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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Liebe zu Beschäftigung mit Empfindungen, eine Milde und Zartheit in denselben,
ein Eingehen in fremde Gemüthsstimmungen, mir unter vielen und abziehenden
Geschäften geblieben ist. Das kommt doch nnr daher, daß jenes eigentlich die
natürliche Beschaffenheit meines Gemüths ist, und daß es mir immer eigen ge¬
wesen ist, gegen das innere und eigentliche Sein, die Geschäfte nur wie eine Art
Nebensache zu behandeln, immer ihrer mächtig zu bleiben, statt mich voll ihnen
beherrschen zu lassen. Man macht sie darum und auf diese Weise nur desto besser.
Und das, was den Menschen als Mensch berührt, die Gefühle, die ihn erfüllen,
die sich in ihm drängen und stoßen, haben immer einen hauptsächlichen Reiz für
mi^' gehabt. Ich habe zuerst damit angefangen, mich selbst zu kennen und mich
selbst zu beherrschen, und kein Mensch kann sich klarer durchschauen, keiner sich
mehr in seiner Gewalt haben, als ich. Ich habe dabei immer nach zwei Dingen
gestrebt: mich empfänglich zu halten für jede Freude des Lebens, und dennoch
durchaus in allem, was ich mir nicht selbst geben kann, unabhängig zu bleiben,
niemandes zu bedürfen, auch nicht der Begünstigungen des Schicksals, sondern
auf mir allein zu stehen und mein Glück in mir und durch mich zu bauen. Beides
habe ich in hohem Grade erreicht. Ueber keine Freude und keinen Genuß des
Lebens bin ich hinweg, wie es die Leute nennen. Die einfachste Sache, wenn
sie nur etwas Anmuthiges oder Höheres an sich trägt, oder wenn sie mir durch
irgend etwas besonders zusagt, gewährt mir reine Freude. Daher niemand so
dankbar ist als ich, weil wirklich auch wenig Menschen so viel Grund zur Dank¬
barkeit haben. Theils begegnet ihnen vielleicht weniger Erfreuliches, theils aber
siudeu sie auch in dem, was ihnen begegnet, das Erfreuliche nicht so heraus, und
genießen es nicht wie sie könnten. Aber kein Mensch ist auch so wenig bedürftig,
als ich, und darauf beruht ein großer Theil meines Glücks, denn jedes Bedürfniß
ist, wie es befriedigt wird, nur eigentlich Stillung eines Schmerzes, und alles,
was darauf verwendet wird, geht dem reinen, ruhigen, stillen Genuß ab."

Die Einsamkeit des Gebildeten ist nicht schmerzlich, seine Entsagung kein eigent¬
liches Opfer. "Ich liebe die Heiterkeit ungemein. Es ist nicht gerade die laute,
die sich wie genießende Fröhlichkeit ankündigt, sondern die stille, die sich so recht
und ganz über die innere Seele ergießt. Ich liebe sie in Andern und mir vor¬
züglich der größern Klarheit wegen, die in der Heiterkeit immer die Gedanken
haben, und die für mich die erste und unerläßliche Bedingung eiues genügenden
Daseins im Leben für sich und im Umgange mit Andern ist. Die Wehmuth führt
auch bisweilen eine und oft noch größere Klarheit mit sich. Man sieht und ein-
findet die Dinge in ihrer Nacktheit, wenn das Gemüth so tief in sich bewegt ist,
daß der Schleier zerreißt, der sie sonst verhüllt. Aber es ist dies, wie ich es
nennen möchte, eine schmerzliche Klarheit, die theuer erkauft werden muß, und sie
zeigt die Gegenstände auch nur im Augenblicke und vorübergehend, wie man anch
augenblicklich in die Tiefe des Himmels Schauer, wenn der Blitz die Wolken ze>-


Liebe zu Beschäftigung mit Empfindungen, eine Milde und Zartheit in denselben,
ein Eingehen in fremde Gemüthsstimmungen, mir unter vielen und abziehenden
Geschäften geblieben ist. Das kommt doch nnr daher, daß jenes eigentlich die
natürliche Beschaffenheit meines Gemüths ist, und daß es mir immer eigen ge¬
wesen ist, gegen das innere und eigentliche Sein, die Geschäfte nur wie eine Art
Nebensache zu behandeln, immer ihrer mächtig zu bleiben, statt mich voll ihnen
beherrschen zu lassen. Man macht sie darum und auf diese Weise nur desto besser.
Und das, was den Menschen als Mensch berührt, die Gefühle, die ihn erfüllen,
die sich in ihm drängen und stoßen, haben immer einen hauptsächlichen Reiz für
mi^' gehabt. Ich habe zuerst damit angefangen, mich selbst zu kennen und mich
selbst zu beherrschen, und kein Mensch kann sich klarer durchschauen, keiner sich
mehr in seiner Gewalt haben, als ich. Ich habe dabei immer nach zwei Dingen
gestrebt: mich empfänglich zu halten für jede Freude des Lebens, und dennoch
durchaus in allem, was ich mir nicht selbst geben kann, unabhängig zu bleiben,
niemandes zu bedürfen, auch nicht der Begünstigungen des Schicksals, sondern
auf mir allein zu stehen und mein Glück in mir und durch mich zu bauen. Beides
habe ich in hohem Grade erreicht. Ueber keine Freude und keinen Genuß des
Lebens bin ich hinweg, wie es die Leute nennen. Die einfachste Sache, wenn
sie nur etwas Anmuthiges oder Höheres an sich trägt, oder wenn sie mir durch
irgend etwas besonders zusagt, gewährt mir reine Freude. Daher niemand so
dankbar ist als ich, weil wirklich auch wenig Menschen so viel Grund zur Dank¬
barkeit haben. Theils begegnet ihnen vielleicht weniger Erfreuliches, theils aber
siudeu sie auch in dem, was ihnen begegnet, das Erfreuliche nicht so heraus, und
genießen es nicht wie sie könnten. Aber kein Mensch ist auch so wenig bedürftig,
als ich, und darauf beruht ein großer Theil meines Glücks, denn jedes Bedürfniß
ist, wie es befriedigt wird, nur eigentlich Stillung eines Schmerzes, und alles,
was darauf verwendet wird, geht dem reinen, ruhigen, stillen Genuß ab."

Die Einsamkeit des Gebildeten ist nicht schmerzlich, seine Entsagung kein eigent¬
liches Opfer. „Ich liebe die Heiterkeit ungemein. Es ist nicht gerade die laute,
die sich wie genießende Fröhlichkeit ankündigt, sondern die stille, die sich so recht
und ganz über die innere Seele ergießt. Ich liebe sie in Andern und mir vor¬
züglich der größern Klarheit wegen, die in der Heiterkeit immer die Gedanken
haben, und die für mich die erste und unerläßliche Bedingung eiues genügenden
Daseins im Leben für sich und im Umgange mit Andern ist. Die Wehmuth führt
auch bisweilen eine und oft noch größere Klarheit mit sich. Man sieht und ein-
findet die Dinge in ihrer Nacktheit, wenn das Gemüth so tief in sich bewegt ist,
daß der Schleier zerreißt, der sie sonst verhüllt. Aber es ist dies, wie ich es
nennen möchte, eine schmerzliche Klarheit, die theuer erkauft werden muß, und sie
zeigt die Gegenstände auch nur im Augenblicke und vorübergehend, wie man anch
augenblicklich in die Tiefe des Himmels Schauer, wenn der Blitz die Wolken ze>-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/156>, abgerufen am 22.07.2024.