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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Die nettesten Romane.



Die reifere Bildung mag sich gegen die gelesenen Schriftsteller, "die Klein¬
händler der Literatur", so vornehm stellen als sie will, für die Erkenntniß der ge¬
heimem Regungen in den innerlichen Tiefen des Volkslebens werden jene Novel¬
len, Romane, Possen, oder uuter welchen Formen sonst die Unmittelbarkeit des
Gemüths sich aussprechen mag, immer von der größten Wichtigkeit sein. Wenn
ein glückliches Gestirn solchen Schrifftellern anßer der Gabe der Mittheilung auch
die Anmuth der Form, den Sinn für geistige Bildung verlieh, so wird der Ein¬
fluß auf die Zeit, der Genuß, den sie gewähren, von größerer Dauer sein; Hier
kommt es uns aber gerade auf den Moment an, auf den Pulsschlag der Zeit,
dem wir weit entfernt sind die Bedeutung einer göttlichen Begabung beimessen
zu wollen. Die ewig heitern Musen sind zeitlos, aber der Naturforscher der
Seele muß nicht prüde sein, wenn er zu seinem Zwecke kommen will.

Es wird wohl Keiner bestreiten, daß in der populären Literatur unserer
Tage Frankreich und England wieder den Vortritt haben; unsere Buchhändler
köunen es am besten bezeugen. Was hilft es, darüber zu klagen? es Miß wohl
seinen Grund haben, und diesen Grund zu suchen, ist eben der Mühe werth.
Nur muß man nicht das alte Mährchen der Censur auftischen wollen; die Censo¬
ren gehören auch zum Volke, und woran das Volk sich ernstlich amüsirt, das wird
keine Scheere ablösen.

In Frankreich unterscheiden wir zwei Richtungen der Romantik: die mora¬
lisch-sentimentale, wenn ich mich so ausdrücken darf; die andere die sogenannten
"Fantaiststen" mit der alt traditionellen Frivolität des französischen Geistes.

Jener Zwiespalt zwischen dem Interesse an den moralischen Schaudergemäl¬
den E. Sue's und der muntern Geschwätzigkeit Dumas' setzt, wenn wir uns
nicht gerade an den Ausdruck stoßen wollen, die alte Differenz fort zwischen den
Romantikern und den Classtkeru. Die einen sind unzufrieden, weil ihnen gewisse
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Die nettesten Romane.



Die reifere Bildung mag sich gegen die gelesenen Schriftsteller, „die Klein¬
händler der Literatur", so vornehm stellen als sie will, für die Erkenntniß der ge¬
heimem Regungen in den innerlichen Tiefen des Volkslebens werden jene Novel¬
len, Romane, Possen, oder uuter welchen Formen sonst die Unmittelbarkeit des
Gemüths sich aussprechen mag, immer von der größten Wichtigkeit sein. Wenn
ein glückliches Gestirn solchen Schrifftellern anßer der Gabe der Mittheilung auch
die Anmuth der Form, den Sinn für geistige Bildung verlieh, so wird der Ein¬
fluß auf die Zeit, der Genuß, den sie gewähren, von größerer Dauer sein; Hier
kommt es uns aber gerade auf den Moment an, auf den Pulsschlag der Zeit,
dem wir weit entfernt sind die Bedeutung einer göttlichen Begabung beimessen
zu wollen. Die ewig heitern Musen sind zeitlos, aber der Naturforscher der
Seele muß nicht prüde sein, wenn er zu seinem Zwecke kommen will.

Es wird wohl Keiner bestreiten, daß in der populären Literatur unserer
Tage Frankreich und England wieder den Vortritt haben; unsere Buchhändler
köunen es am besten bezeugen. Was hilft es, darüber zu klagen? es Miß wohl
seinen Grund haben, und diesen Grund zu suchen, ist eben der Mühe werth.
Nur muß man nicht das alte Mährchen der Censur auftischen wollen; die Censo¬
ren gehören auch zum Volke, und woran das Volk sich ernstlich amüsirt, das wird
keine Scheere ablösen.

In Frankreich unterscheiden wir zwei Richtungen der Romantik: die mora¬
lisch-sentimentale, wenn ich mich so ausdrücken darf; die andere die sogenannten
„Fantaiststen" mit der alt traditionellen Frivolität des französischen Geistes.

Jener Zwiespalt zwischen dem Interesse an den moralischen Schaudergemäl¬
den E. Sue's und der muntern Geschwätzigkeit Dumas' setzt, wenn wir uns
nicht gerade an den Ausdruck stoßen wollen, die alte Differenz fort zwischen den
Romantikern und den Classtkeru. Die einen sind unzufrieden, weil ihnen gewisse
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[0211] Die nettesten Romane. Die reifere Bildung mag sich gegen die gelesenen Schriftsteller, „die Klein¬ händler der Literatur", so vornehm stellen als sie will, für die Erkenntniß der ge¬ heimem Regungen in den innerlichen Tiefen des Volkslebens werden jene Novel¬ len, Romane, Possen, oder uuter welchen Formen sonst die Unmittelbarkeit des Gemüths sich aussprechen mag, immer von der größten Wichtigkeit sein. Wenn ein glückliches Gestirn solchen Schrifftellern anßer der Gabe der Mittheilung auch die Anmuth der Form, den Sinn für geistige Bildung verlieh, so wird der Ein¬ fluß auf die Zeit, der Genuß, den sie gewähren, von größerer Dauer sein; Hier kommt es uns aber gerade auf den Moment an, auf den Pulsschlag der Zeit, dem wir weit entfernt sind die Bedeutung einer göttlichen Begabung beimessen zu wollen. Die ewig heitern Musen sind zeitlos, aber der Naturforscher der Seele muß nicht prüde sein, wenn er zu seinem Zwecke kommen will. Es wird wohl Keiner bestreiten, daß in der populären Literatur unserer Tage Frankreich und England wieder den Vortritt haben; unsere Buchhändler köunen es am besten bezeugen. Was hilft es, darüber zu klagen? es Miß wohl seinen Grund haben, und diesen Grund zu suchen, ist eben der Mühe werth. Nur muß man nicht das alte Mährchen der Censur auftischen wollen; die Censo¬ ren gehören auch zum Volke, und woran das Volk sich ernstlich amüsirt, das wird keine Scheere ablösen. In Frankreich unterscheiden wir zwei Richtungen der Romantik: die mora¬ lisch-sentimentale, wenn ich mich so ausdrücken darf; die andere die sogenannten „Fantaiststen" mit der alt traditionellen Frivolität des französischen Geistes. Jener Zwiespalt zwischen dem Interesse an den moralischen Schaudergemäl¬ den E. Sue's und der muntern Geschwätzigkeit Dumas' setzt, wenn wir uns nicht gerade an den Ausdruck stoßen wollen, die alte Differenz fort zwischen den Romantikern und den Classtkeru. Die einen sind unzufrieden, weil ihnen gewisse « 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/211>, abgerufen am 22.07.2024.