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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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desselben unterworfen. Auch ist ihre Verfassung uicht der Art, daß die große Menge
ihrer Einwohner es gar zu sehr empfinden sollte in einem Freistaat zu leben. Trotz
Bürgerschaft und ihrer Vertretung durch das Kollegium der "Oberalten," und
das diesem wieder sich anschließende der "Sechziger," und darauf wieder der "Hundert¬
achtziger," thut ein wohlweiser Senat in ihnen so ziemlich was er will und legt
nur gerade so viel Rechenschaft von seinem Regieren ab, wie er selbst es für gut
befindet. Wer nicht Geld und nochmals wieder Geld, und zum drittenmal Geld
oder in Ermangelung dessen gar viele mächtige Vettern und Basen hat, der ist
in diesen freien Städten anch uicht im Mindesten freier und hat in keiner Weise
mehr Rechte, als in den meisten unserer deutscheu monarchischen Staaten. Im
Gegentheil! Die Verfassungen unserer meisten constitutionellen Staaten räu¬
men anch den ärmeren nicht mit "Erben" angesessenen Staatsbürgern einen viel
größeren Antheil an politischen Rechten ein, wie dieselbe in Hamburg, Lübeck und
Bremen besitzen würden. Es herrschen in Würtemberg und gar in Baden viel
freiere Institutionen, und der Fortschritt in politischer Hinsicht macht dort sich viel
geltender als in diesen Republiken. Die Censur ist daselbst lange nicht so strenge
und engherzig wie hier, wo sie theils jede freimüthige Besprechung der innern
Angelegenheiten verwehrt, als auch gar voll über und über ängstlicher Rücksichten
gegen ändere Staaten ist. Ein deutscher Gesandter braucht sich nur im Mindesten
beim Senat dieser Städte zu beschweren, es habe ein ihm mißfälliger Artikel in
einem Blatte derselben gestanden, und er wird sicher sein eine Genugthuung, der
Censor, der solchen passiren ließ aber eine Nase zu bekommen. Dürfen doch z. B.
jetzt in den Hamburger Blättern nicht Aufrufe zu Sammlungen für einen "Bese-
ler-Fonds" erlassen werden, wie es in fast allen deutschen Staaten geschieht,
blos aus Furcht, der König von Dänemark könne dies übel anerkennen und seine
Ungnade den Hamburger Senat auf irgeud eine Art empfinden lassen. Nirgends
wird man auch einen größern Nepotismus finden wie gerade hier. Der talent^
vollste, gebildetste junge Mann, wenn er ohne Vermögen und Protection ist, wird
vergebens trachten eine Anstellung zu erhalten; dem Sohne eines Bürgermeisters
oder reichen viel vermögenden Handelsherrn wird solche fast von selbst zufallen.
Dabei ist hier das Gerichtsverfahren umständlicher und langsamer, kostspieliger
und dadurch viel schlechter als wohl in irgend einem andern Lande. Oeffentlich-
keit und Mündlichkeit herrscht nur beim Handelsgerichte, sonst ist ein Verfahren
wie man es an vielen Orten kaum mehr kennt und wo es noch stattfindet mit allem
Eiser abzuschaffen strebt. Wer nur den geringsten Proceß anfangen will, der muß
vorerst Geld, viel Geld und dann viel Zeit besitzen, sonst gebe er es nur auf,
wenn er auch die gerechteste Sache hat. Alte Bocksbenteleien, wie das Mit¬
telalter sie erfand, unsere Zeit sie aber längst als lächerlich verwarf, findet man
dagegen in diesen Städten noch in Hülle und Fülle. Man sehe unter Andern die
Ceremonien an, die beim Wegfahren eines Bürgermeisters, aus dem Senat statt-


desselben unterworfen. Auch ist ihre Verfassung uicht der Art, daß die große Menge
ihrer Einwohner es gar zu sehr empfinden sollte in einem Freistaat zu leben. Trotz
Bürgerschaft und ihrer Vertretung durch das Kollegium der „Oberalten," und
das diesem wieder sich anschließende der „Sechziger," und darauf wieder der „Hundert¬
achtziger," thut ein wohlweiser Senat in ihnen so ziemlich was er will und legt
nur gerade so viel Rechenschaft von seinem Regieren ab, wie er selbst es für gut
befindet. Wer nicht Geld und nochmals wieder Geld, und zum drittenmal Geld
oder in Ermangelung dessen gar viele mächtige Vettern und Basen hat, der ist
in diesen freien Städten anch uicht im Mindesten freier und hat in keiner Weise
mehr Rechte, als in den meisten unserer deutscheu monarchischen Staaten. Im
Gegentheil! Die Verfassungen unserer meisten constitutionellen Staaten räu¬
men anch den ärmeren nicht mit „Erben" angesessenen Staatsbürgern einen viel
größeren Antheil an politischen Rechten ein, wie dieselbe in Hamburg, Lübeck und
Bremen besitzen würden. Es herrschen in Würtemberg und gar in Baden viel
freiere Institutionen, und der Fortschritt in politischer Hinsicht macht dort sich viel
geltender als in diesen Republiken. Die Censur ist daselbst lange nicht so strenge
und engherzig wie hier, wo sie theils jede freimüthige Besprechung der innern
Angelegenheiten verwehrt, als auch gar voll über und über ängstlicher Rücksichten
gegen ändere Staaten ist. Ein deutscher Gesandter braucht sich nur im Mindesten
beim Senat dieser Städte zu beschweren, es habe ein ihm mißfälliger Artikel in
einem Blatte derselben gestanden, und er wird sicher sein eine Genugthuung, der
Censor, der solchen passiren ließ aber eine Nase zu bekommen. Dürfen doch z. B.
jetzt in den Hamburger Blättern nicht Aufrufe zu Sammlungen für einen „Bese-
ler-Fonds" erlassen werden, wie es in fast allen deutschen Staaten geschieht,
blos aus Furcht, der König von Dänemark könne dies übel anerkennen und seine
Ungnade den Hamburger Senat auf irgeud eine Art empfinden lassen. Nirgends
wird man auch einen größern Nepotismus finden wie gerade hier. Der talent^
vollste, gebildetste junge Mann, wenn er ohne Vermögen und Protection ist, wird
vergebens trachten eine Anstellung zu erhalten; dem Sohne eines Bürgermeisters
oder reichen viel vermögenden Handelsherrn wird solche fast von selbst zufallen.
Dabei ist hier das Gerichtsverfahren umständlicher und langsamer, kostspieliger
und dadurch viel schlechter als wohl in irgend einem andern Lande. Oeffentlich-
keit und Mündlichkeit herrscht nur beim Handelsgerichte, sonst ist ein Verfahren
wie man es an vielen Orten kaum mehr kennt und wo es noch stattfindet mit allem
Eiser abzuschaffen strebt. Wer nur den geringsten Proceß anfangen will, der muß
vorerst Geld, viel Geld und dann viel Zeit besitzen, sonst gebe er es nur auf,
wenn er auch die gerechteste Sache hat. Alte Bocksbenteleien, wie das Mit¬
telalter sie erfand, unsere Zeit sie aber längst als lächerlich verwarf, findet man
dagegen in diesen Städten noch in Hülle und Fülle. Man sehe unter Andern die
Ceremonien an, die beim Wegfahren eines Bürgermeisters, aus dem Senat statt-


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[0370] desselben unterworfen. Auch ist ihre Verfassung uicht der Art, daß die große Menge ihrer Einwohner es gar zu sehr empfinden sollte in einem Freistaat zu leben. Trotz Bürgerschaft und ihrer Vertretung durch das Kollegium der „Oberalten," und das diesem wieder sich anschließende der „Sechziger," und darauf wieder der „Hundert¬ achtziger," thut ein wohlweiser Senat in ihnen so ziemlich was er will und legt nur gerade so viel Rechenschaft von seinem Regieren ab, wie er selbst es für gut befindet. Wer nicht Geld und nochmals wieder Geld, und zum drittenmal Geld oder in Ermangelung dessen gar viele mächtige Vettern und Basen hat, der ist in diesen freien Städten anch uicht im Mindesten freier und hat in keiner Weise mehr Rechte, als in den meisten unserer deutscheu monarchischen Staaten. Im Gegentheil! Die Verfassungen unserer meisten constitutionellen Staaten räu¬ men anch den ärmeren nicht mit „Erben" angesessenen Staatsbürgern einen viel größeren Antheil an politischen Rechten ein, wie dieselbe in Hamburg, Lübeck und Bremen besitzen würden. Es herrschen in Würtemberg und gar in Baden viel freiere Institutionen, und der Fortschritt in politischer Hinsicht macht dort sich viel geltender als in diesen Republiken. Die Censur ist daselbst lange nicht so strenge und engherzig wie hier, wo sie theils jede freimüthige Besprechung der innern Angelegenheiten verwehrt, als auch gar voll über und über ängstlicher Rücksichten gegen ändere Staaten ist. Ein deutscher Gesandter braucht sich nur im Mindesten beim Senat dieser Städte zu beschweren, es habe ein ihm mißfälliger Artikel in einem Blatte derselben gestanden, und er wird sicher sein eine Genugthuung, der Censor, der solchen passiren ließ aber eine Nase zu bekommen. Dürfen doch z. B. jetzt in den Hamburger Blättern nicht Aufrufe zu Sammlungen für einen „Bese- ler-Fonds" erlassen werden, wie es in fast allen deutschen Staaten geschieht, blos aus Furcht, der König von Dänemark könne dies übel anerkennen und seine Ungnade den Hamburger Senat auf irgeud eine Art empfinden lassen. Nirgends wird man auch einen größern Nepotismus finden wie gerade hier. Der talent^ vollste, gebildetste junge Mann, wenn er ohne Vermögen und Protection ist, wird vergebens trachten eine Anstellung zu erhalten; dem Sohne eines Bürgermeisters oder reichen viel vermögenden Handelsherrn wird solche fast von selbst zufallen. Dabei ist hier das Gerichtsverfahren umständlicher und langsamer, kostspieliger und dadurch viel schlechter als wohl in irgend einem andern Lande. Oeffentlich- keit und Mündlichkeit herrscht nur beim Handelsgerichte, sonst ist ein Verfahren wie man es an vielen Orten kaum mehr kennt und wo es noch stattfindet mit allem Eiser abzuschaffen strebt. Wer nur den geringsten Proceß anfangen will, der muß vorerst Geld, viel Geld und dann viel Zeit besitzen, sonst gebe er es nur auf, wenn er auch die gerechteste Sache hat. Alte Bocksbenteleien, wie das Mit¬ telalter sie erfand, unsere Zeit sie aber längst als lächerlich verwarf, findet man dagegen in diesen Städten noch in Hülle und Fülle. Man sehe unter Andern die Ceremonien an, die beim Wegfahren eines Bürgermeisters, aus dem Senat statt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/370>, abgerufen am 22.07.2024.