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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Der Beamte von gemeiner Klugheit wird darauf sehen, daß er sein ganzes Sein
den Ansichten der Obern in so weit accomodire, als es von diesem bemerkt wird.

Das Geschäftsleben des Beamten läuft unter den Augen seines Borgesetzten
hin. Ich will voraussetzen, daß dieser völlig ehrlich sei. Nichts desto weniger
wird er die ihm untergeordneten Beamten aus ihren Arbeiten und ihrer Stimm¬
führung beurtheilen. Er wird für diese Beurtheilung keinen andern Maßstab haben
können, als seine eigenen Begriffe von geschickt und ungeschickt, von loyal, gefährlich
n. s. w. Der aristokratisch gesinnte Obere z. B. wird den Beamten für leiden¬
schaftlich, für gewaltthätig ansehen, der den Landständen etwas in den Weg legen,
sich gegen die schnellere Beförderung der Adeligen, gegen die Aufnahme ttebcrzäh-
liger u. f. w. wehren wird. Wenn Berichte über Frvhnablösnngen, Zehent und
dergl. abverlangt werden, wird der Beamte sich ihm nicht empfehlen, welcher das
Interesse des Bauers in Schutz nehmen wird n. f. w. u. s. w. Endlich ver¬
setzen alle Meinungsverschiedenheiten, besonders wenn sie mit Wärme durch-
geführt werden, die mehrsten Menschen in üble Laune. Sie wird hervorgebracht
durch das immer lichter werdende Bewußtsein, daß man nicht zu überzeugen ver¬
mag. Sie wird hervorgebracht durch den Unglauben des Gegners an die geistige
Überlegenheit des Behauptenden. Am übelsten nimmt einen Widerspruch derje¬
nige auf, dem selten oder nicht widersprochen wird. Darum ist es eine allgemeine
Klngheitsregel den Vornehmen' nicht zu widersprechen, auch wenn man Recht hat.

Wie Jedermann so ist auch der Beamte sich selbst der Nächste. So ist die
Meinung seines Vorgesetzten die seine. Sie ist um so gewisser die seine, um so
mehr er glaubt, daß dem Obern an einer Entscheidung gelegen sei. In der That
sind die Ansichten der österreichischen Präsidenten in allen wichtigen Dingen die
Beschlüsse der Collegien, denen sie Vorsitzer.

. So ist die Collegialverfassnng durch die Couduitenlisten praktisch aufgehoben. Die
Beamten sind die.Knechte der Präsidenten. Sie verkaufen ihre Ansichten und ihr
Gewissen um die Gunst ihrer Obern. Sie entscheiden hente schwarz und morgen
weiß, je nachdem Paul oder Peter im Armstuhl sitzen.. . . Welche Achtung kön¬
nen die Obern vor Leuten haben, die um ihre Gunst betteln, die jede Sache von
Erheblichkeit, insbesondere jede Befördernngssache, ihnen vorlegen, eh' sie solche
bearbeiten, um demüthig zu vernehmen in welcher Richtung sie arbeiten sollen.

Mit der völligen Abhängigkeit der Beamten von ihren Obern verliert die
Regierung den Zusammenhang des größten Theiles ihrer Bediensteten. Sie sind
fortan, was die Bauern in den alten Feudalstaaten waren.

Der Beamte kann über seine Kollegen hinwegspringen, wenn es ihm gelingt sie
den Obern gegenüber in ein nachtheiliges Licht zu stellen. Bei den durchaus mate¬
rialistischen Richtungen unsrer Zeit ist die Ehrlichkeit auf Kosten des eignen Vor¬
theils ein selten Ding. So haben die Beamten untereinander keine Verbindung,
sie suchen Einer den Ruf des Andern zu verkleinern, versuchen das Mögliche die


Der Beamte von gemeiner Klugheit wird darauf sehen, daß er sein ganzes Sein
den Ansichten der Obern in so weit accomodire, als es von diesem bemerkt wird.

Das Geschäftsleben des Beamten läuft unter den Augen seines Borgesetzten
hin. Ich will voraussetzen, daß dieser völlig ehrlich sei. Nichts desto weniger
wird er die ihm untergeordneten Beamten aus ihren Arbeiten und ihrer Stimm¬
führung beurtheilen. Er wird für diese Beurtheilung keinen andern Maßstab haben
können, als seine eigenen Begriffe von geschickt und ungeschickt, von loyal, gefährlich
n. s. w. Der aristokratisch gesinnte Obere z. B. wird den Beamten für leiden¬
schaftlich, für gewaltthätig ansehen, der den Landständen etwas in den Weg legen,
sich gegen die schnellere Beförderung der Adeligen, gegen die Aufnahme ttebcrzäh-
liger u. f. w. wehren wird. Wenn Berichte über Frvhnablösnngen, Zehent und
dergl. abverlangt werden, wird der Beamte sich ihm nicht empfehlen, welcher das
Interesse des Bauers in Schutz nehmen wird n. f. w. u. s. w. Endlich ver¬
setzen alle Meinungsverschiedenheiten, besonders wenn sie mit Wärme durch-
geführt werden, die mehrsten Menschen in üble Laune. Sie wird hervorgebracht
durch das immer lichter werdende Bewußtsein, daß man nicht zu überzeugen ver¬
mag. Sie wird hervorgebracht durch den Unglauben des Gegners an die geistige
Überlegenheit des Behauptenden. Am übelsten nimmt einen Widerspruch derje¬
nige auf, dem selten oder nicht widersprochen wird. Darum ist es eine allgemeine
Klngheitsregel den Vornehmen' nicht zu widersprechen, auch wenn man Recht hat.

Wie Jedermann so ist auch der Beamte sich selbst der Nächste. So ist die
Meinung seines Vorgesetzten die seine. Sie ist um so gewisser die seine, um so
mehr er glaubt, daß dem Obern an einer Entscheidung gelegen sei. In der That
sind die Ansichten der österreichischen Präsidenten in allen wichtigen Dingen die
Beschlüsse der Collegien, denen sie Vorsitzer.

. So ist die Collegialverfassnng durch die Couduitenlisten praktisch aufgehoben. Die
Beamten sind die.Knechte der Präsidenten. Sie verkaufen ihre Ansichten und ihr
Gewissen um die Gunst ihrer Obern. Sie entscheiden hente schwarz und morgen
weiß, je nachdem Paul oder Peter im Armstuhl sitzen.. . . Welche Achtung kön¬
nen die Obern vor Leuten haben, die um ihre Gunst betteln, die jede Sache von
Erheblichkeit, insbesondere jede Befördernngssache, ihnen vorlegen, eh' sie solche
bearbeiten, um demüthig zu vernehmen in welcher Richtung sie arbeiten sollen.

Mit der völligen Abhängigkeit der Beamten von ihren Obern verliert die
Regierung den Zusammenhang des größten Theiles ihrer Bediensteten. Sie sind
fortan, was die Bauern in den alten Feudalstaaten waren.

Der Beamte kann über seine Kollegen hinwegspringen, wenn es ihm gelingt sie
den Obern gegenüber in ein nachtheiliges Licht zu stellen. Bei den durchaus mate¬
rialistischen Richtungen unsrer Zeit ist die Ehrlichkeit auf Kosten des eignen Vor¬
theils ein selten Ding. So haben die Beamten untereinander keine Verbindung,
sie suchen Einer den Ruf des Andern zu verkleinern, versuchen das Mögliche die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/288>, abgerufen am 22.07.2024.