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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Landragsbriefe ans Ungarn.
II.

Der Landtag wurde endlich am 12. November durch Se. Majestät den
König ') persönlich eröffnet. Sie erlassen mir gewiß die Beschreibung der Er¬
öffnungsfeierlichkeiten, der Beleuchtungen der Freudenfeste, so wie auch der er¬
freu unbedeutenden Vorbercitungs- und Ceremouialsitzungcu. Sie und Ihre Leser
werdeu es mir Dank wissen, wenn ich gleich zur Hauptsache schreite. Eines muß
ich jedoch hervorheben. Der König hat bei Ueberreichung der k. Propositionen
ungarisch gesprochen. Ein ungarischer König hat ungarisch gesprochen. Seit 1490,
dem Tode Mathias Corvinus, war dies nicht der Fall, und der Freudentaumel,



Ein anderer Brief meldet uns hierüber Folgendes: "Es ist eine heißblutige Nation, und
weil ihr Grundelement ein gutes ist, sind diese Magyaren heißblütiger noch in den Beweisen ihres,
Enthusiasmus, als ihres Hasses. Der Empfang des Kaisers und der kaiserlichen Familie am
Landungsplätze so wie im großen Saale, war, ohne officielle Phrase, mehr ein Sturm als
ein Zuruf zu nennen, und als der Kaiser die Eröffnungsrede ungarisch sprach, wurde aus dem
Sturm eine Art Delirium. Die Persönlichkeit des Monarchen, der sanfte Ausdruck der Züge,
die schüchterne Stimme und ein Hauch rührender Bescheidenheit, der über das ganze Wesen
dieses Herrschers über 38 Millionen Menschen ausgegossen ist, bildete einen poetischen Kon¬
trast mit'der ganzen Staffage des Saales und der Gelegenheit, und wirkte gerade dadurch in
viel ergreifenderer Weise, als durch das Pathos anderer Thronreden. In diesem Augenblicke
waren alle Parteien versöhnt, unbeschadet des Kampfes, der am andern Tage wieder losgeht.
Kossuth, ein Gegenstand des Interesses Aller und der Abgott der Opposition, hat, um zu be¬
weisen, daß seine Opposition nur eine nationale, co."stitutionelle, nicht aber antidynastischc,
oder gar antimonarchische ist, in der ersten vorbereitenden Sitzung eine warme Denkrede auf
die Verdienste des verstorbenen Palatins gehalten, und auch den Antrag gestellt, daß die Wahl
des Erzherzogs Stephan nicht durch Stimmenzahl, sondern durch Acclamation geschehen soll --
was einstimmigen Beifall erhielt. In der That wurde der Erzherzog sogleich nach Borlesung
der königl. Präpositionen im Landhause einstimmig zum Palatin erwählt und leistete eine Stunde
später den Eid der Treue in die Hände des Kaisers. Die Pracht und der Reichthum, wel¬
che das kaiserliche Gefolge, die Magnaten, der Clerus ?c. entfalteten, dürfte in keinem euro¬
päischen Staate bei solcher Gelegenheit zu finden sein. In der That spielt auch Asien herein,
und wer die caucasischen Gesichtszüge der schönen Magncttinncn überschaut, die bei diesem Allen
eine sehr lebendige Rolle spielen, die Farbenpracht und die Mannigfaltigkeit der Kostüme und
Uniformen, die klirrenden Säbel, die heftige Gesticulation, das Gewirre der Sprachen, der
glaubt sich in ein asiatisches Feenmärchen versetzt. Möge der Ernst der Wirklichkeit bald be¬
ginnen. Es ist Zeit, daß gehandelt wird!"
Landragsbriefe ans Ungarn.
II.

Der Landtag wurde endlich am 12. November durch Se. Majestät den
König ') persönlich eröffnet. Sie erlassen mir gewiß die Beschreibung der Er¬
öffnungsfeierlichkeiten, der Beleuchtungen der Freudenfeste, so wie auch der er¬
freu unbedeutenden Vorbercitungs- und Ceremouialsitzungcu. Sie und Ihre Leser
werdeu es mir Dank wissen, wenn ich gleich zur Hauptsache schreite. Eines muß
ich jedoch hervorheben. Der König hat bei Ueberreichung der k. Propositionen
ungarisch gesprochen. Ein ungarischer König hat ungarisch gesprochen. Seit 1490,
dem Tode Mathias Corvinus, war dies nicht der Fall, und der Freudentaumel,



Ein anderer Brief meldet uns hierüber Folgendes: „Es ist eine heißblutige Nation, und
weil ihr Grundelement ein gutes ist, sind diese Magyaren heißblütiger noch in den Beweisen ihres,
Enthusiasmus, als ihres Hasses. Der Empfang des Kaisers und der kaiserlichen Familie am
Landungsplätze so wie im großen Saale, war, ohne officielle Phrase, mehr ein Sturm als
ein Zuruf zu nennen, und als der Kaiser die Eröffnungsrede ungarisch sprach, wurde aus dem
Sturm eine Art Delirium. Die Persönlichkeit des Monarchen, der sanfte Ausdruck der Züge,
die schüchterne Stimme und ein Hauch rührender Bescheidenheit, der über das ganze Wesen
dieses Herrschers über 38 Millionen Menschen ausgegossen ist, bildete einen poetischen Kon¬
trast mit'der ganzen Staffage des Saales und der Gelegenheit, und wirkte gerade dadurch in
viel ergreifenderer Weise, als durch das Pathos anderer Thronreden. In diesem Augenblicke
waren alle Parteien versöhnt, unbeschadet des Kampfes, der am andern Tage wieder losgeht.
Kossuth, ein Gegenstand des Interesses Aller und der Abgott der Opposition, hat, um zu be¬
weisen, daß seine Opposition nur eine nationale, co.»stitutionelle, nicht aber antidynastischc,
oder gar antimonarchische ist, in der ersten vorbereitenden Sitzung eine warme Denkrede auf
die Verdienste des verstorbenen Palatins gehalten, und auch den Antrag gestellt, daß die Wahl
des Erzherzogs Stephan nicht durch Stimmenzahl, sondern durch Acclamation geschehen soll —
was einstimmigen Beifall erhielt. In der That wurde der Erzherzog sogleich nach Borlesung
der königl. Präpositionen im Landhause einstimmig zum Palatin erwählt und leistete eine Stunde
später den Eid der Treue in die Hände des Kaisers. Die Pracht und der Reichthum, wel¬
che das kaiserliche Gefolge, die Magnaten, der Clerus ?c. entfalteten, dürfte in keinem euro¬
päischen Staate bei solcher Gelegenheit zu finden sein. In der That spielt auch Asien herein,
und wer die caucasischen Gesichtszüge der schönen Magncttinncn überschaut, die bei diesem Allen
eine sehr lebendige Rolle spielen, die Farbenpracht und die Mannigfaltigkeit der Kostüme und
Uniformen, die klirrenden Säbel, die heftige Gesticulation, das Gewirre der Sprachen, der
glaubt sich in ein asiatisches Feenmärchen versetzt. Möge der Ernst der Wirklichkeit bald be¬
ginnen. Es ist Zeit, daß gehandelt wird!"
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[0302] Landragsbriefe ans Ungarn. II. Der Landtag wurde endlich am 12. November durch Se. Majestät den König ') persönlich eröffnet. Sie erlassen mir gewiß die Beschreibung der Er¬ öffnungsfeierlichkeiten, der Beleuchtungen der Freudenfeste, so wie auch der er¬ freu unbedeutenden Vorbercitungs- und Ceremouialsitzungcu. Sie und Ihre Leser werdeu es mir Dank wissen, wenn ich gleich zur Hauptsache schreite. Eines muß ich jedoch hervorheben. Der König hat bei Ueberreichung der k. Propositionen ungarisch gesprochen. Ein ungarischer König hat ungarisch gesprochen. Seit 1490, dem Tode Mathias Corvinus, war dies nicht der Fall, und der Freudentaumel, Ein anderer Brief meldet uns hierüber Folgendes: „Es ist eine heißblutige Nation, und weil ihr Grundelement ein gutes ist, sind diese Magyaren heißblütiger noch in den Beweisen ihres, Enthusiasmus, als ihres Hasses. Der Empfang des Kaisers und der kaiserlichen Familie am Landungsplätze so wie im großen Saale, war, ohne officielle Phrase, mehr ein Sturm als ein Zuruf zu nennen, und als der Kaiser die Eröffnungsrede ungarisch sprach, wurde aus dem Sturm eine Art Delirium. Die Persönlichkeit des Monarchen, der sanfte Ausdruck der Züge, die schüchterne Stimme und ein Hauch rührender Bescheidenheit, der über das ganze Wesen dieses Herrschers über 38 Millionen Menschen ausgegossen ist, bildete einen poetischen Kon¬ trast mit'der ganzen Staffage des Saales und der Gelegenheit, und wirkte gerade dadurch in viel ergreifenderer Weise, als durch das Pathos anderer Thronreden. In diesem Augenblicke waren alle Parteien versöhnt, unbeschadet des Kampfes, der am andern Tage wieder losgeht. Kossuth, ein Gegenstand des Interesses Aller und der Abgott der Opposition, hat, um zu be¬ weisen, daß seine Opposition nur eine nationale, co.»stitutionelle, nicht aber antidynastischc, oder gar antimonarchische ist, in der ersten vorbereitenden Sitzung eine warme Denkrede auf die Verdienste des verstorbenen Palatins gehalten, und auch den Antrag gestellt, daß die Wahl des Erzherzogs Stephan nicht durch Stimmenzahl, sondern durch Acclamation geschehen soll — was einstimmigen Beifall erhielt. In der That wurde der Erzherzog sogleich nach Borlesung der königl. Präpositionen im Landhause einstimmig zum Palatin erwählt und leistete eine Stunde später den Eid der Treue in die Hände des Kaisers. Die Pracht und der Reichthum, wel¬ che das kaiserliche Gefolge, die Magnaten, der Clerus ?c. entfalteten, dürfte in keinem euro¬ päischen Staate bei solcher Gelegenheit zu finden sein. In der That spielt auch Asien herein, und wer die caucasischen Gesichtszüge der schönen Magncttinncn überschaut, die bei diesem Allen eine sehr lebendige Rolle spielen, die Farbenpracht und die Mannigfaltigkeit der Kostüme und Uniformen, die klirrenden Säbel, die heftige Gesticulation, das Gewirre der Sprachen, der glaubt sich in ein asiatisches Feenmärchen versetzt. Möge der Ernst der Wirklichkeit bald be¬ ginnen. Es ist Zeit, daß gehandelt wird!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/302>, abgerufen am 22.07.2024.