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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Wicklung gönnen null, weil zu einer solchen die günstigsten Voraussetzungen vor¬
handen sind. Daß sich in dieser Frage auch der freier blickende Wydcnbrugh an
Henß anschloß, wäre sehr zu.verwunden,, wenn nicht die beim Landtag vertretenen
Stände die Wahrung ihrer besonderen Interessen von ihren Abgeordneten verlang¬
ten und diese dadurch gebunden wären. Obgleich der letzte Landtag gegen die
früheren dnrch die Wichtigkeit und Lebendigkeit der Verhandlungen bedeutend ab¬
stach, woran der schon genannte, als klarer und feuriger Redner ausgezeichnete
Eisenacher Advokat v. Wydeubrugh keinen geringen Theil hatte, so kamen doch
auch diesmal merkwürdige Beispiele großer Naivität und kleinstaatlicher Anschau¬
ungsweise, besonders bei den Verhandlungen über den Nothstand zum Vorschein.

Eine wichtige Rolle spielte Henß bei den Bürgerversammluugcu, die etwa vor
anderthalb Jahren eröffnet wurde", anfangs sehr in Blüthe standen, später aber
die erste allgemeine und enthusiastische Theilnahme einbüßten. Früher bestanden
in Weimar nur geschlossene Gesellschaften, die in spröder Absonderung die bureau^
tratische und bürgerliche Aristokratie enthielten. Die Aufregung, welche die Anwe¬
senheit Norge's hervorgebracht hatte, die Nähe des Landtages und das für densel¬
ben lebhafter wie je erwachte Interesse ließen das langgcsühlte Bedürfniß, die
engherzige Scheidung der Stäude zu durchbrechen und eine allgemeinere, öffentliche
und bildende Geselligkeit möglich zu mache", endlich zum Ausbruch und Ausdruck
kommen, wobei die Thätigkeit von Henß sehr in Rechnung zu bringen ist. In
den ersten Versammlungen faßten die Räume die Menge der Zuströmenden nicht.
Daß Männer wie der Eonsistorialrath Horn sich lebhaft betheiligten, gab Vielen,
die sonst die Berührung mit Individuen aller Classen gescheut haben würden,
Muth. Mit Vorsicht vermied man von vornherein Alles, was wie politische Ten¬
denz ^aussehen und der Regierung Anstoß geben konnte. Henß hatte in diesen
Versammlungen ein Theater gefunden, wie es ihm eignete. Er sprach viel und
über die verschiedensten Dinge, über Gewerbliches, Religiöses und sociales, gab
sogar Geschichtsbetrachtungen zum Beste", und war seines Beifalls bei der grö¬
ßeren Menge der Bürger, die in ihm das Ideal deS gebildeten und selbststän¬
digen Bürgers, der hoch ganz Bürger bleibt, stets gewiß. Die Scheu der "Un-
studirteu," mit ihrer Meinung in öffentlicher Rede herauszutreten, war bald über¬
wunden, und schlug insofern in das Gegentheil um, als sich eine MeiuungSdesvo-
tie der Majorität zu entwickeln begann, wie sie sich auch in ander" Bürgerver¬
sammluugcu, wenn die erste Blödigkeit erst durchbrochen war, gezeigt hat. Be¬
sonders trat sie in der Debatte über die Gewerbefreiheit hervor,'^vo das unmit¬
telbare Interesse der Meisten in's Spiel kam und ein Vertheidiger der Gewerbe¬
freiheit mit der giftigsten Heftigkeit zurückgewiesen wurde. Allmälig zogen sich
die nur Neugierigen, die Verletzten und Unbefriedigte,: ans deu Versammlungen
zurück, u"d diese- schrumpften zu einer ziemlich stehenden Gesellschaft, den sogenann¬
ten Freitäglern zusammen. Die Motive, aus denen Manche zurücktraten, zeigten


Wicklung gönnen null, weil zu einer solchen die günstigsten Voraussetzungen vor¬
handen sind. Daß sich in dieser Frage auch der freier blickende Wydcnbrugh an
Henß anschloß, wäre sehr zu.verwunden,, wenn nicht die beim Landtag vertretenen
Stände die Wahrung ihrer besonderen Interessen von ihren Abgeordneten verlang¬
ten und diese dadurch gebunden wären. Obgleich der letzte Landtag gegen die
früheren dnrch die Wichtigkeit und Lebendigkeit der Verhandlungen bedeutend ab¬
stach, woran der schon genannte, als klarer und feuriger Redner ausgezeichnete
Eisenacher Advokat v. Wydeubrugh keinen geringen Theil hatte, so kamen doch
auch diesmal merkwürdige Beispiele großer Naivität und kleinstaatlicher Anschau¬
ungsweise, besonders bei den Verhandlungen über den Nothstand zum Vorschein.

Eine wichtige Rolle spielte Henß bei den Bürgerversammluugcu, die etwa vor
anderthalb Jahren eröffnet wurde», anfangs sehr in Blüthe standen, später aber
die erste allgemeine und enthusiastische Theilnahme einbüßten. Früher bestanden
in Weimar nur geschlossene Gesellschaften, die in spröder Absonderung die bureau^
tratische und bürgerliche Aristokratie enthielten. Die Aufregung, welche die Anwe¬
senheit Norge's hervorgebracht hatte, die Nähe des Landtages und das für densel¬
ben lebhafter wie je erwachte Interesse ließen das langgcsühlte Bedürfniß, die
engherzige Scheidung der Stäude zu durchbrechen und eine allgemeinere, öffentliche
und bildende Geselligkeit möglich zu mache», endlich zum Ausbruch und Ausdruck
kommen, wobei die Thätigkeit von Henß sehr in Rechnung zu bringen ist. In
den ersten Versammlungen faßten die Räume die Menge der Zuströmenden nicht.
Daß Männer wie der Eonsistorialrath Horn sich lebhaft betheiligten, gab Vielen,
die sonst die Berührung mit Individuen aller Classen gescheut haben würden,
Muth. Mit Vorsicht vermied man von vornherein Alles, was wie politische Ten¬
denz ^aussehen und der Regierung Anstoß geben konnte. Henß hatte in diesen
Versammlungen ein Theater gefunden, wie es ihm eignete. Er sprach viel und
über die verschiedensten Dinge, über Gewerbliches, Religiöses und sociales, gab
sogar Geschichtsbetrachtungen zum Beste», und war seines Beifalls bei der grö¬
ßeren Menge der Bürger, die in ihm das Ideal deS gebildeten und selbststän¬
digen Bürgers, der hoch ganz Bürger bleibt, stets gewiß. Die Scheu der „Un-
studirteu," mit ihrer Meinung in öffentlicher Rede herauszutreten, war bald über¬
wunden, und schlug insofern in das Gegentheil um, als sich eine MeiuungSdesvo-
tie der Majorität zu entwickeln begann, wie sie sich auch in ander» Bürgerver¬
sammluugcu, wenn die erste Blödigkeit erst durchbrochen war, gezeigt hat. Be¬
sonders trat sie in der Debatte über die Gewerbefreiheit hervor,'^vo das unmit¬
telbare Interesse der Meisten in's Spiel kam und ein Vertheidiger der Gewerbe¬
freiheit mit der giftigsten Heftigkeit zurückgewiesen wurde. Allmälig zogen sich
die nur Neugierigen, die Verletzten und Unbefriedigte,: ans deu Versammlungen
zurück, u»d diese- schrumpften zu einer ziemlich stehenden Gesellschaft, den sogenann¬
ten Freitäglern zusammen. Die Motive, aus denen Manche zurücktraten, zeigten


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[0341] Wicklung gönnen null, weil zu einer solchen die günstigsten Voraussetzungen vor¬ handen sind. Daß sich in dieser Frage auch der freier blickende Wydcnbrugh an Henß anschloß, wäre sehr zu.verwunden,, wenn nicht die beim Landtag vertretenen Stände die Wahrung ihrer besonderen Interessen von ihren Abgeordneten verlang¬ ten und diese dadurch gebunden wären. Obgleich der letzte Landtag gegen die früheren dnrch die Wichtigkeit und Lebendigkeit der Verhandlungen bedeutend ab¬ stach, woran der schon genannte, als klarer und feuriger Redner ausgezeichnete Eisenacher Advokat v. Wydeubrugh keinen geringen Theil hatte, so kamen doch auch diesmal merkwürdige Beispiele großer Naivität und kleinstaatlicher Anschau¬ ungsweise, besonders bei den Verhandlungen über den Nothstand zum Vorschein. Eine wichtige Rolle spielte Henß bei den Bürgerversammluugcu, die etwa vor anderthalb Jahren eröffnet wurde», anfangs sehr in Blüthe standen, später aber die erste allgemeine und enthusiastische Theilnahme einbüßten. Früher bestanden in Weimar nur geschlossene Gesellschaften, die in spröder Absonderung die bureau^ tratische und bürgerliche Aristokratie enthielten. Die Aufregung, welche die Anwe¬ senheit Norge's hervorgebracht hatte, die Nähe des Landtages und das für densel¬ ben lebhafter wie je erwachte Interesse ließen das langgcsühlte Bedürfniß, die engherzige Scheidung der Stäude zu durchbrechen und eine allgemeinere, öffentliche und bildende Geselligkeit möglich zu mache», endlich zum Ausbruch und Ausdruck kommen, wobei die Thätigkeit von Henß sehr in Rechnung zu bringen ist. In den ersten Versammlungen faßten die Räume die Menge der Zuströmenden nicht. Daß Männer wie der Eonsistorialrath Horn sich lebhaft betheiligten, gab Vielen, die sonst die Berührung mit Individuen aller Classen gescheut haben würden, Muth. Mit Vorsicht vermied man von vornherein Alles, was wie politische Ten¬ denz ^aussehen und der Regierung Anstoß geben konnte. Henß hatte in diesen Versammlungen ein Theater gefunden, wie es ihm eignete. Er sprach viel und über die verschiedensten Dinge, über Gewerbliches, Religiöses und sociales, gab sogar Geschichtsbetrachtungen zum Beste», und war seines Beifalls bei der grö¬ ßeren Menge der Bürger, die in ihm das Ideal deS gebildeten und selbststän¬ digen Bürgers, der hoch ganz Bürger bleibt, stets gewiß. Die Scheu der „Un- studirteu," mit ihrer Meinung in öffentlicher Rede herauszutreten, war bald über¬ wunden, und schlug insofern in das Gegentheil um, als sich eine MeiuungSdesvo- tie der Majorität zu entwickeln begann, wie sie sich auch in ander» Bürgerver¬ sammluugcu, wenn die erste Blödigkeit erst durchbrochen war, gezeigt hat. Be¬ sonders trat sie in der Debatte über die Gewerbefreiheit hervor,'^vo das unmit¬ telbare Interesse der Meisten in's Spiel kam und ein Vertheidiger der Gewerbe¬ freiheit mit der giftigsten Heftigkeit zurückgewiesen wurde. Allmälig zogen sich die nur Neugierigen, die Verletzten und Unbefriedigte,: ans deu Versammlungen zurück, u»d diese- schrumpften zu einer ziemlich stehenden Gesellschaft, den sogenann¬ ten Freitäglern zusammen. Die Motive, aus denen Manche zurücktraten, zeigten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/341>, abgerufen am 02.10.2024.