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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Seltenheit auf unserer Universität, und weiß diese Ursprünglichkeit seiner Darstel¬
lungen noch durch beständige Beziehungen ans die unmittelbarste Gegenwart, auf
die augenblicklichen Verhältnisse und sogar die Stimmung seiner Zuhörer zu heben.
Er versteckt die starre Konsequenz des Hegel'schen Systems durch beständiges
Einflechten empirischer Bestimmungen, und weiß sogar der Geschichte der Philoso¬
phie dadurch eine größere Popularität zu geben, daß er concrete Momente aus
dem Leben und der Anschauungsweise der Philosophen hervorhebt, wie sie grade
dem studentischen Gesichtskreis angemessen sind. Er verschmäht auch selbst die stu¬
dentischen Ausdrücke nicht, keineswegs aus dem eitlen Streben, sich beliebt zu
macheu, sondern in der ernsten Absicht, die Aufmerksamkeit der Zuhörer, die durch
beständige Abstraktion abgespannt werden dürfte, durch solche Niederländische Züge
wieder aufzufrischen.

Die Wirkung solcher Vorlesungen ist jedenfalls mehr anregend als instructiv,
allein es ist in unserer von dem literarischen Treiben der Welt so abgelegenen
Gegend schon sehr viel gewonnen, wenn nur überhaupt die Aufmerksamkeit auf
das hingelenkt wird, was in der Welt Bedeutendes vorgeht und vorgegangen ist.
Es ist dabei zu bemerken, daß nie ein akademischer Lehrer zugänglicher war, nie einer
im persönlichen Umgange im höheren Grade fördernd und anregend. Rosenkranz nimmt
an allen Bestrebungen Theil, die irgend etwas Geistiges verrathen, und so kommt
es, daß namentlich die jungen Poeten vom Pregelstrande seine Protection suchen.
Durch den Preis, der alljährlich auf eine Festrede zum Andenken Kant's ausgesetzt
wird, lernt er die jüngern aufstrebenden Geister kennen, die irgend eine Neigung
zur Philosophie verrathen. Im akademischen Senat ist er stets derjenige, der mit
dem freiesten und unbefangensten Blicke die Sachen für das nimmt, was sie wirk¬
lich sind. So sind auch in Beziehung auf das öffentliche Leben nicht nur seine
Ansichten, sondern auch seine Gesinnung und sein Verhalten im besten Sinne des
Worts liberal, und diejenigen unter den sogenannten Radicalen, die mit ihm un¬
zufrieden sind, weil er nicht auf all' ihre Ideen eingeht, mögen doch bedenken,
daß es ein Unterschied ist, in Kaffeehäusern extreme Ansichten auszusprechen, ein
Anderes, in einer bedeutenden amtlichen Stellung die Grundsätze wahrer Freiheit
thätig anwenden.

In meinem nächsten Bericht komme ich auf die positiven Wissenschaften.




Seltenheit auf unserer Universität, und weiß diese Ursprünglichkeit seiner Darstel¬
lungen noch durch beständige Beziehungen ans die unmittelbarste Gegenwart, auf
die augenblicklichen Verhältnisse und sogar die Stimmung seiner Zuhörer zu heben.
Er versteckt die starre Konsequenz des Hegel'schen Systems durch beständiges
Einflechten empirischer Bestimmungen, und weiß sogar der Geschichte der Philoso¬
phie dadurch eine größere Popularität zu geben, daß er concrete Momente aus
dem Leben und der Anschauungsweise der Philosophen hervorhebt, wie sie grade
dem studentischen Gesichtskreis angemessen sind. Er verschmäht auch selbst die stu¬
dentischen Ausdrücke nicht, keineswegs aus dem eitlen Streben, sich beliebt zu
macheu, sondern in der ernsten Absicht, die Aufmerksamkeit der Zuhörer, die durch
beständige Abstraktion abgespannt werden dürfte, durch solche Niederländische Züge
wieder aufzufrischen.

Die Wirkung solcher Vorlesungen ist jedenfalls mehr anregend als instructiv,
allein es ist in unserer von dem literarischen Treiben der Welt so abgelegenen
Gegend schon sehr viel gewonnen, wenn nur überhaupt die Aufmerksamkeit auf
das hingelenkt wird, was in der Welt Bedeutendes vorgeht und vorgegangen ist.
Es ist dabei zu bemerken, daß nie ein akademischer Lehrer zugänglicher war, nie einer
im persönlichen Umgange im höheren Grade fördernd und anregend. Rosenkranz nimmt
an allen Bestrebungen Theil, die irgend etwas Geistiges verrathen, und so kommt
es, daß namentlich die jungen Poeten vom Pregelstrande seine Protection suchen.
Durch den Preis, der alljährlich auf eine Festrede zum Andenken Kant's ausgesetzt
wird, lernt er die jüngern aufstrebenden Geister kennen, die irgend eine Neigung
zur Philosophie verrathen. Im akademischen Senat ist er stets derjenige, der mit
dem freiesten und unbefangensten Blicke die Sachen für das nimmt, was sie wirk¬
lich sind. So sind auch in Beziehung auf das öffentliche Leben nicht nur seine
Ansichten, sondern auch seine Gesinnung und sein Verhalten im besten Sinne des
Worts liberal, und diejenigen unter den sogenannten Radicalen, die mit ihm un¬
zufrieden sind, weil er nicht auf all' ihre Ideen eingeht, mögen doch bedenken,
daß es ein Unterschied ist, in Kaffeehäusern extreme Ansichten auszusprechen, ein
Anderes, in einer bedeutenden amtlichen Stellung die Grundsätze wahrer Freiheit
thätig anwenden.

In meinem nächsten Bericht komme ich auf die positiven Wissenschaften.




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[0031] Seltenheit auf unserer Universität, und weiß diese Ursprünglichkeit seiner Darstel¬ lungen noch durch beständige Beziehungen ans die unmittelbarste Gegenwart, auf die augenblicklichen Verhältnisse und sogar die Stimmung seiner Zuhörer zu heben. Er versteckt die starre Konsequenz des Hegel'schen Systems durch beständiges Einflechten empirischer Bestimmungen, und weiß sogar der Geschichte der Philoso¬ phie dadurch eine größere Popularität zu geben, daß er concrete Momente aus dem Leben und der Anschauungsweise der Philosophen hervorhebt, wie sie grade dem studentischen Gesichtskreis angemessen sind. Er verschmäht auch selbst die stu¬ dentischen Ausdrücke nicht, keineswegs aus dem eitlen Streben, sich beliebt zu macheu, sondern in der ernsten Absicht, die Aufmerksamkeit der Zuhörer, die durch beständige Abstraktion abgespannt werden dürfte, durch solche Niederländische Züge wieder aufzufrischen. Die Wirkung solcher Vorlesungen ist jedenfalls mehr anregend als instructiv, allein es ist in unserer von dem literarischen Treiben der Welt so abgelegenen Gegend schon sehr viel gewonnen, wenn nur überhaupt die Aufmerksamkeit auf das hingelenkt wird, was in der Welt Bedeutendes vorgeht und vorgegangen ist. Es ist dabei zu bemerken, daß nie ein akademischer Lehrer zugänglicher war, nie einer im persönlichen Umgange im höheren Grade fördernd und anregend. Rosenkranz nimmt an allen Bestrebungen Theil, die irgend etwas Geistiges verrathen, und so kommt es, daß namentlich die jungen Poeten vom Pregelstrande seine Protection suchen. Durch den Preis, der alljährlich auf eine Festrede zum Andenken Kant's ausgesetzt wird, lernt er die jüngern aufstrebenden Geister kennen, die irgend eine Neigung zur Philosophie verrathen. Im akademischen Senat ist er stets derjenige, der mit dem freiesten und unbefangensten Blicke die Sachen für das nimmt, was sie wirk¬ lich sind. So sind auch in Beziehung auf das öffentliche Leben nicht nur seine Ansichten, sondern auch seine Gesinnung und sein Verhalten im besten Sinne des Worts liberal, und diejenigen unter den sogenannten Radicalen, die mit ihm un¬ zufrieden sind, weil er nicht auf all' ihre Ideen eingeht, mögen doch bedenken, daß es ein Unterschied ist, in Kaffeehäusern extreme Ansichten auszusprechen, ein Anderes, in einer bedeutenden amtlichen Stellung die Grundsätze wahrer Freiheit thätig anwenden. In meinem nächsten Bericht komme ich auf die positiven Wissenschaften.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/31>, abgerufen am 22.07.2024.