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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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als Privatleute und Empfehlungen die Hebel, welche der Regel nach ans die ein¬
träglichem Stufen in der Beamtenhierarchie verhelfen.

Dem Herrn liegt daran, brauchbare Beamte zu haben; der Miethling ge¬
deiht nicht selten am besten, wenn sein Herr zu Grunde geht. Was liegt einem
Präsidenten daran, ob Oesterreich einige ungeschickte oder unredliche Räthe mehr
hat! Dagegen liegt ihm viel daran, ob sein Sohn heute oder morgen ein behäbig
Auskommen erlaugt.

Die österreichische Bureaukratie ist nicht durch die Presse, nicht durch die
Oeffentlichkeit ihrer Amtshandlungen controlirt. Um so wichtiger ist es, sie Pri¬
vateinflüssen möglichst fern zu halten. Dazu ist vor Allem die Selbstständigkeit
der einzelnen Beamten nothwendig. Man hat zu allen Zeiten die Nothwendigkeit
eingesehen, die Richter unabhängig zu stelle". Warum das? Abgesehen von Be¬
stechungen, Verivandtschaftsverhältnissen u. s. w. ist Jedermann geneigt, jene Zu¬
stände zu realisiren, welche er als die rechtlichen ansieht. Das Rechtsgefühl im
Menschen ist etwas nicht Hinwcgzulengnendes. Es liegt im Instinkt des Kindes,
den Unterdrückten beizustehen. Es ist mit Grund vorauszusetzen, daß die Richter
gerecht richten werden, so lange sie unbefangen sein werden. Als ein Mittel, die
Unbefangenheit der Einzelnen zu bewahren, hat man seit alten Zeiten ans Colle-
gialverfassungcn Gewicht gelegt. Einmal ist es gewiß, daß vier Augen besser sehen
können als zwei. Dann ist ein Kollegium schwerer zu bestechen, schwerer zu ge¬
winnen, als eine einzelne Person. Endlich geschieht in den mehrsten Dingen das Rechte
bei allgemeiner Verständlichkeit. Der Einzelne ist durch das Kollegium controlirt.
Er schämt sich, unehrlich zu sein. Alle Controle der Welt beruht auf den Be¬
trachtungen, daß es schwerer ist, Drei in sein Privatinteresse zu ziehen denn Einen,
daß, was der Eine nicht bemerkt, dem Andern auffällt, endlich daß die Wich¬
tigkeit getheilt und damit das Privatinteresse geschwächt wird.

Was für die Unabhängigkeit der Gerichte geltend gemacht werden kann, läßt
sich für andere Administrationszweige eben so geltend machen. Bei Finanzoperationen,
bei Aemtervcrleihungen, in Gewerbssachen, in Administrationssachen überhaupt ist
es von unendlicher Wichtigkeit, daß eine Mehrheit, nicht ein Einzelner, entscheide.
Die Mehrheit entscheidet überlegter und vor Allem unbefangener. Mit Rücksicht
auf diese Betrachtungen läßt Oesterreich seine mehrsten Geschäfte von Kollegien
verwalten. Die Administration des Landes, das Richteramt über seine vorzügli¬
chern physischen und moralischen Personen, seine Geldangelegenheiten sind Kollegien
anvertraut.

Indem die Conduitenliste das Wohl und Wehe des Beamten seinem Obern an¬
heimstellt, macht sie ihn zum Sclaven dieses Obern. Ich brauche das Wort Sclave
mit Bedacht. Die Meinungen, die Gewohnheiten, der Hausstand, die Arbeiten,
die Stimmführnng des Beamten in öffentlichen Berathungen, kurz sein ganzes,
sowohl öffentliches als Privatleben unterliegen der Beurtheilung des Vorgesetzten.


als Privatleute und Empfehlungen die Hebel, welche der Regel nach ans die ein¬
träglichem Stufen in der Beamtenhierarchie verhelfen.

Dem Herrn liegt daran, brauchbare Beamte zu haben; der Miethling ge¬
deiht nicht selten am besten, wenn sein Herr zu Grunde geht. Was liegt einem
Präsidenten daran, ob Oesterreich einige ungeschickte oder unredliche Räthe mehr
hat! Dagegen liegt ihm viel daran, ob sein Sohn heute oder morgen ein behäbig
Auskommen erlaugt.

Die österreichische Bureaukratie ist nicht durch die Presse, nicht durch die
Oeffentlichkeit ihrer Amtshandlungen controlirt. Um so wichtiger ist es, sie Pri¬
vateinflüssen möglichst fern zu halten. Dazu ist vor Allem die Selbstständigkeit
der einzelnen Beamten nothwendig. Man hat zu allen Zeiten die Nothwendigkeit
eingesehen, die Richter unabhängig zu stelle». Warum das? Abgesehen von Be¬
stechungen, Verivandtschaftsverhältnissen u. s. w. ist Jedermann geneigt, jene Zu¬
stände zu realisiren, welche er als die rechtlichen ansieht. Das Rechtsgefühl im
Menschen ist etwas nicht Hinwcgzulengnendes. Es liegt im Instinkt des Kindes,
den Unterdrückten beizustehen. Es ist mit Grund vorauszusetzen, daß die Richter
gerecht richten werden, so lange sie unbefangen sein werden. Als ein Mittel, die
Unbefangenheit der Einzelnen zu bewahren, hat man seit alten Zeiten ans Colle-
gialverfassungcn Gewicht gelegt. Einmal ist es gewiß, daß vier Augen besser sehen
können als zwei. Dann ist ein Kollegium schwerer zu bestechen, schwerer zu ge¬
winnen, als eine einzelne Person. Endlich geschieht in den mehrsten Dingen das Rechte
bei allgemeiner Verständlichkeit. Der Einzelne ist durch das Kollegium controlirt.
Er schämt sich, unehrlich zu sein. Alle Controle der Welt beruht auf den Be¬
trachtungen, daß es schwerer ist, Drei in sein Privatinteresse zu ziehen denn Einen,
daß, was der Eine nicht bemerkt, dem Andern auffällt, endlich daß die Wich¬
tigkeit getheilt und damit das Privatinteresse geschwächt wird.

Was für die Unabhängigkeit der Gerichte geltend gemacht werden kann, läßt
sich für andere Administrationszweige eben so geltend machen. Bei Finanzoperationen,
bei Aemtervcrleihungen, in Gewerbssachen, in Administrationssachen überhaupt ist
es von unendlicher Wichtigkeit, daß eine Mehrheit, nicht ein Einzelner, entscheide.
Die Mehrheit entscheidet überlegter und vor Allem unbefangener. Mit Rücksicht
auf diese Betrachtungen läßt Oesterreich seine mehrsten Geschäfte von Kollegien
verwalten. Die Administration des Landes, das Richteramt über seine vorzügli¬
chern physischen und moralischen Personen, seine Geldangelegenheiten sind Kollegien
anvertraut.

Indem die Conduitenliste das Wohl und Wehe des Beamten seinem Obern an¬
heimstellt, macht sie ihn zum Sclaven dieses Obern. Ich brauche das Wort Sclave
mit Bedacht. Die Meinungen, die Gewohnheiten, der Hausstand, die Arbeiten,
die Stimmführnng des Beamten in öffentlichen Berathungen, kurz sein ganzes,
sowohl öffentliches als Privatleben unterliegen der Beurtheilung des Vorgesetzten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/287>, abgerufen am 22.07.2024.