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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Es war dies keineswegs Indifferentismus, denn kein Volksstamm in ganz Deutsch¬
land ist mehr davon entfernt als der Schwabe, sondern vielmehr Pietät. Seit
jener Zeit hat sich auf beiden Seiten Manches hierin geändert, und wenn es uns
anch hier schon des Raumes wegen uicht vergönnt ist, näher darauf einzugehen,
so steht doch wohl als Factum unwiderruflich fest, daß das Vertrauen zwischen
Volk und Regierung uicht mehr das frühere ist und die Opposition von Landtag
zu Landtag immer entschiedener hervortritt. Dies hat sich in diesem Jahr lebhaft
gezeigt, denn obschon der kürzlich versammelt gewesene Landtag nnr ein außer¬
ordentlicher war, der sich uur mit finanziellen Angelegenheiten beschäftigen sollte,
so ist auf demselben in kurzen Worten und ohne lauge phrasenreiche Reden zu
halten, doch eben so kräftig opponire worden, als es uur irgend wo anders, selbst
im Saal zu Karlsruhe, hätte geschehen können. Der Kern des Volkes nahm aber
einen lebhaften Antheil an allen diesen Verhandlungen, einen Antheil, der um
so erfreulicher und wirksamer ist, als er auf die tüchtige innere Bildung, die in
Würtemberg so sehr verbreitet ist, basirt ist. -- -- Lauge Reden wird man in der
zweiten Kammer in Stuttgart nur selteu hören, wozu auch wohl schou der Um¬
stand, daß jeder Redner vom Platze sprechen muß, da es keinen besondern Ncdner-
stuhl gibt, wie auch, daß die Reden vom Manuscripte abzulesen verboten sind, man¬
ches mit beiträgt. Es wird im Allgemeinen kurz, rasch und ohne viel rhetorischen
Schmuck oder künstliche Wendungen gesprochen. Besonders der Abgeordnete Römer,
eines der vorzüglichsten Häupter der würtembergischen Opposition und der bedeutendste
Gegner der Regierung, zeichnet sich dadurch aus. Obgleich man denselben in
keiner Weise ein rhetorisches Talent nennen kann, so sind seine Worte doch so be¬
stimmt, einfach und dabei klar, seine Forderung so logisch, seine Argumenta-
tionen so scharfsinnig, und es drückt sich in seinem ganzen Auftreten ein so
cousequenter, energischer, durch nichts zu beugender oder abzulenkender Wille
ans, daß mau sich sehr leicht die bedeutende Rolle desselben in der Kam¬
mer erklären kann. Ganz anders ist der Abgeordnete Duvernvi, nächst dem
Vorigen mit das bedeutendste Oppositionsmitglied. Er ist mehr zum Verthei¬
digen als Angreifen geschaffen, versteht es besser die Reden der Gegen¬
partei in ihre einzelnen Theile zu zerlegen, sich die schwachen Punkte derselben
hervorzusuchen und dann mit schneidendem Spotte zu geißeln, als selbst neue
Ideen zu erwecken, oder durch innere Begeisterung ein gleiches Gefühl bei seiner
Partei zu erwecke". Viel mehr ist dies bei den Reden Mnrschel'S, auch eines der
bedeutenderen Oppositionisten, der Fall. Die innere Wärme, die denselben inne-
wohnt, dabei die Milde der Gesinnung, verbunden mit großer Klarheit der Ge¬
danken nud gesunder, natürlicher Vernunft, haben uus dieselben stets angenehm
gemacht, obgleich man den Genannten sonst gerade nicht zu den Rednern Deutschlands
zählen kann. "i. v. Mohl war leider uoch zu neu in der Kammer, die er
jetzt wieder verlassen hat, um eine Professur in Heidelberg anzunehmen, als daß


Es war dies keineswegs Indifferentismus, denn kein Volksstamm in ganz Deutsch¬
land ist mehr davon entfernt als der Schwabe, sondern vielmehr Pietät. Seit
jener Zeit hat sich auf beiden Seiten Manches hierin geändert, und wenn es uns
anch hier schon des Raumes wegen uicht vergönnt ist, näher darauf einzugehen,
so steht doch wohl als Factum unwiderruflich fest, daß das Vertrauen zwischen
Volk und Regierung uicht mehr das frühere ist und die Opposition von Landtag
zu Landtag immer entschiedener hervortritt. Dies hat sich in diesem Jahr lebhaft
gezeigt, denn obschon der kürzlich versammelt gewesene Landtag nnr ein außer¬
ordentlicher war, der sich uur mit finanziellen Angelegenheiten beschäftigen sollte,
so ist auf demselben in kurzen Worten und ohne lauge phrasenreiche Reden zu
halten, doch eben so kräftig opponire worden, als es uur irgend wo anders, selbst
im Saal zu Karlsruhe, hätte geschehen können. Der Kern des Volkes nahm aber
einen lebhaften Antheil an allen diesen Verhandlungen, einen Antheil, der um
so erfreulicher und wirksamer ist, als er auf die tüchtige innere Bildung, die in
Würtemberg so sehr verbreitet ist, basirt ist. — — Lauge Reden wird man in der
zweiten Kammer in Stuttgart nur selteu hören, wozu auch wohl schou der Um¬
stand, daß jeder Redner vom Platze sprechen muß, da es keinen besondern Ncdner-
stuhl gibt, wie auch, daß die Reden vom Manuscripte abzulesen verboten sind, man¬
ches mit beiträgt. Es wird im Allgemeinen kurz, rasch und ohne viel rhetorischen
Schmuck oder künstliche Wendungen gesprochen. Besonders der Abgeordnete Römer,
eines der vorzüglichsten Häupter der würtembergischen Opposition und der bedeutendste
Gegner der Regierung, zeichnet sich dadurch aus. Obgleich man denselben in
keiner Weise ein rhetorisches Talent nennen kann, so sind seine Worte doch so be¬
stimmt, einfach und dabei klar, seine Forderung so logisch, seine Argumenta-
tionen so scharfsinnig, und es drückt sich in seinem ganzen Auftreten ein so
cousequenter, energischer, durch nichts zu beugender oder abzulenkender Wille
ans, daß mau sich sehr leicht die bedeutende Rolle desselben in der Kam¬
mer erklären kann. Ganz anders ist der Abgeordnete Duvernvi, nächst dem
Vorigen mit das bedeutendste Oppositionsmitglied. Er ist mehr zum Verthei¬
digen als Angreifen geschaffen, versteht es besser die Reden der Gegen¬
partei in ihre einzelnen Theile zu zerlegen, sich die schwachen Punkte derselben
hervorzusuchen und dann mit schneidendem Spotte zu geißeln, als selbst neue
Ideen zu erwecken, oder durch innere Begeisterung ein gleiches Gefühl bei seiner
Partei zu erwecke». Viel mehr ist dies bei den Reden Mnrschel'S, auch eines der
bedeutenderen Oppositionisten, der Fall. Die innere Wärme, die denselben inne-
wohnt, dabei die Milde der Gesinnung, verbunden mit großer Klarheit der Ge¬
danken nud gesunder, natürlicher Vernunft, haben uus dieselben stets angenehm
gemacht, obgleich man den Genannten sonst gerade nicht zu den Rednern Deutschlands
zählen kann. »i. v. Mohl war leider uoch zu neu in der Kammer, die er
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/206>, abgerufen am 25.08.2024.