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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Nationalismus die Dunkelmänner ignoriren wollte, so fehlte ihm jede Gelegenheit,
sich tapfer zu erweisen. Mehr als Katholicismus und Pietismus fürchtet der
Rohr'sche Rationalismus die neuere Philosophie, ohne diese Furcht jedoch zu ge¬
stehen. Aber seinem Einfluß ist es hauptsächlich zuzuschreiben, daß die reine Lust
der Universität Jena durch das "Nebelwcsen" des Hegelthums nicht inficirt worden
ist. Selbst Hase, der ohne sich an ein System anzuschließen, die Zeiterscheinungen
mit historischem Blick würdigt, und sich sogar unterfängt, geistreich zu sein, ist
Röhr und den Röhrianern nicht genehm. In dein vor Jahren geführten Hase-
Rvhr'sehen Streite wurde Hase als der "junge" Mann, der über alte, anerkannte
Verdienste übermüthig abspreche, tüchtig abgekanzelt. Charakteristisch ist auch das
Verhalten Rohr's zu den lichtsrenudlichcu und deutschkatholischen Bewegungen.
Er enthielt sich uicht nur der Theilnahme an den lichtfrenndlichen Versammlungen,
sondern legte auch Gewicht darauf, daß die Bewegung, die er nur als Reaction
gegen die vom Staat begünstigte orthodoxe Partei faßte, uicht in sein Gebiet
eindrang. Im glücklichen Weimarischen Lande konnte man ja keinen Grund zur
Unzufriedenheit habe", und die Aufregung der Massen kann nur zur Anarchie süh-
wi. Den Deutschkatholiken dagegen bezeigte sich Röhr sehr freundlich, und sprach
seinen Beifall über die dogmatische Gestaltung des Deutschkatholicismus öffentlich
aus, dabei aber das Princip der kirchlichen Gemeindesvuveränität als ein gefähr¬
liches bezeichnend. In der That ist das Dogma der Deutschkatholiken, soweit es
sich fixirt hat, dem protestantischen Rationalismus conform, aber eben deshalb liegt
die Bedeutung des Deutschkatholicismus auch uicht in der Dogmenbildnng, die nichts
Originelles hat, sondern gerade darin, daß einerseits das religiöse Bewußtsein
der Gemeinde als Dogma und Cultus bestimmend, diese beiden also als flüssig
ausgesprochen, andrerseits der schroffe Gegensatz des religiösen und praktischen Lebens
ein auszuhebender erklärt wird. Dieser Umstand, daß ans die reale Einheit der
Gläubigen Gewicht gelegt und die Kirche als die sich entwickelnde Form des reli¬
giösen Bewußtseins gefaßt, die Jenseitigkeit dieser Kirche aber, durch die sie außer
und über der Gemeinde steht, aufgehoben wird, berechtigt die Deutschkatholiken,
sich eben noch Katholiken, den Protestanten gegenüber, zu nennen, und stellt sie
doch über Katholicismus und Protestantismus zugleich hinaus. Aus die äußere
^eltnng und Ausbreitung, die der Deutschkatholicismus gewinnt, welche eine
großartige uicht werden kann, kommt es hierbei nicht an; er ist nicht be¬
stimmt, eine neue, weitgreifende und feste Form des religiösen Lebens zu schaffen,
sondern mit verwandten Erscheinungen den Uebergang zu einer sittlichen Lebens-
gestaltung, in der sich der Dualismus egoistisch-praktischer und der innersten Ge-
Müthsinteressen aufhebt anzubahnen und zu vermitteln. Die Deutschkatholiken aber
^egen ihres Dogma's beloben, wegen der Bedeutung, die sie dem Gemeindelebeu
beilegen, tadeln, heißt ihr Wesen gänzlich ignoriren und das Gleichgültige in den
Vordergrund stellen. Die bekannte Witterung der bairischen Polizei, welche im


^""zboic". IV. 1847 4Z

Nationalismus die Dunkelmänner ignoriren wollte, so fehlte ihm jede Gelegenheit,
sich tapfer zu erweisen. Mehr als Katholicismus und Pietismus fürchtet der
Rohr'sche Rationalismus die neuere Philosophie, ohne diese Furcht jedoch zu ge¬
stehen. Aber seinem Einfluß ist es hauptsächlich zuzuschreiben, daß die reine Lust
der Universität Jena durch das „Nebelwcsen" des Hegelthums nicht inficirt worden
ist. Selbst Hase, der ohne sich an ein System anzuschließen, die Zeiterscheinungen
mit historischem Blick würdigt, und sich sogar unterfängt, geistreich zu sein, ist
Röhr und den Röhrianern nicht genehm. In dein vor Jahren geführten Hase-
Rvhr'sehen Streite wurde Hase als der „junge" Mann, der über alte, anerkannte
Verdienste übermüthig abspreche, tüchtig abgekanzelt. Charakteristisch ist auch das
Verhalten Rohr's zu den lichtsrenudlichcu und deutschkatholischen Bewegungen.
Er enthielt sich uicht nur der Theilnahme an den lichtfrenndlichen Versammlungen,
sondern legte auch Gewicht darauf, daß die Bewegung, die er nur als Reaction
gegen die vom Staat begünstigte orthodoxe Partei faßte, uicht in sein Gebiet
eindrang. Im glücklichen Weimarischen Lande konnte man ja keinen Grund zur
Unzufriedenheit habe», und die Aufregung der Massen kann nur zur Anarchie süh-
wi. Den Deutschkatholiken dagegen bezeigte sich Röhr sehr freundlich, und sprach
seinen Beifall über die dogmatische Gestaltung des Deutschkatholicismus öffentlich
aus, dabei aber das Princip der kirchlichen Gemeindesvuveränität als ein gefähr¬
liches bezeichnend. In der That ist das Dogma der Deutschkatholiken, soweit es
sich fixirt hat, dem protestantischen Rationalismus conform, aber eben deshalb liegt
die Bedeutung des Deutschkatholicismus auch uicht in der Dogmenbildnng, die nichts
Originelles hat, sondern gerade darin, daß einerseits das religiöse Bewußtsein
der Gemeinde als Dogma und Cultus bestimmend, diese beiden also als flüssig
ausgesprochen, andrerseits der schroffe Gegensatz des religiösen und praktischen Lebens
ein auszuhebender erklärt wird. Dieser Umstand, daß ans die reale Einheit der
Gläubigen Gewicht gelegt und die Kirche als die sich entwickelnde Form des reli¬
giösen Bewußtseins gefaßt, die Jenseitigkeit dieser Kirche aber, durch die sie außer
und über der Gemeinde steht, aufgehoben wird, berechtigt die Deutschkatholiken,
sich eben noch Katholiken, den Protestanten gegenüber, zu nennen, und stellt sie
doch über Katholicismus und Protestantismus zugleich hinaus. Aus die äußere
^eltnng und Ausbreitung, die der Deutschkatholicismus gewinnt, welche eine
großartige uicht werden kann, kommt es hierbei nicht an; er ist nicht be¬
stimmt, eine neue, weitgreifende und feste Form des religiösen Lebens zu schaffen,
sondern mit verwandten Erscheinungen den Uebergang zu einer sittlichen Lebens-
gestaltung, in der sich der Dualismus egoistisch-praktischer und der innersten Ge-
Müthsinteressen aufhebt anzubahnen und zu vermitteln. Die Deutschkatholiken aber
^egen ihres Dogma's beloben, wegen der Bedeutung, die sie dem Gemeindelebeu
beilegen, tadeln, heißt ihr Wesen gänzlich ignoriren und das Gleichgültige in den
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[0337] Nationalismus die Dunkelmänner ignoriren wollte, so fehlte ihm jede Gelegenheit, sich tapfer zu erweisen. Mehr als Katholicismus und Pietismus fürchtet der Rohr'sche Rationalismus die neuere Philosophie, ohne diese Furcht jedoch zu ge¬ stehen. Aber seinem Einfluß ist es hauptsächlich zuzuschreiben, daß die reine Lust der Universität Jena durch das „Nebelwcsen" des Hegelthums nicht inficirt worden ist. Selbst Hase, der ohne sich an ein System anzuschließen, die Zeiterscheinungen mit historischem Blick würdigt, und sich sogar unterfängt, geistreich zu sein, ist Röhr und den Röhrianern nicht genehm. In dein vor Jahren geführten Hase- Rvhr'sehen Streite wurde Hase als der „junge" Mann, der über alte, anerkannte Verdienste übermüthig abspreche, tüchtig abgekanzelt. Charakteristisch ist auch das Verhalten Rohr's zu den lichtsrenudlichcu und deutschkatholischen Bewegungen. Er enthielt sich uicht nur der Theilnahme an den lichtfrenndlichen Versammlungen, sondern legte auch Gewicht darauf, daß die Bewegung, die er nur als Reaction gegen die vom Staat begünstigte orthodoxe Partei faßte, uicht in sein Gebiet eindrang. Im glücklichen Weimarischen Lande konnte man ja keinen Grund zur Unzufriedenheit habe», und die Aufregung der Massen kann nur zur Anarchie süh- wi. Den Deutschkatholiken dagegen bezeigte sich Röhr sehr freundlich, und sprach seinen Beifall über die dogmatische Gestaltung des Deutschkatholicismus öffentlich aus, dabei aber das Princip der kirchlichen Gemeindesvuveränität als ein gefähr¬ liches bezeichnend. In der That ist das Dogma der Deutschkatholiken, soweit es sich fixirt hat, dem protestantischen Rationalismus conform, aber eben deshalb liegt die Bedeutung des Deutschkatholicismus auch uicht in der Dogmenbildnng, die nichts Originelles hat, sondern gerade darin, daß einerseits das religiöse Bewußtsein der Gemeinde als Dogma und Cultus bestimmend, diese beiden also als flüssig ausgesprochen, andrerseits der schroffe Gegensatz des religiösen und praktischen Lebens ein auszuhebender erklärt wird. Dieser Umstand, daß ans die reale Einheit der Gläubigen Gewicht gelegt und die Kirche als die sich entwickelnde Form des reli¬ giösen Bewußtseins gefaßt, die Jenseitigkeit dieser Kirche aber, durch die sie außer und über der Gemeinde steht, aufgehoben wird, berechtigt die Deutschkatholiken, sich eben noch Katholiken, den Protestanten gegenüber, zu nennen, und stellt sie doch über Katholicismus und Protestantismus zugleich hinaus. Aus die äußere ^eltnng und Ausbreitung, die der Deutschkatholicismus gewinnt, welche eine großartige uicht werden kann, kommt es hierbei nicht an; er ist nicht be¬ stimmt, eine neue, weitgreifende und feste Form des religiösen Lebens zu schaffen, sondern mit verwandten Erscheinungen den Uebergang zu einer sittlichen Lebens- gestaltung, in der sich der Dualismus egoistisch-praktischer und der innersten Ge- Müthsinteressen aufhebt anzubahnen und zu vermitteln. Die Deutschkatholiken aber ^egen ihres Dogma's beloben, wegen der Bedeutung, die sie dem Gemeindelebeu beilegen, tadeln, heißt ihr Wesen gänzlich ignoriren und das Gleichgültige in den Vordergrund stellen. Die bekannte Witterung der bairischen Polizei, welche im ^«»zboic». IV. 1847 4Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/337>, abgerufen am 25.08.2024.