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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Demzufolge hat der Staat seine Beamten von Kindesbeinen beaufsichtigt. Er
bat über den Fleiß, die Sittlichkeit und die Kenntnisse des Einzelnen Ausweise,
die beinahe so alt sind als der Beamte selbst.

Die Ausweise über das frühere Leben des Beamten kommen in keine Betrach¬
tung, wenn sie seiner Conduitenliste widersprechen.

Erworbene Kenntnisse und Geschicklichkeiten sind Thatsachen, insofern sie be¬
wiesen sind. Die Erfahrung lehrt, daß sie selten verloren gehen. Die Erfahrung
lehrt, daß ein lange fortgeführtes, streng sittliches Leben eine Gewohnheit sei,
welche in der Regel nicht abgelegt wird. Dem Vorgesetzten, der im Widerspruch mit
den Zeugnissen des Beamten diesem übel nachredet, steht von vornherein jenes Ver¬
trauen entgegen, das vorhergegangne Thatsachen für den Angeklagten in Anspruch
nehmen. Es steht ihm von vornherein entgegen, daß er nicht bewiesen hat, dort sach¬
kundig zu sei", wo er spricht, während die Zeugnisse der Schulen und die Decrete
über abgelegte Staatsprüfungen von bewährten Sachkundigen ausgehen. Die
Aussage des Vorgesetzten ist im Rücken des Angeklagten vorgebracht. Die Zeug¬
nisse der Schulen werden im Angesicht Hunderter ausgestellt, deren Urtheile die
Rechtlichkeit der Aussteller controliren.

Bis 181.4 wurden den Beamten, wenn sie aus einer Dienstleistung in eine
andere traten, Zeugnisse über die Art ihrer Dienstleistung ausgestellt. Sie machten
die Abgabe von ihnen abweichender Qnalificationeu unbequem. Das Hofkanzlei-
dccret vom 14. April 1814 verbietet die fernere Ausstellung von Zeugnissen über
die Verwendung und Kenntnisse eines Beamten, und weist rücksichtlich dieser
Kenntnisse geradehin auf die Compctenztabelle (Conduitenliste). Welche Vorsorge
dem Beamten die Mittel und Wege abzuschneiden, die Gesetzmäßigkeit seiner Dienst¬
leistung zu beweisen!

Die Conduitenliste überhebt den Anklagender Last des Beweises. Sie wälzt
diese Last auf den angeklagten Beamten. Die österreichische Conduitenliste. hat an
diesem Unrecht nicht geung. Sie bleibt dem beurtheilten Beamten ein ewiges Ge¬
heimniß. Er kann sich gegen ihren Inhalt nicht vertheidigen, weil er ihn nicht
erfährt. Falls er ihn ausnahmsweise erfährt, findet er nimmermehr ein Ohr, das
seine Vertheidigung Hort. Sie ist eine SubvrdinativnSwidrigkcit, die mit Pensioni-
rung, Versetzung, nach Umständen mit Entlassung bestraft wird. Mehrere Versuche,
sich gegen ungerechte Beurtheilungen zu wehren, sielen völlig zum Nachtheil der
beteiligten Beamten aus. So wird der Beamte ans Grund einer Anklage verur¬
theilt, die ihm nicht mitgetheilt wurde, über die er nicht gehört wurde, über die
auch sonst nicht die kleinste Erhebung gepflogen wurde. Er wird mit Rücksicht
ans den Inhalt seiner Conduitenliste übergangen, versetzt, allenfalls mit einem Dritt¬
theil seiner Einkünfte pensionirt.

Die Ihr mit tief"in Abscheu von heimlichen Gerichten oder der Inquisition
gelesen, was sagt Ihr dazu?


Demzufolge hat der Staat seine Beamten von Kindesbeinen beaufsichtigt. Er
bat über den Fleiß, die Sittlichkeit und die Kenntnisse des Einzelnen Ausweise,
die beinahe so alt sind als der Beamte selbst.

Die Ausweise über das frühere Leben des Beamten kommen in keine Betrach¬
tung, wenn sie seiner Conduitenliste widersprechen.

Erworbene Kenntnisse und Geschicklichkeiten sind Thatsachen, insofern sie be¬
wiesen sind. Die Erfahrung lehrt, daß sie selten verloren gehen. Die Erfahrung
lehrt, daß ein lange fortgeführtes, streng sittliches Leben eine Gewohnheit sei,
welche in der Regel nicht abgelegt wird. Dem Vorgesetzten, der im Widerspruch mit
den Zeugnissen des Beamten diesem übel nachredet, steht von vornherein jenes Ver¬
trauen entgegen, das vorhergegangne Thatsachen für den Angeklagten in Anspruch
nehmen. Es steht ihm von vornherein entgegen, daß er nicht bewiesen hat, dort sach¬
kundig zu sei», wo er spricht, während die Zeugnisse der Schulen und die Decrete
über abgelegte Staatsprüfungen von bewährten Sachkundigen ausgehen. Die
Aussage des Vorgesetzten ist im Rücken des Angeklagten vorgebracht. Die Zeug¬
nisse der Schulen werden im Angesicht Hunderter ausgestellt, deren Urtheile die
Rechtlichkeit der Aussteller controliren.

Bis 181.4 wurden den Beamten, wenn sie aus einer Dienstleistung in eine
andere traten, Zeugnisse über die Art ihrer Dienstleistung ausgestellt. Sie machten
die Abgabe von ihnen abweichender Qnalificationeu unbequem. Das Hofkanzlei-
dccret vom 14. April 1814 verbietet die fernere Ausstellung von Zeugnissen über
die Verwendung und Kenntnisse eines Beamten, und weist rücksichtlich dieser
Kenntnisse geradehin auf die Compctenztabelle (Conduitenliste). Welche Vorsorge
dem Beamten die Mittel und Wege abzuschneiden, die Gesetzmäßigkeit seiner Dienst¬
leistung zu beweisen!

Die Conduitenliste überhebt den Anklagender Last des Beweises. Sie wälzt
diese Last auf den angeklagten Beamten. Die österreichische Conduitenliste. hat an
diesem Unrecht nicht geung. Sie bleibt dem beurtheilten Beamten ein ewiges Ge¬
heimniß. Er kann sich gegen ihren Inhalt nicht vertheidigen, weil er ihn nicht
erfährt. Falls er ihn ausnahmsweise erfährt, findet er nimmermehr ein Ohr, das
seine Vertheidigung Hort. Sie ist eine SubvrdinativnSwidrigkcit, die mit Pensioni-
rung, Versetzung, nach Umständen mit Entlassung bestraft wird. Mehrere Versuche,
sich gegen ungerechte Beurtheilungen zu wehren, sielen völlig zum Nachtheil der
beteiligten Beamten aus. So wird der Beamte ans Grund einer Anklage verur¬
theilt, die ihm nicht mitgetheilt wurde, über die er nicht gehört wurde, über die
auch sonst nicht die kleinste Erhebung gepflogen wurde. Er wird mit Rücksicht
ans den Inhalt seiner Conduitenliste übergangen, versetzt, allenfalls mit einem Dritt¬
theil seiner Einkünfte pensionirt.

Die Ihr mit tief»in Abscheu von heimlichen Gerichten oder der Inquisition
gelesen, was sagt Ihr dazu?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/284>, abgerufen am 22.07.2024.