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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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aufmerksam, das - ein seltener Fall bei einem deutschen Schriftsteller -- sich zu einer
Tragödie idealisirte. Denn wenn ein Herz von gemeiner, armseliger Misere aufge¬
zehrt wird - ein Stoff, wie ihn Alfred de Vigny in seinen Cbatterton, Gutzkow
in seinem R. Savage behandeln -- so kann das auf die Thränendrüsen wirken,
aber uicht erschüttern; wenn aber eine große, starke Seele in der allgemeinen Er¬
schütterung zusammenbricht, welche die gesammte geistige Welt aus ihren Fugen
hebt, so ist das traurig, aber es ist auch groß:


8i lrsetns illadatur oidi",
Impsviclum ierient riiinas.

ein Spruch, den nur der abstracte Nömerverstand erfinden konnte. Das ist
ein armseliges Herz, das durch den Weltuntergang nnr äußerlich berühmt
wird. In wem der Geist wahrhaft lebt, der hat auch an seinen Schmerzen, an
seinem Untergange Theil.

Forster ist der Mittelpunkt, um den sich König's Novelle dreht. Sein eigen¬
thümliches Verhältniß zu seiner Gemahlin Therese, die ihn liebte, die er aber in
einem gewissen Sinn vernachlässigte, weil sie seinen geistigen Anforderungen nicht
mit entsprechender Geistesfülle entgegenkam, und die daher in ein Verhältniß mit ei¬
nem andern Schriftsteller, Huber, gedrängt wurde, das später zu einer Ehe mit
demselben führte, aus der einen Seite; dann sein Umgang mit den Großen seines
Landes, die alle treu nach der Geschichte dargestellt werde", mit Ausnahme einer
erdichteten Person, eines jungen Aristokraten, der als Träger des specifisch romanti¬
schen Interesses in eine doppelte Liebe verwickelt ist, zu einem Bürgermädchen und
einem Fräulein, das die ganze Herzlosigkeit und Coquetterie der damaligen Aristo¬
kratie zeigt -- alle diese Umstände machen ein reich bewegtes, in seinen geistigen
Beziehungen unmittelbar wirkendes Gemälde möglich.

Mit Freude müssen wir anerkennen, daß der Verfasser die sorgfältigsten Stu¬
dien gemacht, daß er sich mit lebendiger Theilnahme in die Fluth der wechselnden
aber immer geistigen Interessen vertieft hat, die jene Zeit bewegten. In seiner
Schilderung der verschiedenen Lebensverhältnisse der Stände und ihrer Interessen,
spricht sich das poetische Talent ans, das seineu frühern Werken schon einen so
verdienten Namen gemacht hat. Sein Urtheil ist natürlich, nicht gerade tief aber
gesund. Er gibt nicht Figuren aus der Modenzeitung, eben so wenig aus dem
Bordell und Zuchthaus, denn er geht mit Recht von dem Grundsatz ans, daß nur
das Bedeutende Gegenstand der Darstellung werden darf.

Wenn wir alles dies rühmen und loben, so bleibt uns doch gegen das Ganze
manches Bedenken. Es ist überall nur Tendenz einer lebendigen Darstellung;
nicht eigentliches Leben. Wir können freilich von dem Totaleindruck noch nicht
sprechen, da uns der letzte Band nicht vorliegt; aber schon in diesen beiden Bänden
werden wir sehr oft ermüdet, und unser Interesse erschlafft. Es liegt das zum Theil


aufmerksam, das - ein seltener Fall bei einem deutschen Schriftsteller — sich zu einer
Tragödie idealisirte. Denn wenn ein Herz von gemeiner, armseliger Misere aufge¬
zehrt wird - ein Stoff, wie ihn Alfred de Vigny in seinen Cbatterton, Gutzkow
in seinem R. Savage behandeln — so kann das auf die Thränendrüsen wirken,
aber uicht erschüttern; wenn aber eine große, starke Seele in der allgemeinen Er¬
schütterung zusammenbricht, welche die gesammte geistige Welt aus ihren Fugen
hebt, so ist das traurig, aber es ist auch groß:


8i lrsetns illadatur oidi»,
Impsviclum ierient riiinas.

ein Spruch, den nur der abstracte Nömerverstand erfinden konnte. Das ist
ein armseliges Herz, das durch den Weltuntergang nnr äußerlich berühmt
wird. In wem der Geist wahrhaft lebt, der hat auch an seinen Schmerzen, an
seinem Untergange Theil.

Forster ist der Mittelpunkt, um den sich König's Novelle dreht. Sein eigen¬
thümliches Verhältniß zu seiner Gemahlin Therese, die ihn liebte, die er aber in
einem gewissen Sinn vernachlässigte, weil sie seinen geistigen Anforderungen nicht
mit entsprechender Geistesfülle entgegenkam, und die daher in ein Verhältniß mit ei¬
nem andern Schriftsteller, Huber, gedrängt wurde, das später zu einer Ehe mit
demselben führte, aus der einen Seite; dann sein Umgang mit den Großen seines
Landes, die alle treu nach der Geschichte dargestellt werde», mit Ausnahme einer
erdichteten Person, eines jungen Aristokraten, der als Träger des specifisch romanti¬
schen Interesses in eine doppelte Liebe verwickelt ist, zu einem Bürgermädchen und
einem Fräulein, das die ganze Herzlosigkeit und Coquetterie der damaligen Aristo¬
kratie zeigt — alle diese Umstände machen ein reich bewegtes, in seinen geistigen
Beziehungen unmittelbar wirkendes Gemälde möglich.

Mit Freude müssen wir anerkennen, daß der Verfasser die sorgfältigsten Stu¬
dien gemacht, daß er sich mit lebendiger Theilnahme in die Fluth der wechselnden
aber immer geistigen Interessen vertieft hat, die jene Zeit bewegten. In seiner
Schilderung der verschiedenen Lebensverhältnisse der Stände und ihrer Interessen,
spricht sich das poetische Talent ans, das seineu frühern Werken schon einen so
verdienten Namen gemacht hat. Sein Urtheil ist natürlich, nicht gerade tief aber
gesund. Er gibt nicht Figuren aus der Modenzeitung, eben so wenig aus dem
Bordell und Zuchthaus, denn er geht mit Recht von dem Grundsatz ans, daß nur
das Bedeutende Gegenstand der Darstellung werden darf.

Wenn wir alles dies rühmen und loben, so bleibt uns doch gegen das Ganze
manches Bedenken. Es ist überall nur Tendenz einer lebendigen Darstellung;
nicht eigentliches Leben. Wir können freilich von dem Totaleindruck noch nicht
sprechen, da uns der letzte Band nicht vorliegt; aber schon in diesen beiden Bänden
werden wir sehr oft ermüdet, und unser Interesse erschlafft. Es liegt das zum Theil


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[0215] aufmerksam, das - ein seltener Fall bei einem deutschen Schriftsteller — sich zu einer Tragödie idealisirte. Denn wenn ein Herz von gemeiner, armseliger Misere aufge¬ zehrt wird - ein Stoff, wie ihn Alfred de Vigny in seinen Cbatterton, Gutzkow in seinem R. Savage behandeln — so kann das auf die Thränendrüsen wirken, aber uicht erschüttern; wenn aber eine große, starke Seele in der allgemeinen Er¬ schütterung zusammenbricht, welche die gesammte geistige Welt aus ihren Fugen hebt, so ist das traurig, aber es ist auch groß: 8i lrsetns illadatur oidi», Impsviclum ierient riiinas. ein Spruch, den nur der abstracte Nömerverstand erfinden konnte. Das ist ein armseliges Herz, das durch den Weltuntergang nnr äußerlich berühmt wird. In wem der Geist wahrhaft lebt, der hat auch an seinen Schmerzen, an seinem Untergange Theil. Forster ist der Mittelpunkt, um den sich König's Novelle dreht. Sein eigen¬ thümliches Verhältniß zu seiner Gemahlin Therese, die ihn liebte, die er aber in einem gewissen Sinn vernachlässigte, weil sie seinen geistigen Anforderungen nicht mit entsprechender Geistesfülle entgegenkam, und die daher in ein Verhältniß mit ei¬ nem andern Schriftsteller, Huber, gedrängt wurde, das später zu einer Ehe mit demselben führte, aus der einen Seite; dann sein Umgang mit den Großen seines Landes, die alle treu nach der Geschichte dargestellt werde», mit Ausnahme einer erdichteten Person, eines jungen Aristokraten, der als Träger des specifisch romanti¬ schen Interesses in eine doppelte Liebe verwickelt ist, zu einem Bürgermädchen und einem Fräulein, das die ganze Herzlosigkeit und Coquetterie der damaligen Aristo¬ kratie zeigt — alle diese Umstände machen ein reich bewegtes, in seinen geistigen Beziehungen unmittelbar wirkendes Gemälde möglich. Mit Freude müssen wir anerkennen, daß der Verfasser die sorgfältigsten Stu¬ dien gemacht, daß er sich mit lebendiger Theilnahme in die Fluth der wechselnden aber immer geistigen Interessen vertieft hat, die jene Zeit bewegten. In seiner Schilderung der verschiedenen Lebensverhältnisse der Stände und ihrer Interessen, spricht sich das poetische Talent ans, das seineu frühern Werken schon einen so verdienten Namen gemacht hat. Sein Urtheil ist natürlich, nicht gerade tief aber gesund. Er gibt nicht Figuren aus der Modenzeitung, eben so wenig aus dem Bordell und Zuchthaus, denn er geht mit Recht von dem Grundsatz ans, daß nur das Bedeutende Gegenstand der Darstellung werden darf. Wenn wir alles dies rühmen und loben, so bleibt uns doch gegen das Ganze manches Bedenken. Es ist überall nur Tendenz einer lebendigen Darstellung; nicht eigentliches Leben. Wir können freilich von dem Totaleindruck noch nicht sprechen, da uns der letzte Band nicht vorliegt; aber schon in diesen beiden Bänden werden wir sehr oft ermüdet, und unser Interesse erschlafft. Es liegt das zum Theil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/215>, abgerufen am 22.07.2024.