeit darunter verkümmert wäre. Diese wenigen Abgaben, ver¬ bunden mit der Gedeihlichkeit des Handels, haben aber in diesen Städten einen selbst bis auf die untersten Stände herabgehenden Wohlstand verbreitet. Nirgends in Deutschland ist das Arbeitslohn, selbst für den geringsten Hand¬ arbeiter, höher, nirgends lebt dieser besser, ißt kräftigere Speisen, kleidet sich ordentlicher und reinlicher, nirgends wird man weniger Arme finden als gerade hier. Dies Alles aber ist ein unendlicher Vorzug, der manches andere gern er¬ tragen läßt. Dann hat auch diese republikanische Verfassung, so sehr sie immer¬ hin in ihrer freien Entwickelung auf alle Weise gehemmt ist, ein Selbstgefühl, einen Bürgerstvlz erzeugt, wie er uur erfreulich sein kann. Es hat doch in diesen Städten noch einige Bedeutung das Wort „Bürger," was auch wieder viele Pflichten für das Allgemeine auferlegt. Wohlhabende, selbst von eigenen Geschäf¬ ten fast erdrückte Männer, werden sich hier nicht scheuen, beschwerlichen Commuual- ämtern, die weiter nichts als viel Arbeit und oft noch viel größeren Undank bringen, ihre Zeit und Kräfte zu opfern, ja selbst, wenn es nicht anders sein kann, die untergeordnetsten, oft widerlichsten Dienste dabei zu verrichten. Wo findet man ein Gleiches aber in unseren monarchischen Staaten, wo Jeder gewohnt ist, Alles der abgeschlossenen, streng gegliederten Bureaukratie zu überlassen, und sich so viel als möglich hütet, dem Gemeindewesen seine Kräfte zu widmen. Dies Alles ist diesen norddeutschen Hanse-Städten so ziemlich gemeinsam. Dazu haben sie als äußeres Band ein gemeinsames Militärcontingent, was mit den Oldenburgern zusammen eine Brigade bildet, eine gemeinsame Vertretung beim deutschen Bunde, und mit Frankfurt ein gemeinsames, sehr mit Geschäften überladenes und daher auch sehr langsames Ober-Appellations-Gericht zu Lübeck, wie auch den gemeinsamen Hanse-Namen und mitunter, wenn auch nicht immer, gemeinsame Consulate im Auslande. Lübeck und Hamburg haben auch ein gemein¬ sames Landgebiet von einigen Quadratmeilen, die sogenannten „Vierlande" mit demi Städtchen Bergedorf. Sonst herrscht völlige Getrenntheit zwischen denselben, ja oft, wie z. B. zwischen Bremen und Hamburg augenblicklich viel Eifersucht und Gespanntheit, ans Handelsrivalität hervorgehend. Wir wollen nun etwas mehr auf die nähere Charakteristik dieser einzelnen Städte hier eingehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/372>, abgerufen am 22.07.2024.