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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Mit der Bevorzugung, welche die Aristocratie erfährt, fällt für sie ein Haupt-
beweggruud weg sich als ausgezeichnet zu zeigen, sich des Dienstes auzuneh-
nien. Die unadligen Beamten können über den vollziehenden Dienst uicht hin¬
aus. Die Censur verbietet ihnen mit ihrer Erfahrung nud Sachkenntniß
den Beamten am Steuer des Staates zu rathen. Die Unbekanntschaft ihrer
Umgebungen mit allen Administrationsfragen schneidet ihnen jedes Gespräch
über Negierungsgegenstände ab. So geben sie jedes Interesse für die Wissen¬
schaft, jeden Antheil an den Erfolge" der Nachbarstaaten auf. Sie thun, was
sie nicht lassen können, mit der Verdrossenheit mißhandelter Miethlinge. Sie sehnen
andere Zustände herbei, statt mit der bestehenden Ordnung erwachsen zu sein.

Die Beamten sind das allgegenwärtige Auge des unumschränkten Kaisers,
die Glieder seines über das Land reichenden Riesenleibes. Sie erziehen die Bür¬
ger, sie verwalten ihr Vermögen, sie gängeln jeden ihrer Schritte. Sie sprechen
Recht und Unrecht. Ueber die Welt hinaus haben sie Gewalt, indem sie bestim¬
men, was in den Schulen gelehrt, in den Kirchen gepredigt werden soll, indem
sie die Religion in die Geleise des Staates zwingen. Sie durchdringen in der
That die Monarchie, we5 die Nerven den menschlichen Körper, sie ist gesund und
krank mit ihnen.

Die Conduitenliste ist geschichtlich eine Folge der Revolution. Ihr Ursprung
geht mit der Proscription aus einer Gedankenrichtung hervor. Die Regierung
will zu gleicher Zeit die verdächtigen und verläßlichen Werkzeuge ihrer Thätigkeit
kennen lernen. Hier aber sprechen Umstände für die Conduitenliste, welche in ru¬
higen Zeiten zu ihrem Gunsten nicht geltend gemacht werden können. Aber die
provisorischen Maßregeln einer revolutionären Regierung jolleu nicht die eiues
geordneten Staates sein. In gewöhnlichen Zeiten kerkert man die Verdächtigen
nicht ein, hält die Presse nicht nieder, wirft die Staatsbeamten nicht aus ihren
Aemtern. Die Reformen Joseph's II. gingen rasch vor sich und begegneten nicht
geringem Widerstreben. Darin mag die Erklärung seines Dekrets vom 13. Jan.
1783 liegen.

In den zwei ersten Staaten Enropa's ist die Conduitenliste nicht in Auf¬
Albrecht Sebeldi. nahme.




Mit der Bevorzugung, welche die Aristocratie erfährt, fällt für sie ein Haupt-
beweggruud weg sich als ausgezeichnet zu zeigen, sich des Dienstes auzuneh-
nien. Die unadligen Beamten können über den vollziehenden Dienst uicht hin¬
aus. Die Censur verbietet ihnen mit ihrer Erfahrung nud Sachkenntniß
den Beamten am Steuer des Staates zu rathen. Die Unbekanntschaft ihrer
Umgebungen mit allen Administrationsfragen schneidet ihnen jedes Gespräch
über Negierungsgegenstände ab. So geben sie jedes Interesse für die Wissen¬
schaft, jeden Antheil an den Erfolge» der Nachbarstaaten auf. Sie thun, was
sie nicht lassen können, mit der Verdrossenheit mißhandelter Miethlinge. Sie sehnen
andere Zustände herbei, statt mit der bestehenden Ordnung erwachsen zu sein.

Die Beamten sind das allgegenwärtige Auge des unumschränkten Kaisers,
die Glieder seines über das Land reichenden Riesenleibes. Sie erziehen die Bür¬
ger, sie verwalten ihr Vermögen, sie gängeln jeden ihrer Schritte. Sie sprechen
Recht und Unrecht. Ueber die Welt hinaus haben sie Gewalt, indem sie bestim¬
men, was in den Schulen gelehrt, in den Kirchen gepredigt werden soll, indem
sie die Religion in die Geleise des Staates zwingen. Sie durchdringen in der
That die Monarchie, we5 die Nerven den menschlichen Körper, sie ist gesund und
krank mit ihnen.

Die Conduitenliste ist geschichtlich eine Folge der Revolution. Ihr Ursprung
geht mit der Proscription aus einer Gedankenrichtung hervor. Die Regierung
will zu gleicher Zeit die verdächtigen und verläßlichen Werkzeuge ihrer Thätigkeit
kennen lernen. Hier aber sprechen Umstände für die Conduitenliste, welche in ru¬
higen Zeiten zu ihrem Gunsten nicht geltend gemacht werden können. Aber die
provisorischen Maßregeln einer revolutionären Regierung jolleu nicht die eiues
geordneten Staates sein. In gewöhnlichen Zeiten kerkert man die Verdächtigen
nicht ein, hält die Presse nicht nieder, wirft die Staatsbeamten nicht aus ihren
Aemtern. Die Reformen Joseph's II. gingen rasch vor sich und begegneten nicht
geringem Widerstreben. Darin mag die Erklärung seines Dekrets vom 13. Jan.
1783 liegen.

In den zwei ersten Staaten Enropa's ist die Conduitenliste nicht in Auf¬
Albrecht Sebeldi. nahme.




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[0290] Mit der Bevorzugung, welche die Aristocratie erfährt, fällt für sie ein Haupt- beweggruud weg sich als ausgezeichnet zu zeigen, sich des Dienstes auzuneh- nien. Die unadligen Beamten können über den vollziehenden Dienst uicht hin¬ aus. Die Censur verbietet ihnen mit ihrer Erfahrung nud Sachkenntniß den Beamten am Steuer des Staates zu rathen. Die Unbekanntschaft ihrer Umgebungen mit allen Administrationsfragen schneidet ihnen jedes Gespräch über Negierungsgegenstände ab. So geben sie jedes Interesse für die Wissen¬ schaft, jeden Antheil an den Erfolge» der Nachbarstaaten auf. Sie thun, was sie nicht lassen können, mit der Verdrossenheit mißhandelter Miethlinge. Sie sehnen andere Zustände herbei, statt mit der bestehenden Ordnung erwachsen zu sein. Die Beamten sind das allgegenwärtige Auge des unumschränkten Kaisers, die Glieder seines über das Land reichenden Riesenleibes. Sie erziehen die Bür¬ ger, sie verwalten ihr Vermögen, sie gängeln jeden ihrer Schritte. Sie sprechen Recht und Unrecht. Ueber die Welt hinaus haben sie Gewalt, indem sie bestim¬ men, was in den Schulen gelehrt, in den Kirchen gepredigt werden soll, indem sie die Religion in die Geleise des Staates zwingen. Sie durchdringen in der That die Monarchie, we5 die Nerven den menschlichen Körper, sie ist gesund und krank mit ihnen. Die Conduitenliste ist geschichtlich eine Folge der Revolution. Ihr Ursprung geht mit der Proscription aus einer Gedankenrichtung hervor. Die Regierung will zu gleicher Zeit die verdächtigen und verläßlichen Werkzeuge ihrer Thätigkeit kennen lernen. Hier aber sprechen Umstände für die Conduitenliste, welche in ru¬ higen Zeiten zu ihrem Gunsten nicht geltend gemacht werden können. Aber die provisorischen Maßregeln einer revolutionären Regierung jolleu nicht die eiues geordneten Staates sein. In gewöhnlichen Zeiten kerkert man die Verdächtigen nicht ein, hält die Presse nicht nieder, wirft die Staatsbeamten nicht aus ihren Aemtern. Die Reformen Joseph's II. gingen rasch vor sich und begegneten nicht geringem Widerstreben. Darin mag die Erklärung seines Dekrets vom 13. Jan. 1783 liegen. In den zwei ersten Staaten Enropa's ist die Conduitenliste nicht in Auf¬ Albrecht Sebeldi. nahme.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/290>, abgerufen am 24.08.2024.