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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Deutsche Reisende in der Fremde.
Zweiter C y c l u s.



I. Gützlaff.

Wir beginnen diesmal mit dem entlegensten Osten, dem "himmlischen Reich
der Mitte", das bisher von der geschichtlichen Entwickelung der civilisirten Welt
ziemlich ausgeschlossen war, und für Europa immer nur als ein Gegenstand der
Kuriosität gelten konnte. Aber der mächtigste Hebel aller Weltbürgcrschast, der
Handel, hat dieses wunderbare Land in unsere Interessen gezogen, und seit dem
letzten englischen Kriege wird China voll Tage zu Tage mehr in das Staatensy¬
stem der Culturvölker aufgenommen werden. Es gilt von dem Krieg in Bezug
ans die Ländcrverbindnng, was von Flüssen. Dem ersten Anschein nach scheiden
sie, in der That aber bringen sie die Völker einander näher. Der Handel ist die
Wünschelruthe, die auf die vclborgencn Schätze hinweist, der Krieg der Grab-
scheit, der sie eröffnet. --> Der Reisende, dem wir eine genauere Anschauung
Chinas verdanken, ist der berühmte Gützlaff, einer aus dem Kreise jener From¬
men, die, um ihre Brüder in fernen Zonen der Erlösung theilhaftig zu machen,
sich den größten Mühseligkeiten, ja selbst Entbehrungen und Gefahren aussetzten.
Es ist bekannt, daß aus den Versuchen, Gold zu machen, zwar nicht die ersehnte
Goldtinctur, aber dasür manches andere Gute hervorging, z. B. das Meißner
Porzellan. So verdankt die Welt den Bemühungen jener Apostel zwar nicht im¬
mer die weitere Ausbreitung deS Christenthums, wohl aber die genauere Kennt¬
niß entlegener Gegenden, die wohl ohne einen inneren Drang nicht leicht ein
Mensch aufgesucht haben würde. Wir glauben der Heiligkeit solcher Bestrebungen
nicht zu nahe zu treten, wenn wir behaupten, ein geheimer Trieb des Wissens,
nach Anschauung und Erforschung fremdartiger Gegenstände, sei uuter der Maske
des christlichen Eifers das wesentliche Motiv ihrer Unternehmungen gewesen. Je¬
denfalls ist für uns der Aufschluß, deu wir über das innere Leben jener Völker
erhalten, ein größerer Gewinn, als wenn das Kreuz auf den bnntzackigen Thür¬
men Chinas aufgerichtet würde. -- Das Werk, wovon wir hier handeln, führt
den Titel: Gützlaff's Geschichte de.s Chinesischen Reichs von deu äl¬
testen Zeiten bis auf den Frieden von Nanking. Herausgegeben von


37*
Deutsche Reisende in der Fremde.
Zweiter C y c l u s.



I. Gützlaff.

Wir beginnen diesmal mit dem entlegensten Osten, dem „himmlischen Reich
der Mitte", das bisher von der geschichtlichen Entwickelung der civilisirten Welt
ziemlich ausgeschlossen war, und für Europa immer nur als ein Gegenstand der
Kuriosität gelten konnte. Aber der mächtigste Hebel aller Weltbürgcrschast, der
Handel, hat dieses wunderbare Land in unsere Interessen gezogen, und seit dem
letzten englischen Kriege wird China voll Tage zu Tage mehr in das Staatensy¬
stem der Culturvölker aufgenommen werden. Es gilt von dem Krieg in Bezug
ans die Ländcrverbindnng, was von Flüssen. Dem ersten Anschein nach scheiden
sie, in der That aber bringen sie die Völker einander näher. Der Handel ist die
Wünschelruthe, die auf die vclborgencn Schätze hinweist, der Krieg der Grab-
scheit, der sie eröffnet. —> Der Reisende, dem wir eine genauere Anschauung
Chinas verdanken, ist der berühmte Gützlaff, einer aus dem Kreise jener From¬
men, die, um ihre Brüder in fernen Zonen der Erlösung theilhaftig zu machen,
sich den größten Mühseligkeiten, ja selbst Entbehrungen und Gefahren aussetzten.
Es ist bekannt, daß aus den Versuchen, Gold zu machen, zwar nicht die ersehnte
Goldtinctur, aber dasür manches andere Gute hervorging, z. B. das Meißner
Porzellan. So verdankt die Welt den Bemühungen jener Apostel zwar nicht im¬
mer die weitere Ausbreitung deS Christenthums, wohl aber die genauere Kennt¬
niß entlegener Gegenden, die wohl ohne einen inneren Drang nicht leicht ein
Mensch aufgesucht haben würde. Wir glauben der Heiligkeit solcher Bestrebungen
nicht zu nahe zu treten, wenn wir behaupten, ein geheimer Trieb des Wissens,
nach Anschauung und Erforschung fremdartiger Gegenstände, sei uuter der Maske
des christlichen Eifers das wesentliche Motiv ihrer Unternehmungen gewesen. Je¬
denfalls ist für uns der Aufschluß, deu wir über das innere Leben jener Völker
erhalten, ein größerer Gewinn, als wenn das Kreuz auf den bnntzackigen Thür¬
men Chinas aufgerichtet würde. — Das Werk, wovon wir hier handeln, führt
den Titel: Gützlaff's Geschichte de.s Chinesischen Reichs von deu äl¬
testen Zeiten bis auf den Frieden von Nanking. Herausgegeben von


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[0291] Deutsche Reisende in der Fremde. Zweiter C y c l u s. I. Gützlaff. Wir beginnen diesmal mit dem entlegensten Osten, dem „himmlischen Reich der Mitte", das bisher von der geschichtlichen Entwickelung der civilisirten Welt ziemlich ausgeschlossen war, und für Europa immer nur als ein Gegenstand der Kuriosität gelten konnte. Aber der mächtigste Hebel aller Weltbürgcrschast, der Handel, hat dieses wunderbare Land in unsere Interessen gezogen, und seit dem letzten englischen Kriege wird China voll Tage zu Tage mehr in das Staatensy¬ stem der Culturvölker aufgenommen werden. Es gilt von dem Krieg in Bezug ans die Ländcrverbindnng, was von Flüssen. Dem ersten Anschein nach scheiden sie, in der That aber bringen sie die Völker einander näher. Der Handel ist die Wünschelruthe, die auf die vclborgencn Schätze hinweist, der Krieg der Grab- scheit, der sie eröffnet. —> Der Reisende, dem wir eine genauere Anschauung Chinas verdanken, ist der berühmte Gützlaff, einer aus dem Kreise jener From¬ men, die, um ihre Brüder in fernen Zonen der Erlösung theilhaftig zu machen, sich den größten Mühseligkeiten, ja selbst Entbehrungen und Gefahren aussetzten. Es ist bekannt, daß aus den Versuchen, Gold zu machen, zwar nicht die ersehnte Goldtinctur, aber dasür manches andere Gute hervorging, z. B. das Meißner Porzellan. So verdankt die Welt den Bemühungen jener Apostel zwar nicht im¬ mer die weitere Ausbreitung deS Christenthums, wohl aber die genauere Kennt¬ niß entlegener Gegenden, die wohl ohne einen inneren Drang nicht leicht ein Mensch aufgesucht haben würde. Wir glauben der Heiligkeit solcher Bestrebungen nicht zu nahe zu treten, wenn wir behaupten, ein geheimer Trieb des Wissens, nach Anschauung und Erforschung fremdartiger Gegenstände, sei uuter der Maske des christlichen Eifers das wesentliche Motiv ihrer Unternehmungen gewesen. Je¬ denfalls ist für uns der Aufschluß, deu wir über das innere Leben jener Völker erhalten, ein größerer Gewinn, als wenn das Kreuz auf den bnntzackigen Thür¬ men Chinas aufgerichtet würde. — Das Werk, wovon wir hier handeln, führt den Titel: Gützlaff's Geschichte de.s Chinesischen Reichs von deu äl¬ testen Zeiten bis auf den Frieden von Nanking. Herausgegeben von 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/291>, abgerufen am 22.07.2024.