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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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nerstnhl förmlich mit großen Bündeln von Büchern und Manuscripten besteigen,
und ihre Reden, die man oft ihrer Länge wegen weitschweifige Abhandlungen nen¬
nen möchte, vom Pcipiere ablesen und nicht frei halten. Es geschieht Gleiches nnr
bisweilen, aber sehr selten in München, wo besonders der Banquier von Schätzler
aus Augsburg sich dadurch auszuzeichnen pflegte, sonst aber in keiner anderen
Kammer, und sollte billiger Weise anch verboten sein, wie es in Sachsen, Baden,
Würtemberg der Fall ist.

Bei weitem nicht so spannend und interessant für den bloßen, oberflächlichen
Zuhörer, ist die zweite Kammer zu Stuttgart, sonst uns aber viel lieber
und wegen ihrer innern Gediegenheit einen weit höheren Rang bei uns einneh¬
mend. Die Gabe der gewandten Sprache ist im Allgemeinen den Schwaben nicht
verliehen, dies zeigt sich, wie überall im gewöhnlichen Leben, so anch recht klar in
ihrer Kammer. In Verhältniß ihrer Mitgliederzahl hat dieselbe auffallend wenige
gute, viel mittelmäßige, aber auch wieder sehr wenige ganz schlechte Redner.
Wenn dies nun auch ein Mangel ist, so besitzt sie auf der andern Seite doch wieder
den weit größeren Vorzug gründlicher Gediegenheit und freimüthiger Ungezwun¬
genheit. Die Oppositionspartei in Stuttgart ist lange nicht so künstlich organi-
sirt, so viel außer wie innerhalb der Kammer Lärm machend, wie die zu Karls¬
ruhe, tritt dabei weit gemäßigter ans und wird sich nie in allzu blindem Eiser
überstürzen, aber sie wurzelt viel fester im Volke selbst, und ist der Ausdruck der
Gesinnung des Kernes desselben, was in Karlsruhe uicht immer im gleichen G>abe
der Fall ist. Der Würtenberger ist sehr ruhiger, bedächtiger, ja mau
könnte fast sagen schwerfälliger und mißtrauischer Natur, und bedenkt und prüft
erst sehr lange und genau, bevor er sich zum Sprechen und Handeln entschließt.
Aber hat er dies gethan, dann ist er auch unglaublich zähe und nachhaltig bei
dem einmal begonnenen Werke, und eben so schwer wird er davou ab, wie erst
heranzubringen sein. Deshalb hat sich anch eine würtenbergische Opposition erst all-
mälig gebildet, sie tritt im Vergleich zu der badischen noch sehr bescheiden auf, hat
aber jetzt schon unendlich viel mehr Einfluß, wie diese es noch für die nächsten
Zeiten erhalten wird. Sie weiß es sehr wohl, wo dem Volke der Schuh drückt
und welche Mittel angewandt werden müssen. Mau hat oft in Bade" über die Langsamkeit
der schwäbische" Nachbaren gespöttelt, ihnen den Mangel am politischen Leben vor¬
geworfen, ja sie sogar des Indifferentismus darin beschuldigt, aber mit Unrecht.
Ohne viel politische Feste zu feiern, Zweckessen zu halten und sich in nutzlosen
Tiraden zu ergehe", sind sie ruhig in ihrer ganzen Entwickelung vorgegangen.
Dazu hatte Würtemberg bis gegen 1835, wenn wir einen bestimmten Wendepunkt
annehmen wollen, auch viel weniger Grund zu opponiren, als irgend ein anderes
deutsches Laud, denn es hatte die freisinnigste und bestorganisirte Regierung viel¬
leicht in ganz Deutschland, und war daher gegen die verschiedenen, sich hie und
da zeigenden Gebrechen nachsichtiger, wie es sonst wohl der Fall gewesen wäre.


nerstnhl förmlich mit großen Bündeln von Büchern und Manuscripten besteigen,
und ihre Reden, die man oft ihrer Länge wegen weitschweifige Abhandlungen nen¬
nen möchte, vom Pcipiere ablesen und nicht frei halten. Es geschieht Gleiches nnr
bisweilen, aber sehr selten in München, wo besonders der Banquier von Schätzler
aus Augsburg sich dadurch auszuzeichnen pflegte, sonst aber in keiner anderen
Kammer, und sollte billiger Weise anch verboten sein, wie es in Sachsen, Baden,
Würtemberg der Fall ist.

Bei weitem nicht so spannend und interessant für den bloßen, oberflächlichen
Zuhörer, ist die zweite Kammer zu Stuttgart, sonst uns aber viel lieber
und wegen ihrer innern Gediegenheit einen weit höheren Rang bei uns einneh¬
mend. Die Gabe der gewandten Sprache ist im Allgemeinen den Schwaben nicht
verliehen, dies zeigt sich, wie überall im gewöhnlichen Leben, so anch recht klar in
ihrer Kammer. In Verhältniß ihrer Mitgliederzahl hat dieselbe auffallend wenige
gute, viel mittelmäßige, aber auch wieder sehr wenige ganz schlechte Redner.
Wenn dies nun auch ein Mangel ist, so besitzt sie auf der andern Seite doch wieder
den weit größeren Vorzug gründlicher Gediegenheit und freimüthiger Ungezwun¬
genheit. Die Oppositionspartei in Stuttgart ist lange nicht so künstlich organi-
sirt, so viel außer wie innerhalb der Kammer Lärm machend, wie die zu Karls¬
ruhe, tritt dabei weit gemäßigter ans und wird sich nie in allzu blindem Eiser
überstürzen, aber sie wurzelt viel fester im Volke selbst, und ist der Ausdruck der
Gesinnung des Kernes desselben, was in Karlsruhe uicht immer im gleichen G>abe
der Fall ist. Der Würtenberger ist sehr ruhiger, bedächtiger, ja mau
könnte fast sagen schwerfälliger und mißtrauischer Natur, und bedenkt und prüft
erst sehr lange und genau, bevor er sich zum Sprechen und Handeln entschließt.
Aber hat er dies gethan, dann ist er auch unglaublich zähe und nachhaltig bei
dem einmal begonnenen Werke, und eben so schwer wird er davou ab, wie erst
heranzubringen sein. Deshalb hat sich anch eine würtenbergische Opposition erst all-
mälig gebildet, sie tritt im Vergleich zu der badischen noch sehr bescheiden auf, hat
aber jetzt schon unendlich viel mehr Einfluß, wie diese es noch für die nächsten
Zeiten erhalten wird. Sie weiß es sehr wohl, wo dem Volke der Schuh drückt
und welche Mittel angewandt werden müssen. Mau hat oft in Bade» über die Langsamkeit
der schwäbische» Nachbaren gespöttelt, ihnen den Mangel am politischen Leben vor¬
geworfen, ja sie sogar des Indifferentismus darin beschuldigt, aber mit Unrecht.
Ohne viel politische Feste zu feiern, Zweckessen zu halten und sich in nutzlosen
Tiraden zu ergehe», sind sie ruhig in ihrer ganzen Entwickelung vorgegangen.
Dazu hatte Würtemberg bis gegen 1835, wenn wir einen bestimmten Wendepunkt
annehmen wollen, auch viel weniger Grund zu opponiren, als irgend ein anderes
deutsches Laud, denn es hatte die freisinnigste und bestorganisirte Regierung viel¬
leicht in ganz Deutschland, und war daher gegen die verschiedenen, sich hie und
da zeigenden Gebrechen nachsichtiger, wie es sonst wohl der Fall gewesen wäre.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/205>, abgerufen am 22.07.2024.