Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

mals mit Bestimmtheit voraussagen. Rupp ist übrigens noch jung, er ist 36 Jahr
alt. Sein Aeußeres ist imponirend: ein langer hagerer Mann mit schwarzem
Haar und schwarzem Auge, einem blassen Gesicht, das nie etwas Bestimmtes aus¬
drückt, von dem aber jeder sagt, es steckt etwas dahinter. Nur seine Stimme ist
uicht von der Art, wie sie das Volk mit sich fortreißt; sie hat etwas Hohles und
Krächzendes.

Das Haupt der zweiten freien Gemeinde, die aus der französisch-reformirten
Kirche hervorging, der Prediger Detroit, zeichnet sich durch eine die Grenzen
alles Schicklichen übersteigende Mittelmäßigkeit aus. Ebensowenig läßt sich vou
den hiesigen Vertretern des Deutschkatholicismus etwas sagen, der natürlich hier
um so unbedeutender sein muß, da die katholische Kirche hier überhaupt nur
sehr wenig Anhänger zählt. Mehr Strcbsamkett zeigt die jüdische Gemeinde, und
namentlich der or. Saal schütz, dem wenigsteus wissenschaftliche Bildung nicht
abzusprechen ist, ist unermüdet thätig, in den Reliquien des alten Judenthums
die Spuren der vollkommenen Vernunft hervorzusuchen.

Die theologische Facultät ist jetzt ziemlich rechtgläubig; mit Cäsar von
Lengerke, der uicht nur wegen seiner freisinnigen Auffassung des Evangeliums
das historisch-christliche Bewußtsein scandalisirte, sondern auch durch Liebeslieder
und den Genuß gastrischer Freuden den Gläubigen Anstoß gab, wurde das der
Kirche feindliche Princip aus der Königsbergs Gottesgelahrtheit entfernt. Nach
des alten Rhesa Tod, der unter den Professoren die gute alte Zeit des gutmü¬
thig bornirten Rationalismus vertrat, berief man einen kirchliche" Zeloten, Hä-
veruik, um die Stadt der reinen Vernunft zu bekehren. Aber dieser Champion
des wahren Glaubens scheiterte weniger an dem Widerspruch der Ansichten, als
an dem Ruf, deu er mit sich brachte; er hatte sich durch seinen kirchlichen Eifer
verleiten lassen, die Pietät gegen seinen Lehrer zu verletzen, und sich zu der Rolle
herzugeben, welche der Eifer für die Sache Gottes wohl nothwendig mit sich brin¬
gen mag, welche aber das öffentliche Bewußtsein noch immer zu brandmarken pflegt
-- zu der Rolle eines MittheilerS. Gleich bei seiner Ankunft in Königsberg
(welche noch dazu in die Blüthenzeit der politische" Aufregung fiel) erhob sich da¬
her uicht uur von Seiten der Studirenden, sondern auch vou dem größten Theil
der Professoren eine so entschiedene Opposition gegen ihn, daß seine ganze Wirk¬
samkeit verkümmert wurde. Nur sein früher Tod hob dies Verhältniß auf, und
gab seine" theologischen Kollegen Veranlassung, nachträglich in einem Epitaphium
die Würdigkeit seines Strebens anzuerkennen. Dorn er, der später berufen wurde,
gehört zwar gleichfalls der streng kirchlichen Richtung an, aber theils hatte er mit
keinen Antecedentien z" kämpfen, theils athmete sein Christenthum zu sehr den
Geist der wissenschaftlichen Bildung, als daß es ihm uicht hätte gelinge" sollen, bis
zu einem gewissen Umfang eine bedeutende Wirksamkeit zu erzielen. Von den ältern
Professoren ist Siesfert der Orthodox K tout prix, der den Strauß dadurch


-3'

mals mit Bestimmtheit voraussagen. Rupp ist übrigens noch jung, er ist 36 Jahr
alt. Sein Aeußeres ist imponirend: ein langer hagerer Mann mit schwarzem
Haar und schwarzem Auge, einem blassen Gesicht, das nie etwas Bestimmtes aus¬
drückt, von dem aber jeder sagt, es steckt etwas dahinter. Nur seine Stimme ist
uicht von der Art, wie sie das Volk mit sich fortreißt; sie hat etwas Hohles und
Krächzendes.

Das Haupt der zweiten freien Gemeinde, die aus der französisch-reformirten
Kirche hervorging, der Prediger Detroit, zeichnet sich durch eine die Grenzen
alles Schicklichen übersteigende Mittelmäßigkeit aus. Ebensowenig läßt sich vou
den hiesigen Vertretern des Deutschkatholicismus etwas sagen, der natürlich hier
um so unbedeutender sein muß, da die katholische Kirche hier überhaupt nur
sehr wenig Anhänger zählt. Mehr Strcbsamkett zeigt die jüdische Gemeinde, und
namentlich der or. Saal schütz, dem wenigsteus wissenschaftliche Bildung nicht
abzusprechen ist, ist unermüdet thätig, in den Reliquien des alten Judenthums
die Spuren der vollkommenen Vernunft hervorzusuchen.

Die theologische Facultät ist jetzt ziemlich rechtgläubig; mit Cäsar von
Lengerke, der uicht nur wegen seiner freisinnigen Auffassung des Evangeliums
das historisch-christliche Bewußtsein scandalisirte, sondern auch durch Liebeslieder
und den Genuß gastrischer Freuden den Gläubigen Anstoß gab, wurde das der
Kirche feindliche Princip aus der Königsbergs Gottesgelahrtheit entfernt. Nach
des alten Rhesa Tod, der unter den Professoren die gute alte Zeit des gutmü¬
thig bornirten Rationalismus vertrat, berief man einen kirchliche» Zeloten, Hä-
veruik, um die Stadt der reinen Vernunft zu bekehren. Aber dieser Champion
des wahren Glaubens scheiterte weniger an dem Widerspruch der Ansichten, als
an dem Ruf, deu er mit sich brachte; er hatte sich durch seinen kirchlichen Eifer
verleiten lassen, die Pietät gegen seinen Lehrer zu verletzen, und sich zu der Rolle
herzugeben, welche der Eifer für die Sache Gottes wohl nothwendig mit sich brin¬
gen mag, welche aber das öffentliche Bewußtsein noch immer zu brandmarken pflegt
— zu der Rolle eines MittheilerS. Gleich bei seiner Ankunft in Königsberg
(welche noch dazu in die Blüthenzeit der politische» Aufregung fiel) erhob sich da¬
her uicht uur von Seiten der Studirenden, sondern auch vou dem größten Theil
der Professoren eine so entschiedene Opposition gegen ihn, daß seine ganze Wirk¬
samkeit verkümmert wurde. Nur sein früher Tod hob dies Verhältniß auf, und
gab seine» theologischen Kollegen Veranlassung, nachträglich in einem Epitaphium
die Würdigkeit seines Strebens anzuerkennen. Dorn er, der später berufen wurde,
gehört zwar gleichfalls der streng kirchlichen Richtung an, aber theils hatte er mit
keinen Antecedentien z» kämpfen, theils athmete sein Christenthum zu sehr den
Geist der wissenschaftlichen Bildung, als daß es ihm uicht hätte gelinge» sollen, bis
zu einem gewissen Umfang eine bedeutende Wirksamkeit zu erzielen. Von den ältern
Professoren ist Siesfert der Orthodox K tout prix, der den Strauß dadurch


-3'
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0027" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/184791"/>
          <p xml:id="ID_76" prev="#ID_75"> mals mit Bestimmtheit voraussagen. Rupp ist übrigens noch jung, er ist 36 Jahr<lb/>
alt. Sein Aeußeres ist imponirend: ein langer hagerer Mann mit schwarzem<lb/>
Haar und schwarzem Auge, einem blassen Gesicht, das nie etwas Bestimmtes aus¬<lb/>
drückt, von dem aber jeder sagt, es steckt etwas dahinter. Nur seine Stimme ist<lb/>
uicht von der Art, wie sie das Volk mit sich fortreißt; sie hat etwas Hohles und<lb/>
Krächzendes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_77"> Das Haupt der zweiten freien Gemeinde, die aus der französisch-reformirten<lb/>
Kirche hervorging, der Prediger Detroit, zeichnet sich durch eine die Grenzen<lb/>
alles Schicklichen übersteigende Mittelmäßigkeit aus. Ebensowenig läßt sich vou<lb/>
den hiesigen Vertretern des Deutschkatholicismus etwas sagen, der natürlich hier<lb/>
um so unbedeutender sein muß, da die katholische Kirche hier überhaupt nur<lb/>
sehr wenig Anhänger zählt. Mehr Strcbsamkett zeigt die jüdische Gemeinde, und<lb/>
namentlich der or. Saal schütz, dem wenigsteus wissenschaftliche Bildung nicht<lb/>
abzusprechen ist, ist unermüdet thätig, in den Reliquien des alten Judenthums<lb/>
die Spuren der vollkommenen Vernunft hervorzusuchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_78" next="#ID_79"> Die theologische Facultät ist jetzt ziemlich rechtgläubig; mit Cäsar von<lb/>
Lengerke, der uicht nur wegen seiner freisinnigen Auffassung des Evangeliums<lb/>
das historisch-christliche Bewußtsein scandalisirte, sondern auch durch Liebeslieder<lb/>
und den Genuß gastrischer Freuden den Gläubigen Anstoß gab, wurde das der<lb/>
Kirche feindliche Princip aus der Königsbergs Gottesgelahrtheit entfernt. Nach<lb/>
des alten Rhesa Tod, der unter den Professoren die gute alte Zeit des gutmü¬<lb/>
thig bornirten Rationalismus vertrat, berief man einen kirchliche» Zeloten, Hä-<lb/>
veruik, um die Stadt der reinen Vernunft zu bekehren. Aber dieser Champion<lb/>
des wahren Glaubens scheiterte weniger an dem Widerspruch der Ansichten, als<lb/>
an dem Ruf, deu er mit sich brachte; er hatte sich durch seinen kirchlichen Eifer<lb/>
verleiten lassen, die Pietät gegen seinen Lehrer zu verletzen, und sich zu der Rolle<lb/>
herzugeben, welche der Eifer für die Sache Gottes wohl nothwendig mit sich brin¬<lb/>
gen mag, welche aber das öffentliche Bewußtsein noch immer zu brandmarken pflegt<lb/>
&#x2014; zu der Rolle eines MittheilerS. Gleich bei seiner Ankunft in Königsberg<lb/>
(welche noch dazu in die Blüthenzeit der politische» Aufregung fiel) erhob sich da¬<lb/>
her uicht uur von Seiten der Studirenden, sondern auch vou dem größten Theil<lb/>
der Professoren eine so entschiedene Opposition gegen ihn, daß seine ganze Wirk¬<lb/>
samkeit verkümmert wurde. Nur sein früher Tod hob dies Verhältniß auf, und<lb/>
gab seine» theologischen Kollegen Veranlassung, nachträglich in einem Epitaphium<lb/>
die Würdigkeit seines Strebens anzuerkennen. Dorn er, der später berufen wurde,<lb/>
gehört zwar gleichfalls der streng kirchlichen Richtung an, aber theils hatte er mit<lb/>
keinen Antecedentien z» kämpfen, theils athmete sein Christenthum zu sehr den<lb/>
Geist der wissenschaftlichen Bildung, als daß es ihm uicht hätte gelinge» sollen, bis<lb/>
zu einem gewissen Umfang eine bedeutende Wirksamkeit zu erzielen. Von den ältern<lb/>
Professoren ist Siesfert der Orthodox K tout prix, der den Strauß dadurch</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> -3'</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0027] mals mit Bestimmtheit voraussagen. Rupp ist übrigens noch jung, er ist 36 Jahr alt. Sein Aeußeres ist imponirend: ein langer hagerer Mann mit schwarzem Haar und schwarzem Auge, einem blassen Gesicht, das nie etwas Bestimmtes aus¬ drückt, von dem aber jeder sagt, es steckt etwas dahinter. Nur seine Stimme ist uicht von der Art, wie sie das Volk mit sich fortreißt; sie hat etwas Hohles und Krächzendes. Das Haupt der zweiten freien Gemeinde, die aus der französisch-reformirten Kirche hervorging, der Prediger Detroit, zeichnet sich durch eine die Grenzen alles Schicklichen übersteigende Mittelmäßigkeit aus. Ebensowenig läßt sich vou den hiesigen Vertretern des Deutschkatholicismus etwas sagen, der natürlich hier um so unbedeutender sein muß, da die katholische Kirche hier überhaupt nur sehr wenig Anhänger zählt. Mehr Strcbsamkett zeigt die jüdische Gemeinde, und namentlich der or. Saal schütz, dem wenigsteus wissenschaftliche Bildung nicht abzusprechen ist, ist unermüdet thätig, in den Reliquien des alten Judenthums die Spuren der vollkommenen Vernunft hervorzusuchen. Die theologische Facultät ist jetzt ziemlich rechtgläubig; mit Cäsar von Lengerke, der uicht nur wegen seiner freisinnigen Auffassung des Evangeliums das historisch-christliche Bewußtsein scandalisirte, sondern auch durch Liebeslieder und den Genuß gastrischer Freuden den Gläubigen Anstoß gab, wurde das der Kirche feindliche Princip aus der Königsbergs Gottesgelahrtheit entfernt. Nach des alten Rhesa Tod, der unter den Professoren die gute alte Zeit des gutmü¬ thig bornirten Rationalismus vertrat, berief man einen kirchliche» Zeloten, Hä- veruik, um die Stadt der reinen Vernunft zu bekehren. Aber dieser Champion des wahren Glaubens scheiterte weniger an dem Widerspruch der Ansichten, als an dem Ruf, deu er mit sich brachte; er hatte sich durch seinen kirchlichen Eifer verleiten lassen, die Pietät gegen seinen Lehrer zu verletzen, und sich zu der Rolle herzugeben, welche der Eifer für die Sache Gottes wohl nothwendig mit sich brin¬ gen mag, welche aber das öffentliche Bewußtsein noch immer zu brandmarken pflegt — zu der Rolle eines MittheilerS. Gleich bei seiner Ankunft in Königsberg (welche noch dazu in die Blüthenzeit der politische» Aufregung fiel) erhob sich da¬ her uicht uur von Seiten der Studirenden, sondern auch vou dem größten Theil der Professoren eine so entschiedene Opposition gegen ihn, daß seine ganze Wirk¬ samkeit verkümmert wurde. Nur sein früher Tod hob dies Verhältniß auf, und gab seine» theologischen Kollegen Veranlassung, nachträglich in einem Epitaphium die Würdigkeit seines Strebens anzuerkennen. Dorn er, der später berufen wurde, gehört zwar gleichfalls der streng kirchlichen Richtung an, aber theils hatte er mit keinen Antecedentien z» kämpfen, theils athmete sein Christenthum zu sehr den Geist der wissenschaftlichen Bildung, als daß es ihm uicht hätte gelinge» sollen, bis zu einem gewissen Umfang eine bedeutende Wirksamkeit zu erzielen. Von den ältern Professoren ist Siesfert der Orthodox K tout prix, der den Strauß dadurch -3'

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/27
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/27>, abgerufen am 22.07.2024.