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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Verantwortung gezogen, er wird gerichtet, wie es eben der Letzte im Staate
wird. Das Recht, so lange für unbescholten angesehen zu werden, bis das Gegen-
d)eil bewiesen wurde, ist ein allgemeines Recht. Es wird eben so wenig dem
Beamten, als dem Tagelöhner streitig gemacht.

Neben diesem Rechte steht ein zweites, eben so allgemein gültiges: das Recht
in Anklagefällen zu fordern, daß der Ankläger, was er anklagt, auch beweise.

Die Unbescholtenheit ist eine zweifache: eine allgemeine und eine besondere,
d. h. eine solche, welche durch eine besondere Stellung in der Gesellschaft bedingt ist.

Insofern die Unbescholtenheit Jedermann wünschenswert!), Jedem von Wich¬
tigkeit ist, heißt sie allgemein. Das Recht ohne zureichenden Grund kein Dieb,
kein Trunkenbold gescholten zu werden, ist ein allgemeines Recht.

Wer eine Beschäftigung befugt und öffentlich treibt, hat ein Recht auf die
Voraussetzung, daß er die zu seinem Geschäfte erforderlichen Eigenschaften besitze.
Dieses Recht ist das der besondern Unbescholtenheit und heißt Standesehre. Diese
Standesehre erstreckt sich ans Voraussetzungen, welche für völlig gleichgültig gehalten
werden, insofern sie besondere Verhältnisse nicht wichtig machen. Wer einem Kauf-
mannsdiener nachsagt, daß er ein schlechter Reiter sei, verleumdet ihn anch dann
nicht, wenn er damit die Unwahrheit sagt. Dagegen greift er mit einer gleichen
Nachrede die Ehre eines Kavalleristen an. Das wird im gemeinen Leben scharf
unterschieden und in dem einen Falle mit "er beschuldigt," im andern mit "er sagt von
ihm" ausgedrückt. Ein Advokat wird beschuldigt, ein schlechter Jurist zu sein.
Ein Bote wird beschuldigt, mittelmäßig zu Fuße zu sein.

Mit Rücksicht auf das Wesen der Unbescholtenheit und der Standesehre
ist die Angabe irgend eines Umstandes, welcher die Person benachtheiligen
soll, mit der er in Beziehung gebracht wird, eine Anklage. Was scha¬
det, ist ein Nachtheil. Aber auch was schaden kann, ist ein Nachtheil, weil
die Sicherheit ein Gut ist. Ein österreichischer Gnbernial-Concipist rückt regel¬
mäßig zum Krciöcommissär vor. Weil ein Kreiscommissär hänfig im Dienste zu
reisen hat, wird darauf gesehen, daß er bei guter Gesundheit sei. Wenn nun von
einem Gnbernial-Cvncipisten gesagt wird, er unterliege periodischen Krankheiten,
erscheint er dadurch für deu Augenblick nicht benachtheiligt. Aber die rücksichtlich
seiner Gesundheit abgegebene Aussage kann ihn benachtheiligen, wenn es sich um
seine Vorrückung zum Kreiscommissär handelt. So ist die Angabe, daß ein Gu-
bernial-Cvncipist periodischen Krankhcitszufällen unterliege, eine Anklage. Sie müßte
demnach bewiesen werden, ehe sie Folgen haben soll.

Die Bewegungen des Staates sind mannigfaltig, die ihnen entsprechenden
Thätigkeiten sind es gleichfalls. Die Regierung sucht in jedem Zeitabschnitte gewiß zu
sein, daß ihre Beamte thätig sein können und thätig find, wie es die besondere Dienst¬
stellung jedes Einzelnen verlangt. Diese Gewißheit über die Tauglichkeit der Be¬
diensteten gibt in ausgedehnten Dienstverhältnissen die Hierarchie. Bis auf'die


Verantwortung gezogen, er wird gerichtet, wie es eben der Letzte im Staate
wird. Das Recht, so lange für unbescholten angesehen zu werden, bis das Gegen-
d)eil bewiesen wurde, ist ein allgemeines Recht. Es wird eben so wenig dem
Beamten, als dem Tagelöhner streitig gemacht.

Neben diesem Rechte steht ein zweites, eben so allgemein gültiges: das Recht
in Anklagefällen zu fordern, daß der Ankläger, was er anklagt, auch beweise.

Die Unbescholtenheit ist eine zweifache: eine allgemeine und eine besondere,
d. h. eine solche, welche durch eine besondere Stellung in der Gesellschaft bedingt ist.

Insofern die Unbescholtenheit Jedermann wünschenswert!), Jedem von Wich¬
tigkeit ist, heißt sie allgemein. Das Recht ohne zureichenden Grund kein Dieb,
kein Trunkenbold gescholten zu werden, ist ein allgemeines Recht.

Wer eine Beschäftigung befugt und öffentlich treibt, hat ein Recht auf die
Voraussetzung, daß er die zu seinem Geschäfte erforderlichen Eigenschaften besitze.
Dieses Recht ist das der besondern Unbescholtenheit und heißt Standesehre. Diese
Standesehre erstreckt sich ans Voraussetzungen, welche für völlig gleichgültig gehalten
werden, insofern sie besondere Verhältnisse nicht wichtig machen. Wer einem Kauf-
mannsdiener nachsagt, daß er ein schlechter Reiter sei, verleumdet ihn anch dann
nicht, wenn er damit die Unwahrheit sagt. Dagegen greift er mit einer gleichen
Nachrede die Ehre eines Kavalleristen an. Das wird im gemeinen Leben scharf
unterschieden und in dem einen Falle mit „er beschuldigt," im andern mit „er sagt von
ihm" ausgedrückt. Ein Advokat wird beschuldigt, ein schlechter Jurist zu sein.
Ein Bote wird beschuldigt, mittelmäßig zu Fuße zu sein.

Mit Rücksicht auf das Wesen der Unbescholtenheit und der Standesehre
ist die Angabe irgend eines Umstandes, welcher die Person benachtheiligen
soll, mit der er in Beziehung gebracht wird, eine Anklage. Was scha¬
det, ist ein Nachtheil. Aber auch was schaden kann, ist ein Nachtheil, weil
die Sicherheit ein Gut ist. Ein österreichischer Gnbernial-Concipist rückt regel¬
mäßig zum Krciöcommissär vor. Weil ein Kreiscommissär hänfig im Dienste zu
reisen hat, wird darauf gesehen, daß er bei guter Gesundheit sei. Wenn nun von
einem Gnbernial-Cvncipisten gesagt wird, er unterliege periodischen Krankheiten,
erscheint er dadurch für deu Augenblick nicht benachtheiligt. Aber die rücksichtlich
seiner Gesundheit abgegebene Aussage kann ihn benachtheiligen, wenn es sich um
seine Vorrückung zum Kreiscommissär handelt. So ist die Angabe, daß ein Gu-
bernial-Cvncipist periodischen Krankhcitszufällen unterliege, eine Anklage. Sie müßte
demnach bewiesen werden, ehe sie Folgen haben soll.

Die Bewegungen des Staates sind mannigfaltig, die ihnen entsprechenden
Thätigkeiten sind es gleichfalls. Die Regierung sucht in jedem Zeitabschnitte gewiß zu
sein, daß ihre Beamte thätig sein können und thätig find, wie es die besondere Dienst¬
stellung jedes Einzelnen verlangt. Diese Gewißheit über die Tauglichkeit der Be¬
diensteten gibt in ausgedehnten Dienstverhältnissen die Hierarchie. Bis auf'die


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[0276] Verantwortung gezogen, er wird gerichtet, wie es eben der Letzte im Staate wird. Das Recht, so lange für unbescholten angesehen zu werden, bis das Gegen- d)eil bewiesen wurde, ist ein allgemeines Recht. Es wird eben so wenig dem Beamten, als dem Tagelöhner streitig gemacht. Neben diesem Rechte steht ein zweites, eben so allgemein gültiges: das Recht in Anklagefällen zu fordern, daß der Ankläger, was er anklagt, auch beweise. Die Unbescholtenheit ist eine zweifache: eine allgemeine und eine besondere, d. h. eine solche, welche durch eine besondere Stellung in der Gesellschaft bedingt ist. Insofern die Unbescholtenheit Jedermann wünschenswert!), Jedem von Wich¬ tigkeit ist, heißt sie allgemein. Das Recht ohne zureichenden Grund kein Dieb, kein Trunkenbold gescholten zu werden, ist ein allgemeines Recht. Wer eine Beschäftigung befugt und öffentlich treibt, hat ein Recht auf die Voraussetzung, daß er die zu seinem Geschäfte erforderlichen Eigenschaften besitze. Dieses Recht ist das der besondern Unbescholtenheit und heißt Standesehre. Diese Standesehre erstreckt sich ans Voraussetzungen, welche für völlig gleichgültig gehalten werden, insofern sie besondere Verhältnisse nicht wichtig machen. Wer einem Kauf- mannsdiener nachsagt, daß er ein schlechter Reiter sei, verleumdet ihn anch dann nicht, wenn er damit die Unwahrheit sagt. Dagegen greift er mit einer gleichen Nachrede die Ehre eines Kavalleristen an. Das wird im gemeinen Leben scharf unterschieden und in dem einen Falle mit „er beschuldigt," im andern mit „er sagt von ihm" ausgedrückt. Ein Advokat wird beschuldigt, ein schlechter Jurist zu sein. Ein Bote wird beschuldigt, mittelmäßig zu Fuße zu sein. Mit Rücksicht auf das Wesen der Unbescholtenheit und der Standesehre ist die Angabe irgend eines Umstandes, welcher die Person benachtheiligen soll, mit der er in Beziehung gebracht wird, eine Anklage. Was scha¬ det, ist ein Nachtheil. Aber auch was schaden kann, ist ein Nachtheil, weil die Sicherheit ein Gut ist. Ein österreichischer Gnbernial-Concipist rückt regel¬ mäßig zum Krciöcommissär vor. Weil ein Kreiscommissär hänfig im Dienste zu reisen hat, wird darauf gesehen, daß er bei guter Gesundheit sei. Wenn nun von einem Gnbernial-Cvncipisten gesagt wird, er unterliege periodischen Krankheiten, erscheint er dadurch für deu Augenblick nicht benachtheiligt. Aber die rücksichtlich seiner Gesundheit abgegebene Aussage kann ihn benachtheiligen, wenn es sich um seine Vorrückung zum Kreiscommissär handelt. So ist die Angabe, daß ein Gu- bernial-Cvncipist periodischen Krankhcitszufällen unterliege, eine Anklage. Sie müßte demnach bewiesen werden, ehe sie Folgen haben soll. Die Bewegungen des Staates sind mannigfaltig, die ihnen entsprechenden Thätigkeiten sind es gleichfalls. Die Regierung sucht in jedem Zeitabschnitte gewiß zu sein, daß ihre Beamte thätig sein können und thätig find, wie es die besondere Dienst¬ stellung jedes Einzelnen verlangt. Diese Gewißheit über die Tauglichkeit der Be¬ diensteten gibt in ausgedehnten Dienstverhältnissen die Hierarchie. Bis auf'die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/276>, abgerufen am 22.07.2024.