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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Deutschkatholicismus den Communismus entdeckte, ist, abgesehen von der Oberfläch¬
lichkeit der Motive und des Ausdrucks, doch nicht so widersinnig als von deutsch-
katholischer Seite selbst behauptet wurde. Zu eiuer rein religiösen Revolution
werden die lichtfreuudliche und deutschkatholische Bewegung nicht ausschlagen, sie
siud vielmehr die Vorzeichen einer socialen. -- Die Stadt Weimar theilte übrigens
die Antipathien und Sympathien Rohr's. Die Lichtfreundschaft fand hier keinen
Anklang, die Anwesenheit Rouge's aber regte einen Enthusiasmus auf, wie er in dem
Mer Weimar noch nie dagewesen! Das Volk achtete in seinem Ehrenbezenguugen-
drange selbst die sonst gefürchtete Polizei nicht. Der "große Mann" der "Reformator
des neunzehnten Jahrhunderts," wie er in den Weimarischen Korrespondenzen dieser
Zeit stets genannt wurde, mußte sich fortwährend anstaunen, anjnbeln und ansingen
lassen, worein er sich jedoch ganz gut zu finden wußte! mau bestürmte ihn sogar
um Facsimile'S, und er war so "herablassend," wohl eine Stunde hindurch seinen
Namen auf Papierblätter zu schreiben. Die kleine deutschkatholische Gemeinde in
Weimar wurde reichlich unterstützt, und zu ihrem ersten öffentlichen Gottesdienste
drängte sich Alles, was nnr Einlaßkarten erlangen konnte. Rohr hielt bei dieser
Gelegenheit eine gerührte Rede, in der er seine schon bekannte Ansicht über den
Deutschkatholicismus aussprach. Daß er übrigens eine demokratische Verfassung
religiöser Gemeinden nicht billigen werde, ließ sich von vornherein voraussetzen,
da ihm ein Kirchenregimcnt theoretisch so nothwendig erscheint, wie er es praktisch
mit energischem Selbstgefühle ausübte. -- Was Röhr war läßt sich an der schnell
zusammensinkenden Gestalt, an der sich das Alter, dem sie lange getrotzt hat,
rächt, schwer erkennen. Früher stand und sprach er wie ein Dictator auf der
Kanzel und wo er sonst öffentlich auftrat. Eine Freude war es, ihn mit seinem
festen Organ, seinem sichern Ausdruck Latein sprechen zu hören, welches er, ein
ehemaliger Pforteuscr, liebt und mit Gewandheit handhabt. Sein Selbstgefühl
ihm zu verargen, wäre Unrecht, da er in der That seine Bedeutung für die theolo¬
gische Wissenschaft und für die kirchlichen Zustände des Weimarischen Landes ge¬
habt hat. Das aber ist nicht zu leugnen, daß mit diesem Selbstgefühl zugleich eine
Neigung zu herrschsüchtiger Willkür verbunden ist, und Züge dieser Art treten im
Zustande seiner jetzigen Schwäche um so auffallender hervor, als sie nicht mehr
mit dem Bilde der vollen, energischen Persönlichkeit zusammengegossen erscheinen.
Was man von dem Grunde der plötzlichen Altersschwäche Rohr's in Weimar fa¬
belt, wagen wir nicht zu wiederholen, da solche unheimliche Geschichten zu unseren
deutschen Zuständen nicht passen wollen. Jedenfalls zeugt es aber vou der über¬
triebenen Bedeutung, die man Röhr in Weimar beilegt, und von den abentheuer-
lichen Vorstellungen, die über einen viel genannten Orden gäng und gäbe sind.
Ist die Jesnitenriechcrei im ganzen protestantischen Deutschland weit verbreitet und
übertrieben, so überschreitet sie in Weimar, in Stadt und Land, bei Gebildeten
und Ungebildeten alles vernünftige Maaß. Die Jesuiten stecken schlechtweg hinter


Deutschkatholicismus den Communismus entdeckte, ist, abgesehen von der Oberfläch¬
lichkeit der Motive und des Ausdrucks, doch nicht so widersinnig als von deutsch-
katholischer Seite selbst behauptet wurde. Zu eiuer rein religiösen Revolution
werden die lichtfreuudliche und deutschkatholische Bewegung nicht ausschlagen, sie
siud vielmehr die Vorzeichen einer socialen. — Die Stadt Weimar theilte übrigens
die Antipathien und Sympathien Rohr's. Die Lichtfreundschaft fand hier keinen
Anklang, die Anwesenheit Rouge's aber regte einen Enthusiasmus auf, wie er in dem
Mer Weimar noch nie dagewesen! Das Volk achtete in seinem Ehrenbezenguugen-
drange selbst die sonst gefürchtete Polizei nicht. Der „große Mann" der „Reformator
des neunzehnten Jahrhunderts," wie er in den Weimarischen Korrespondenzen dieser
Zeit stets genannt wurde, mußte sich fortwährend anstaunen, anjnbeln und ansingen
lassen, worein er sich jedoch ganz gut zu finden wußte! mau bestürmte ihn sogar
um Facsimile'S, und er war so „herablassend," wohl eine Stunde hindurch seinen
Namen auf Papierblätter zu schreiben. Die kleine deutschkatholische Gemeinde in
Weimar wurde reichlich unterstützt, und zu ihrem ersten öffentlichen Gottesdienste
drängte sich Alles, was nnr Einlaßkarten erlangen konnte. Rohr hielt bei dieser
Gelegenheit eine gerührte Rede, in der er seine schon bekannte Ansicht über den
Deutschkatholicismus aussprach. Daß er übrigens eine demokratische Verfassung
religiöser Gemeinden nicht billigen werde, ließ sich von vornherein voraussetzen,
da ihm ein Kirchenregimcnt theoretisch so nothwendig erscheint, wie er es praktisch
mit energischem Selbstgefühle ausübte. — Was Röhr war läßt sich an der schnell
zusammensinkenden Gestalt, an der sich das Alter, dem sie lange getrotzt hat,
rächt, schwer erkennen. Früher stand und sprach er wie ein Dictator auf der
Kanzel und wo er sonst öffentlich auftrat. Eine Freude war es, ihn mit seinem
festen Organ, seinem sichern Ausdruck Latein sprechen zu hören, welches er, ein
ehemaliger Pforteuscr, liebt und mit Gewandheit handhabt. Sein Selbstgefühl
ihm zu verargen, wäre Unrecht, da er in der That seine Bedeutung für die theolo¬
gische Wissenschaft und für die kirchlichen Zustände des Weimarischen Landes ge¬
habt hat. Das aber ist nicht zu leugnen, daß mit diesem Selbstgefühl zugleich eine
Neigung zu herrschsüchtiger Willkür verbunden ist, und Züge dieser Art treten im
Zustande seiner jetzigen Schwäche um so auffallender hervor, als sie nicht mehr
mit dem Bilde der vollen, energischen Persönlichkeit zusammengegossen erscheinen.
Was man von dem Grunde der plötzlichen Altersschwäche Rohr's in Weimar fa¬
belt, wagen wir nicht zu wiederholen, da solche unheimliche Geschichten zu unseren
deutschen Zuständen nicht passen wollen. Jedenfalls zeugt es aber vou der über¬
triebenen Bedeutung, die man Röhr in Weimar beilegt, und von den abentheuer-
lichen Vorstellungen, die über einen viel genannten Orden gäng und gäbe sind.
Ist die Jesnitenriechcrei im ganzen protestantischen Deutschland weit verbreitet und
übertrieben, so überschreitet sie in Weimar, in Stadt und Land, bei Gebildeten
und Ungebildeten alles vernünftige Maaß. Die Jesuiten stecken schlechtweg hinter


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[0338] Deutschkatholicismus den Communismus entdeckte, ist, abgesehen von der Oberfläch¬ lichkeit der Motive und des Ausdrucks, doch nicht so widersinnig als von deutsch- katholischer Seite selbst behauptet wurde. Zu eiuer rein religiösen Revolution werden die lichtfreuudliche und deutschkatholische Bewegung nicht ausschlagen, sie siud vielmehr die Vorzeichen einer socialen. — Die Stadt Weimar theilte übrigens die Antipathien und Sympathien Rohr's. Die Lichtfreundschaft fand hier keinen Anklang, die Anwesenheit Rouge's aber regte einen Enthusiasmus auf, wie er in dem Mer Weimar noch nie dagewesen! Das Volk achtete in seinem Ehrenbezenguugen- drange selbst die sonst gefürchtete Polizei nicht. Der „große Mann" der „Reformator des neunzehnten Jahrhunderts," wie er in den Weimarischen Korrespondenzen dieser Zeit stets genannt wurde, mußte sich fortwährend anstaunen, anjnbeln und ansingen lassen, worein er sich jedoch ganz gut zu finden wußte! mau bestürmte ihn sogar um Facsimile'S, und er war so „herablassend," wohl eine Stunde hindurch seinen Namen auf Papierblätter zu schreiben. Die kleine deutschkatholische Gemeinde in Weimar wurde reichlich unterstützt, und zu ihrem ersten öffentlichen Gottesdienste drängte sich Alles, was nnr Einlaßkarten erlangen konnte. Rohr hielt bei dieser Gelegenheit eine gerührte Rede, in der er seine schon bekannte Ansicht über den Deutschkatholicismus aussprach. Daß er übrigens eine demokratische Verfassung religiöser Gemeinden nicht billigen werde, ließ sich von vornherein voraussetzen, da ihm ein Kirchenregimcnt theoretisch so nothwendig erscheint, wie er es praktisch mit energischem Selbstgefühle ausübte. — Was Röhr war läßt sich an der schnell zusammensinkenden Gestalt, an der sich das Alter, dem sie lange getrotzt hat, rächt, schwer erkennen. Früher stand und sprach er wie ein Dictator auf der Kanzel und wo er sonst öffentlich auftrat. Eine Freude war es, ihn mit seinem festen Organ, seinem sichern Ausdruck Latein sprechen zu hören, welches er, ein ehemaliger Pforteuscr, liebt und mit Gewandheit handhabt. Sein Selbstgefühl ihm zu verargen, wäre Unrecht, da er in der That seine Bedeutung für die theolo¬ gische Wissenschaft und für die kirchlichen Zustände des Weimarischen Landes ge¬ habt hat. Das aber ist nicht zu leugnen, daß mit diesem Selbstgefühl zugleich eine Neigung zu herrschsüchtiger Willkür verbunden ist, und Züge dieser Art treten im Zustande seiner jetzigen Schwäche um so auffallender hervor, als sie nicht mehr mit dem Bilde der vollen, energischen Persönlichkeit zusammengegossen erscheinen. Was man von dem Grunde der plötzlichen Altersschwäche Rohr's in Weimar fa¬ belt, wagen wir nicht zu wiederholen, da solche unheimliche Geschichten zu unseren deutschen Zuständen nicht passen wollen. Jedenfalls zeugt es aber vou der über¬ triebenen Bedeutung, die man Röhr in Weimar beilegt, und von den abentheuer- lichen Vorstellungen, die über einen viel genannten Orden gäng und gäbe sind. Ist die Jesnitenriechcrei im ganzen protestantischen Deutschland weit verbreitet und übertrieben, so überschreitet sie in Weimar, in Stadt und Land, bei Gebildeten und Ungebildeten alles vernünftige Maaß. Die Jesuiten stecken schlechtweg hinter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/338>, abgerufen am 25.08.2024.