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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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ich bin durch die Allerhöchste Gnade zum "Geheimen Canzellei-Secretair" in An¬
erkennung langjähriger, bewährter Dienste erhoben worden, -- hier ist mein Pa¬
tent! und -- morgen kommt es in die Zeitung! Ich glaube daher, daß ich die
Gefühle Aller anspreche, wenn ich das Wohl Sr. Majestät des Königs, Ihrer
Majestät der Königin und des ganzen königlichen Hauses hiermit aufdringe. Sie
leben hoch! -- und abermals hoch!"

Die glückliche Familie stieß mit den Gläsern an, und Eleonore sank überwäl¬
tigt in d'le Arme ihres Vaters. Es schien sich ein heiterer Friede über diesen
Kreis verbreiten zu wollen, aber was ist vollkommen auf dieser Welt!

"Friedrich," sagte Herr Weise zu dem Sohn, "am ersten Mai wirst Dn als
Schreibergehülfe eintreten." Jetzt oder niemals, dachte Friedrich, die milde Stim¬
mung des sonst harten Vaters wahrnehmend, und rief: "Nein Vater! ich kann
nicht Schreiber werden, ich will Oekonomie studiren, Schreiber kann ich nicht
werden."

Ein schmerzliches Lächeln flog über die Züge des Canzellisten, er wollte auf¬
brausen, doch er faßte sich. "Du wirst mir Deine desfallsigen Motive zu Proto¬
koll geben," rief er, indem er die Brille hervorzog, und sich mit der Feder be¬
waffnet an den Schreibtisch setzte. "Warum willst Du Dich nicht dem Schreibfache
widmen?" -- "Weil ich lieber was Anderes werden möchte," erwiderte der Sohn.
"Was für ein Anderes willst Du werden?" examinirte der Vater weiter. ---
"Das, was der Vetter Christian ist," sagte der Sohn. "Dies geht nicht an,"
berichtigte ihn der Vater, "weil Geld dazu gehört, und das haben wir nicht --
was willst Du weiter werden?" -- Der Sohn schwieg. -- "Wenn Du nicht ant¬
wortest, so werde ich die Verhandlung in contumaciam abschließen." "Vorgelesen,
genehmigt und unterschrieben" murmelte der Alte, indem er diese Worte unter das
Protokoll setzte. "Nun uuterschreib!" -- "Nein Vater! das kann ich nicht unter¬
schreiben " rief der Sohn schluchzend. -- "Ungerathener Bube," rief nun der Alte
außer sich, "tritt näher, das verdient Züchtigung." Damit fuhr er auf den Jun¬
gen los und gab ihm eine Ohrfeige. Friedrich rannte davon, und der strenge
Richter schloß das Protocoll mit folgenden Worten:

"Comparent verweigerte die Unterschrist, weshalb ihm zur Strafe eine Ohr¬
feige ertheilt wurde."

"Wiederum vorgelesen, genehmigt und vollzogen."

"Comparent hatte sich vor dem Schlüsse der Verhandlung entfernt, antun
ut 8"u>!l. Weise, Geh. Canzellei-Secretair."

Kaum hatte der strenge Mann diese Schrift der Personalacte, welche er über
den Sohn führte sorgfältig beigeheftet, so öffnete sich die Thür, und Vetter Chri¬
stian, welcher zum Markte in der Stadt war, trat herein, ein dicker, sonnverbrann¬
ter, munterer Landmann.

"Na! Du alte Schrcibemaschine!" rief er dem Canzellisten zu, "was machst


ich bin durch die Allerhöchste Gnade zum „Geheimen Canzellei-Secretair" in An¬
erkennung langjähriger, bewährter Dienste erhoben worden, — hier ist mein Pa¬
tent! und — morgen kommt es in die Zeitung! Ich glaube daher, daß ich die
Gefühle Aller anspreche, wenn ich das Wohl Sr. Majestät des Königs, Ihrer
Majestät der Königin und des ganzen königlichen Hauses hiermit aufdringe. Sie
leben hoch! — und abermals hoch!"

Die glückliche Familie stieß mit den Gläsern an, und Eleonore sank überwäl¬
tigt in d'le Arme ihres Vaters. Es schien sich ein heiterer Friede über diesen
Kreis verbreiten zu wollen, aber was ist vollkommen auf dieser Welt!

„Friedrich," sagte Herr Weise zu dem Sohn, „am ersten Mai wirst Dn als
Schreibergehülfe eintreten." Jetzt oder niemals, dachte Friedrich, die milde Stim¬
mung des sonst harten Vaters wahrnehmend, und rief: „Nein Vater! ich kann
nicht Schreiber werden, ich will Oekonomie studiren, Schreiber kann ich nicht
werden."

Ein schmerzliches Lächeln flog über die Züge des Canzellisten, er wollte auf¬
brausen, doch er faßte sich. „Du wirst mir Deine desfallsigen Motive zu Proto¬
koll geben," rief er, indem er die Brille hervorzog, und sich mit der Feder be¬
waffnet an den Schreibtisch setzte. „Warum willst Du Dich nicht dem Schreibfache
widmen?" — „Weil ich lieber was Anderes werden möchte," erwiderte der Sohn.
„Was für ein Anderes willst Du werden?" examinirte der Vater weiter. —-
„Das, was der Vetter Christian ist," sagte der Sohn. „Dies geht nicht an,"
berichtigte ihn der Vater, „weil Geld dazu gehört, und das haben wir nicht —
was willst Du weiter werden?" — Der Sohn schwieg. — „Wenn Du nicht ant¬
wortest, so werde ich die Verhandlung in contumaciam abschließen." „Vorgelesen,
genehmigt und unterschrieben" murmelte der Alte, indem er diese Worte unter das
Protokoll setzte. „Nun uuterschreib!" — „Nein Vater! das kann ich nicht unter¬
schreiben " rief der Sohn schluchzend. — „Ungerathener Bube," rief nun der Alte
außer sich, „tritt näher, das verdient Züchtigung." Damit fuhr er auf den Jun¬
gen los und gab ihm eine Ohrfeige. Friedrich rannte davon, und der strenge
Richter schloß das Protocoll mit folgenden Worten:

„Comparent verweigerte die Unterschrist, weshalb ihm zur Strafe eine Ohr¬
feige ertheilt wurde."

„Wiederum vorgelesen, genehmigt und vollzogen."

„Comparent hatte sich vor dem Schlüsse der Verhandlung entfernt, antun
ut 8»u>!l. Weise, Geh. Canzellei-Secretair."

Kaum hatte der strenge Mann diese Schrift der Personalacte, welche er über
den Sohn führte sorgfältig beigeheftet, so öffnete sich die Thür, und Vetter Chri¬
stian, welcher zum Markte in der Stadt war, trat herein, ein dicker, sonnverbrann¬
ter, munterer Landmann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/167>, abgerufen am 22.07.2024.