Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bilder durchforscht, und Gott nirgend gefunden. Als ein Schulmeister einem Kinde
die Allgegenwart Gottes deutlich machen wollte, und es fragte, ob Gott denn auch
im Keller sei, antwortete dieses, nein, denn der ist voll Kartoffeln. Jener Astro¬
nom, der Schulmeister nud das Kind standen auf demselben Standpunkt.

Wenn wir mit Humboldt uus aufwärts erheben in die Sternbilder der Milch¬
straße, den Planeten folgen in ihrem rastlos dahinstürmenden Umschwung, uus
daun wieder versenken in die Tiefe der Erde, den geheimnißvollen Flammenheerd
belauschen in seiner dämonisch schöpferischen Wirksamkeit, mit dem Auge des Gei¬
stes in die Vergangenheit zurückblicken, den menschlichen Geist verfolgen in seinem
Werden und die Entwickelung seines Wissens in ihrer innern Nothwendigkeit mit ihm
uoch einmal durchmachen -- wo bliebe da eine Stätte, in der sich der Magier
verbergen sollte, von dem jene Wunderthaten ausgehn? Wir haben die doppelten
Abgründe des Raumes und der Zeit durchmessen, und es ist nirgend ein Ort, wo
von ihm, dem Unergründlichen, dem Verborgenen, eine Spur sich zeigte.

Und doch durchdringt uns beim Anblick dieser Unermeßlichkeit, die nach zwei
Seiten hin sich ausbreitet -- deun das Mikroskop eröffnet uns eine zweite Unend¬
lichkeit, die noch fremdartiger uns berührt als der Himmel mit seinen Welten --
ein Schauder, der nicht Furcht ist vor irgend einem Schrecken, sondern der in
seinem Wesen heilig ist: das Gefühl des Erhabenen. Es war ein Irrthum
von Schiller, wenn er meinte, im Raume könne das Erhabene nicht wohnen; es
ist ein noch viel größerer Irrthum, wenn mau glaubt, durch Messung, Schätzung,
durch Erkenntniß, werde das Erhabene aufgelöst. Es entsteht im Gegentheil erst
mit ihr. Das Kind fürchtet sich uur, aber es keunt das Gefühl des Erhabe¬
nen nicht.

Wo ist nun der Gegenstand jenes Schauders, den wir anbeten, indem wir
ihn zu begreifen wagen? -- Nicht die Masse von Aether und irdischem Stoff,
denn wir können sie zerlegen; nicht die Kraft, auch wenn sie uns in ihrer Aeuße¬
rung zermalmt, denn sie ist nichts für sich. ES ist die Seele, die Einheit, der
Geist der Welt. sucht ihn aber nicht jenseits der Stcrnenregivn, wo die goldnen
Kugeln nicht mehr in ihrem rhythmischen Tanze in majestätischer Schnelle dahiu-
rolltu. Wo schlägt dieser Puls der Natur, von dem auch unser Herz bebt, ohne
daß wir ihn fassen? Wo sollen wir dieses Ncrvengeflecht suchen, in welchem die
Natur Geist ist, in welchem sie denkt und ihrer eigene" Göttlichkeit sich bewußt
wird? Suche es nicht in der Flamme, die aus den dunkeln Gründen hervorbricht,
und auf den Trümmern der alten Natur eine neue aufrichtet; suche es nicht in
dem Wasserfall, vor dessen Gebrause dein Inneres bebt, nicht in dem Sonnenstrahl,
aus dem das Leben sein Blut saugt -- die Flamme, die Fluch, das Licht, sie
können dein Leben erhalten und zerstören, sie können dein Herz, erheben, deinem
Geiste Ncchruug geben, aber sie selber fühlen ihre Größe nicht, sie verstehen nicht,
was sie schaffen, was sie vernichten.


bilder durchforscht, und Gott nirgend gefunden. Als ein Schulmeister einem Kinde
die Allgegenwart Gottes deutlich machen wollte, und es fragte, ob Gott denn auch
im Keller sei, antwortete dieses, nein, denn der ist voll Kartoffeln. Jener Astro¬
nom, der Schulmeister nud das Kind standen auf demselben Standpunkt.

Wenn wir mit Humboldt uus aufwärts erheben in die Sternbilder der Milch¬
straße, den Planeten folgen in ihrem rastlos dahinstürmenden Umschwung, uus
daun wieder versenken in die Tiefe der Erde, den geheimnißvollen Flammenheerd
belauschen in seiner dämonisch schöpferischen Wirksamkeit, mit dem Auge des Gei¬
stes in die Vergangenheit zurückblicken, den menschlichen Geist verfolgen in seinem
Werden und die Entwickelung seines Wissens in ihrer innern Nothwendigkeit mit ihm
uoch einmal durchmachen — wo bliebe da eine Stätte, in der sich der Magier
verbergen sollte, von dem jene Wunderthaten ausgehn? Wir haben die doppelten
Abgründe des Raumes und der Zeit durchmessen, und es ist nirgend ein Ort, wo
von ihm, dem Unergründlichen, dem Verborgenen, eine Spur sich zeigte.

Und doch durchdringt uns beim Anblick dieser Unermeßlichkeit, die nach zwei
Seiten hin sich ausbreitet — deun das Mikroskop eröffnet uns eine zweite Unend¬
lichkeit, die noch fremdartiger uns berührt als der Himmel mit seinen Welten —
ein Schauder, der nicht Furcht ist vor irgend einem Schrecken, sondern der in
seinem Wesen heilig ist: das Gefühl des Erhabenen. Es war ein Irrthum
von Schiller, wenn er meinte, im Raume könne das Erhabene nicht wohnen; es
ist ein noch viel größerer Irrthum, wenn mau glaubt, durch Messung, Schätzung,
durch Erkenntniß, werde das Erhabene aufgelöst. Es entsteht im Gegentheil erst
mit ihr. Das Kind fürchtet sich uur, aber es keunt das Gefühl des Erhabe¬
nen nicht.

Wo ist nun der Gegenstand jenes Schauders, den wir anbeten, indem wir
ihn zu begreifen wagen? — Nicht die Masse von Aether und irdischem Stoff,
denn wir können sie zerlegen; nicht die Kraft, auch wenn sie uns in ihrer Aeuße¬
rung zermalmt, denn sie ist nichts für sich. ES ist die Seele, die Einheit, der
Geist der Welt. sucht ihn aber nicht jenseits der Stcrnenregivn, wo die goldnen
Kugeln nicht mehr in ihrem rhythmischen Tanze in majestätischer Schnelle dahiu-
rolltu. Wo schlägt dieser Puls der Natur, von dem auch unser Herz bebt, ohne
daß wir ihn fassen? Wo sollen wir dieses Ncrvengeflecht suchen, in welchem die
Natur Geist ist, in welchem sie denkt und ihrer eigene» Göttlichkeit sich bewußt
wird? Suche es nicht in der Flamme, die aus den dunkeln Gründen hervorbricht,
und auf den Trümmern der alten Natur eine neue aufrichtet; suche es nicht in
dem Wasserfall, vor dessen Gebrause dein Inneres bebt, nicht in dem Sonnenstrahl,
aus dem das Leben sein Blut saugt — die Flamme, die Fluch, das Licht, sie
können dein Leben erhalten und zerstören, sie können dein Herz, erheben, deinem
Geiste Ncchruug geben, aber sie selber fühlen ihre Größe nicht, sie verstehen nicht,
was sie schaffen, was sie vernichten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0324" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/185088"/>
          <p xml:id="ID_1086" prev="#ID_1085"> bilder durchforscht, und Gott nirgend gefunden. Als ein Schulmeister einem Kinde<lb/>
die Allgegenwart Gottes deutlich machen wollte, und es fragte, ob Gott denn auch<lb/>
im Keller sei, antwortete dieses, nein, denn der ist voll Kartoffeln. Jener Astro¬<lb/>
nom, der Schulmeister nud das Kind standen auf demselben Standpunkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1087"> Wenn wir mit Humboldt uus aufwärts erheben in die Sternbilder der Milch¬<lb/>
straße, den Planeten folgen in ihrem rastlos dahinstürmenden Umschwung, uus<lb/>
daun wieder versenken in die Tiefe der Erde, den geheimnißvollen Flammenheerd<lb/>
belauschen in seiner dämonisch schöpferischen Wirksamkeit, mit dem Auge des Gei¬<lb/>
stes in die Vergangenheit zurückblicken, den menschlichen Geist verfolgen in seinem<lb/>
Werden und die Entwickelung seines Wissens in ihrer innern Nothwendigkeit mit ihm<lb/>
uoch einmal durchmachen &#x2014; wo bliebe da eine Stätte, in der sich der Magier<lb/>
verbergen sollte, von dem jene Wunderthaten ausgehn? Wir haben die doppelten<lb/>
Abgründe des Raumes und der Zeit durchmessen, und es ist nirgend ein Ort, wo<lb/>
von ihm, dem Unergründlichen, dem Verborgenen, eine Spur sich zeigte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1088"> Und doch durchdringt uns beim Anblick dieser Unermeßlichkeit, die nach zwei<lb/>
Seiten hin sich ausbreitet &#x2014; deun das Mikroskop eröffnet uns eine zweite Unend¬<lb/>
lichkeit, die noch fremdartiger uns berührt als der Himmel mit seinen Welten &#x2014;<lb/>
ein Schauder, der nicht Furcht ist vor irgend einem Schrecken, sondern der in<lb/>
seinem Wesen heilig ist: das Gefühl des Erhabenen. Es war ein Irrthum<lb/>
von Schiller, wenn er meinte, im Raume könne das Erhabene nicht wohnen; es<lb/>
ist ein noch viel größerer Irrthum, wenn mau glaubt, durch Messung, Schätzung,<lb/>
durch Erkenntniß, werde das Erhabene aufgelöst. Es entsteht im Gegentheil erst<lb/>
mit ihr. Das Kind fürchtet sich uur, aber es keunt das Gefühl des Erhabe¬<lb/>
nen nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1089"> Wo ist nun der Gegenstand jenes Schauders, den wir anbeten, indem wir<lb/>
ihn zu begreifen wagen? &#x2014; Nicht die Masse von Aether und irdischem Stoff,<lb/>
denn wir können sie zerlegen; nicht die Kraft, auch wenn sie uns in ihrer Aeuße¬<lb/>
rung zermalmt, denn sie ist nichts für sich. ES ist die Seele, die Einheit, der<lb/>
Geist der Welt. sucht ihn aber nicht jenseits der Stcrnenregivn, wo die goldnen<lb/>
Kugeln nicht mehr in ihrem rhythmischen Tanze in majestätischer Schnelle dahiu-<lb/>
rolltu. Wo schlägt dieser Puls der Natur, von dem auch unser Herz bebt, ohne<lb/>
daß wir ihn fassen? Wo sollen wir dieses Ncrvengeflecht suchen, in welchem die<lb/>
Natur Geist ist, in welchem sie denkt und ihrer eigene» Göttlichkeit sich bewußt<lb/>
wird? Suche es nicht in der Flamme, die aus den dunkeln Gründen hervorbricht,<lb/>
und auf den Trümmern der alten Natur eine neue aufrichtet; suche es nicht in<lb/>
dem Wasserfall, vor dessen Gebrause dein Inneres bebt, nicht in dem Sonnenstrahl,<lb/>
aus dem das Leben sein Blut saugt &#x2014; die Flamme, die Fluch, das Licht, sie<lb/>
können dein Leben erhalten und zerstören, sie können dein Herz, erheben, deinem<lb/>
Geiste Ncchruug geben, aber sie selber fühlen ihre Größe nicht, sie verstehen nicht,<lb/>
was sie schaffen, was sie vernichten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0324] bilder durchforscht, und Gott nirgend gefunden. Als ein Schulmeister einem Kinde die Allgegenwart Gottes deutlich machen wollte, und es fragte, ob Gott denn auch im Keller sei, antwortete dieses, nein, denn der ist voll Kartoffeln. Jener Astro¬ nom, der Schulmeister nud das Kind standen auf demselben Standpunkt. Wenn wir mit Humboldt uus aufwärts erheben in die Sternbilder der Milch¬ straße, den Planeten folgen in ihrem rastlos dahinstürmenden Umschwung, uus daun wieder versenken in die Tiefe der Erde, den geheimnißvollen Flammenheerd belauschen in seiner dämonisch schöpferischen Wirksamkeit, mit dem Auge des Gei¬ stes in die Vergangenheit zurückblicken, den menschlichen Geist verfolgen in seinem Werden und die Entwickelung seines Wissens in ihrer innern Nothwendigkeit mit ihm uoch einmal durchmachen — wo bliebe da eine Stätte, in der sich der Magier verbergen sollte, von dem jene Wunderthaten ausgehn? Wir haben die doppelten Abgründe des Raumes und der Zeit durchmessen, und es ist nirgend ein Ort, wo von ihm, dem Unergründlichen, dem Verborgenen, eine Spur sich zeigte. Und doch durchdringt uns beim Anblick dieser Unermeßlichkeit, die nach zwei Seiten hin sich ausbreitet — deun das Mikroskop eröffnet uns eine zweite Unend¬ lichkeit, die noch fremdartiger uns berührt als der Himmel mit seinen Welten — ein Schauder, der nicht Furcht ist vor irgend einem Schrecken, sondern der in seinem Wesen heilig ist: das Gefühl des Erhabenen. Es war ein Irrthum von Schiller, wenn er meinte, im Raume könne das Erhabene nicht wohnen; es ist ein noch viel größerer Irrthum, wenn mau glaubt, durch Messung, Schätzung, durch Erkenntniß, werde das Erhabene aufgelöst. Es entsteht im Gegentheil erst mit ihr. Das Kind fürchtet sich uur, aber es keunt das Gefühl des Erhabe¬ nen nicht. Wo ist nun der Gegenstand jenes Schauders, den wir anbeten, indem wir ihn zu begreifen wagen? — Nicht die Masse von Aether und irdischem Stoff, denn wir können sie zerlegen; nicht die Kraft, auch wenn sie uns in ihrer Aeuße¬ rung zermalmt, denn sie ist nichts für sich. ES ist die Seele, die Einheit, der Geist der Welt. sucht ihn aber nicht jenseits der Stcrnenregivn, wo die goldnen Kugeln nicht mehr in ihrem rhythmischen Tanze in majestätischer Schnelle dahiu- rolltu. Wo schlägt dieser Puls der Natur, von dem auch unser Herz bebt, ohne daß wir ihn fassen? Wo sollen wir dieses Ncrvengeflecht suchen, in welchem die Natur Geist ist, in welchem sie denkt und ihrer eigene» Göttlichkeit sich bewußt wird? Suche es nicht in der Flamme, die aus den dunkeln Gründen hervorbricht, und auf den Trümmern der alten Natur eine neue aufrichtet; suche es nicht in dem Wasserfall, vor dessen Gebrause dein Inneres bebt, nicht in dem Sonnenstrahl, aus dem das Leben sein Blut saugt — die Flamme, die Fluch, das Licht, sie können dein Leben erhalten und zerstören, sie können dein Herz, erheben, deinem Geiste Ncchruug geben, aber sie selber fühlen ihre Größe nicht, sie verstehen nicht, was sie schaffen, was sie vernichten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/324
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/324>, abgerufen am 25.08.2024.