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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Gemeinde, die durchaus unkirchlich gesinnt war, und in dieser religiösen Empörung
nnr einen Deckmantel für politische Agitation gesucht hatte, bald langweilig vor;
sie trat daher -- an ihrer Spitze die Lehrer Wechsler und Sander -- wieder
aus, und erklärte, denn doch lieber bei der alten Kirche bleiben zu wollen; mit
Recht, denn in dem weiten Schooß der legitimen Kirche ist man weniger genirt,
als im engen Kreis einer jung aufstrebenden Gemeinschaft der Heiligen. So ist
denn jetzt die neue Gemeinde ans specifischen Anhängern Rupp's gebildet; sie su¬
chen noch immer gemeinschaftlich den Herrn, und haben ihn noch immer nicht ge¬
funden, wie sie's wenigstens kürzlich noch in einer Eingabe an das Konsistorium
erklärt haben. Rupp's welthistorische Bedeutung ist bekanntlich seitdem dnrch seine
Ausschließung vom Gustav-Adolph-Verein, die ans der Berliner Centralversamm-
lung vorgenommen wurde, noch erhöht worden, denn es hätte, da man dadurch in
die Rechte der Specialvereine eingriff, leicht eine allgemeine Spaltung herbeigeführt
werden können; eine Spaltung, die für jetzt wenigstens dnrch die Beschlüsse der so
eben beendigte" Darmstädter Versammlung vorläufig hinausgeschoben ist.

An die Spitze des kirchlich gesinnten Gustav-Adolph-Vereins, der übrigens
in unsrer Stadt, wo die ungeheure Mehrzahl rationalistisch gebildet und erzogen
ist, ebensowenig zu einem Einfluß kommen wird, als eine Brüdergemeinde, hat
sich neben den orthodoxen Professoren der Theologie -- Sieffert, Dörner, Lehnert
-- und der aristokratischen Fraction, deren Hänser fortfahren, dem Herrn zu die¬
nen, -- der Provinzialschulrath Lucas gestellt, ein alter Burschenschafter, der spä¬
ter wie die meisten seiner ehemaligen Glaubensgenossen sich mit besonderem Tief-
sinn in die Mysterien "des Seienden" vertiefte, und von der Höhe seines Stand¬
punktes aus Alles vortrefflich fand, was von Oben her gebilligt wurde. Er hatte
ftüher die Leitung des Kneiphöfer-Gymnasiums geführt, bis er durch sein zwei¬
deutiges Versälle", in der Anklage gegen den Oberlehrer Witt wegen dessen Theil¬
nahme an jacvbinischen Bestrebungen seine Stellung unhaltbar machte. Auch hatte
er an der Universität Vorlesungen gehalten, theils über Literaturgeschichte, theils
über Faust, in welchem letztem Kollegium er nachwies, daß Faust im ersten Theil
50 Jahr alt wäre, und daß sein zweites Dasein gleichfalls 50 Jahr währte; die
ersten 50 wäre er gut, die zweiten 50 böse gewesen, beides compenstrte sich, und
so sei er der Erlösung theilhaftig geworden. Das nannte er eine harmonische
Weltanschauung. Diese harmonische Weltanschauung der Romantik hat sein leibli¬
ches Gedeihen gesegnet; wie er geistig seine Stellung als Haupt der neumodischen
Orthodoxie vertreten wird, steht noch dahin.

Aber Rupp's Stellung selbst ist um nichts haltbarer. Fortwährend an demGottes-
bewußtseiu der neuen Gemeinde zu arbeiten, wird ihm seine Unruhe nicht erlauben.
Daß mit ihm noch eine bedeutende Metamorphose vorgehen wird, ist sicher; aber nach
welcher Seite kann man bei einem Geist, der mehr durch den Reichthum seiner
Reflexionen, als durch die Sicherheit und Energie seines Charakters imponirt, nie-


Gemeinde, die durchaus unkirchlich gesinnt war, und in dieser religiösen Empörung
nnr einen Deckmantel für politische Agitation gesucht hatte, bald langweilig vor;
sie trat daher — an ihrer Spitze die Lehrer Wechsler und Sander — wieder
aus, und erklärte, denn doch lieber bei der alten Kirche bleiben zu wollen; mit
Recht, denn in dem weiten Schooß der legitimen Kirche ist man weniger genirt,
als im engen Kreis einer jung aufstrebenden Gemeinschaft der Heiligen. So ist
denn jetzt die neue Gemeinde ans specifischen Anhängern Rupp's gebildet; sie su¬
chen noch immer gemeinschaftlich den Herrn, und haben ihn noch immer nicht ge¬
funden, wie sie's wenigstens kürzlich noch in einer Eingabe an das Konsistorium
erklärt haben. Rupp's welthistorische Bedeutung ist bekanntlich seitdem dnrch seine
Ausschließung vom Gustav-Adolph-Verein, die ans der Berliner Centralversamm-
lung vorgenommen wurde, noch erhöht worden, denn es hätte, da man dadurch in
die Rechte der Specialvereine eingriff, leicht eine allgemeine Spaltung herbeigeführt
werden können; eine Spaltung, die für jetzt wenigstens dnrch die Beschlüsse der so
eben beendigte» Darmstädter Versammlung vorläufig hinausgeschoben ist.

An die Spitze des kirchlich gesinnten Gustav-Adolph-Vereins, der übrigens
in unsrer Stadt, wo die ungeheure Mehrzahl rationalistisch gebildet und erzogen
ist, ebensowenig zu einem Einfluß kommen wird, als eine Brüdergemeinde, hat
sich neben den orthodoxen Professoren der Theologie — Sieffert, Dörner, Lehnert
— und der aristokratischen Fraction, deren Hänser fortfahren, dem Herrn zu die¬
nen, — der Provinzialschulrath Lucas gestellt, ein alter Burschenschafter, der spä¬
ter wie die meisten seiner ehemaligen Glaubensgenossen sich mit besonderem Tief-
sinn in die Mysterien „des Seienden" vertiefte, und von der Höhe seines Stand¬
punktes aus Alles vortrefflich fand, was von Oben her gebilligt wurde. Er hatte
ftüher die Leitung des Kneiphöfer-Gymnasiums geführt, bis er durch sein zwei¬
deutiges Versälle», in der Anklage gegen den Oberlehrer Witt wegen dessen Theil¬
nahme an jacvbinischen Bestrebungen seine Stellung unhaltbar machte. Auch hatte
er an der Universität Vorlesungen gehalten, theils über Literaturgeschichte, theils
über Faust, in welchem letztem Kollegium er nachwies, daß Faust im ersten Theil
50 Jahr alt wäre, und daß sein zweites Dasein gleichfalls 50 Jahr währte; die
ersten 50 wäre er gut, die zweiten 50 böse gewesen, beides compenstrte sich, und
so sei er der Erlösung theilhaftig geworden. Das nannte er eine harmonische
Weltanschauung. Diese harmonische Weltanschauung der Romantik hat sein leibli¬
ches Gedeihen gesegnet; wie er geistig seine Stellung als Haupt der neumodischen
Orthodoxie vertreten wird, steht noch dahin.

Aber Rupp's Stellung selbst ist um nichts haltbarer. Fortwährend an demGottes-
bewußtseiu der neuen Gemeinde zu arbeiten, wird ihm seine Unruhe nicht erlauben.
Daß mit ihm noch eine bedeutende Metamorphose vorgehen wird, ist sicher; aber nach
welcher Seite kann man bei einem Geist, der mehr durch den Reichthum seiner
Reflexionen, als durch die Sicherheit und Energie seines Charakters imponirt, nie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/26>, abgerufen am 22.07.2024.