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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Sicherheit des praktischen Verstandes und einen gewissen humoristischen Anstrich
nicht absprechen. Aber das ist ebenfalls nicht zu leugnen, daß Henß nur deshalb
mit dem Katholicismus so schnell fertig wird, weil er dessen tiefere Idee, seine
große historische Bedeutung uicht zu würdigen weiß. Was Henß nicht versteht, das
schiebt er ohne Weiteres als unklar, nebelhaft und objectiv unverständlich bei Seite.

Ans dem diesjährigen Landtage, zu welchem Henß, ungeachtet es bei dem er¬
wachten politischen Interesse uicht an Concurrenten fehlte, wieder gewählt wurde,
zeigte es sich, daß er trotz seines Liberalismus von spießbürgerlicher Befangenheit
nicht frei ist, bei der Juden - und der Gewcrböschutzfrage, obgleich es wieder für
die Selbstständigkeit seiner Bildung spricht, daß er nicht ohne Weiteres dem Zuge
der großen liberalen Majorität in Deutschland folgt. Henß scheint den Juden ab¬
geneigt, weil sie sich nicht aus produktive Gewerbszweige legen, sondern eS vor¬
ziehen, auf leichte Art, d. h. ohne körperliche Anstrengung, Geld zu verdienen,
und doch will er dieselbe Beschränkung, die den Juden diese Neigung allmälig ein¬
geprägt hat, fortgesetzt wissen. Gegen die Emancipation der Juden im Weimarischen,
ehe dieselbe allgemein stattgefunden, hat er den wahrhaft abenteuerlichen Grund,
daß dann Weimar von den Juden der umliegenden Länder überschwemmt werden
würde. Zu dieser-Vorstellung einer allgemeinen Wanderung der Juden nach dem
gelobten Land Weimar-Eisenach, das sie freilich bald mit Haut und Haar auf¬
zehren würde", gehört eine Phantasie, die wir Henß am allerwenigsten zugetraut
hätten. Was den Gcwerbsschutz oder näher deu Schutz der Stadthandwerker an¬
betrifft, so bleibt Henß eben ans dem Standtvunkte derselben flehen. Er will sie
doppelt gedeckt, nach oben und unten, gegen die Fabriken und Kaufmannslager
und gegen die Landhandwerker. Nur die Befangenheit kann glauben, daß mit künst¬
lichen und nur negativen Schutzmitteln hier etwas auszurichten sei. Die Entwicklung
der Industrie geht aus Coucentvirnng der Production, und Alles, was sich dieser
mächtigen Tendenz entgegenstemmen will, bricht zusammen. Es wird bald dahin
kommen, daß sich die vereinzelten Handwerker nur noch auf dem Laude zu halten
vermögen, wo sie, wie Henß eingestellt oder vielmehr sür sein Schntzverlangen
geltend macht, wohlfeiler arbeiten und existiren können. Daß bei diesem Umschwung
der bürgerliche Mittelstand, dessen Kern allerdings die Handwerker waren, sichtlich
schwindet, kann man bedauern, muß aber die Rettung nicht in der Beschränkung
der Industrie, die immer eine Beeinträchtigung der Productionskraft des Landes
im Ganzen, also des Gesammtwohlstandes ist, sondern darin suchen, daß die Ein¬
zelhandwerker die Vereinzelung in der sie untergehen, aufgeben, und sich der Ten¬
denz nach concentrirter Production anschließen. Auf dem Lande bei wohlfeiler
Existenz, Mitbetricb der Landwirthschaft und den eigenthümlichen Verhältnissen,
welche bestellte Arbeit für den bestimmten Fall, beständige Reparaturen u. s. w.
verlangen, sind die Einzelhandwerker möglich, und das bürgerliche Sonderinteresse
verräth sich zu naiv, wenn man dem Handwerk auf dem Lande deshalb keine Ent-


Sicherheit des praktischen Verstandes und einen gewissen humoristischen Anstrich
nicht absprechen. Aber das ist ebenfalls nicht zu leugnen, daß Henß nur deshalb
mit dem Katholicismus so schnell fertig wird, weil er dessen tiefere Idee, seine
große historische Bedeutung uicht zu würdigen weiß. Was Henß nicht versteht, das
schiebt er ohne Weiteres als unklar, nebelhaft und objectiv unverständlich bei Seite.

Ans dem diesjährigen Landtage, zu welchem Henß, ungeachtet es bei dem er¬
wachten politischen Interesse uicht an Concurrenten fehlte, wieder gewählt wurde,
zeigte es sich, daß er trotz seines Liberalismus von spießbürgerlicher Befangenheit
nicht frei ist, bei der Juden - und der Gewcrböschutzfrage, obgleich es wieder für
die Selbstständigkeit seiner Bildung spricht, daß er nicht ohne Weiteres dem Zuge
der großen liberalen Majorität in Deutschland folgt. Henß scheint den Juden ab¬
geneigt, weil sie sich nicht aus produktive Gewerbszweige legen, sondern eS vor¬
ziehen, auf leichte Art, d. h. ohne körperliche Anstrengung, Geld zu verdienen,
und doch will er dieselbe Beschränkung, die den Juden diese Neigung allmälig ein¬
geprägt hat, fortgesetzt wissen. Gegen die Emancipation der Juden im Weimarischen,
ehe dieselbe allgemein stattgefunden, hat er den wahrhaft abenteuerlichen Grund,
daß dann Weimar von den Juden der umliegenden Länder überschwemmt werden
würde. Zu dieser-Vorstellung einer allgemeinen Wanderung der Juden nach dem
gelobten Land Weimar-Eisenach, das sie freilich bald mit Haut und Haar auf¬
zehren würde», gehört eine Phantasie, die wir Henß am allerwenigsten zugetraut
hätten. Was den Gcwerbsschutz oder näher deu Schutz der Stadthandwerker an¬
betrifft, so bleibt Henß eben ans dem Standtvunkte derselben flehen. Er will sie
doppelt gedeckt, nach oben und unten, gegen die Fabriken und Kaufmannslager
und gegen die Landhandwerker. Nur die Befangenheit kann glauben, daß mit künst¬
lichen und nur negativen Schutzmitteln hier etwas auszurichten sei. Die Entwicklung
der Industrie geht aus Coucentvirnng der Production, und Alles, was sich dieser
mächtigen Tendenz entgegenstemmen will, bricht zusammen. Es wird bald dahin
kommen, daß sich die vereinzelten Handwerker nur noch auf dem Laude zu halten
vermögen, wo sie, wie Henß eingestellt oder vielmehr sür sein Schntzverlangen
geltend macht, wohlfeiler arbeiten und existiren können. Daß bei diesem Umschwung
der bürgerliche Mittelstand, dessen Kern allerdings die Handwerker waren, sichtlich
schwindet, kann man bedauern, muß aber die Rettung nicht in der Beschränkung
der Industrie, die immer eine Beeinträchtigung der Productionskraft des Landes
im Ganzen, also des Gesammtwohlstandes ist, sondern darin suchen, daß die Ein¬
zelhandwerker die Vereinzelung in der sie untergehen, aufgeben, und sich der Ten¬
denz nach concentrirter Production anschließen. Auf dem Lande bei wohlfeiler
Existenz, Mitbetricb der Landwirthschaft und den eigenthümlichen Verhältnissen,
welche bestellte Arbeit für den bestimmten Fall, beständige Reparaturen u. s. w.
verlangen, sind die Einzelhandwerker möglich, und das bürgerliche Sonderinteresse
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[0340] Sicherheit des praktischen Verstandes und einen gewissen humoristischen Anstrich nicht absprechen. Aber das ist ebenfalls nicht zu leugnen, daß Henß nur deshalb mit dem Katholicismus so schnell fertig wird, weil er dessen tiefere Idee, seine große historische Bedeutung uicht zu würdigen weiß. Was Henß nicht versteht, das schiebt er ohne Weiteres als unklar, nebelhaft und objectiv unverständlich bei Seite. Ans dem diesjährigen Landtage, zu welchem Henß, ungeachtet es bei dem er¬ wachten politischen Interesse uicht an Concurrenten fehlte, wieder gewählt wurde, zeigte es sich, daß er trotz seines Liberalismus von spießbürgerlicher Befangenheit nicht frei ist, bei der Juden - und der Gewcrböschutzfrage, obgleich es wieder für die Selbstständigkeit seiner Bildung spricht, daß er nicht ohne Weiteres dem Zuge der großen liberalen Majorität in Deutschland folgt. Henß scheint den Juden ab¬ geneigt, weil sie sich nicht aus produktive Gewerbszweige legen, sondern eS vor¬ ziehen, auf leichte Art, d. h. ohne körperliche Anstrengung, Geld zu verdienen, und doch will er dieselbe Beschränkung, die den Juden diese Neigung allmälig ein¬ geprägt hat, fortgesetzt wissen. Gegen die Emancipation der Juden im Weimarischen, ehe dieselbe allgemein stattgefunden, hat er den wahrhaft abenteuerlichen Grund, daß dann Weimar von den Juden der umliegenden Länder überschwemmt werden würde. Zu dieser-Vorstellung einer allgemeinen Wanderung der Juden nach dem gelobten Land Weimar-Eisenach, das sie freilich bald mit Haut und Haar auf¬ zehren würde», gehört eine Phantasie, die wir Henß am allerwenigsten zugetraut hätten. Was den Gcwerbsschutz oder näher deu Schutz der Stadthandwerker an¬ betrifft, so bleibt Henß eben ans dem Standtvunkte derselben flehen. Er will sie doppelt gedeckt, nach oben und unten, gegen die Fabriken und Kaufmannslager und gegen die Landhandwerker. Nur die Befangenheit kann glauben, daß mit künst¬ lichen und nur negativen Schutzmitteln hier etwas auszurichten sei. Die Entwicklung der Industrie geht aus Coucentvirnng der Production, und Alles, was sich dieser mächtigen Tendenz entgegenstemmen will, bricht zusammen. Es wird bald dahin kommen, daß sich die vereinzelten Handwerker nur noch auf dem Laude zu halten vermögen, wo sie, wie Henß eingestellt oder vielmehr sür sein Schntzverlangen geltend macht, wohlfeiler arbeiten und existiren können. Daß bei diesem Umschwung der bürgerliche Mittelstand, dessen Kern allerdings die Handwerker waren, sichtlich schwindet, kann man bedauern, muß aber die Rettung nicht in der Beschränkung der Industrie, die immer eine Beeinträchtigung der Productionskraft des Landes im Ganzen, also des Gesammtwohlstandes ist, sondern darin suchen, daß die Ein¬ zelhandwerker die Vereinzelung in der sie untergehen, aufgeben, und sich der Ten¬ denz nach concentrirter Production anschließen. Auf dem Lande bei wohlfeiler Existenz, Mitbetricb der Landwirthschaft und den eigenthümlichen Verhältnissen, welche bestellte Arbeit für den bestimmten Fall, beständige Reparaturen u. s. w. verlangen, sind die Einzelhandwerker möglich, und das bürgerliche Sonderinteresse verräth sich zu naiv, wenn man dem Handwerk auf dem Lande deshalb keine Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/340>, abgerufen am 25.08.2024.