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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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sonst leicht einengende Wichtigkeit. So sehr auch der Mensch für den Menschen
das Erste und Wichtigste ist, so gibt es gerade nichts gegenseitig mehr Beschrän¬
kendes, als die Menschen, wenn sie, enge zusammengedrängt, nur sich im Ange
haben. Man muß erst oft wieder in der Natur ein höheres und über die Mensch¬
heit waltendes Wesen erkennen und fühlen, ehe man zu den beschränkte" Meuscheu
zurückkehrt. Nur dadurch auch gelangt man dahin, die Dinge der Wirklichkeit
nicht so wichtig zu halten, nicht so viel auf Glück oder Unglück zu geben, Ent¬
behrungen und Schmerz minder zu achten, und nur auf die innere Stimmung,
die Verwandlungen des Geistes und Gemüths seine Aufmerksamkeit zu richten,
und das äußere Leben bis auf einen gewissen Grad in sich untergehen zu lassen."
Im Alter bestellt man sein Haus. "Mail sagt, daß man sein Haus bestellt hat,
wenn man Sorge getragen hat, alles das ans den Fall seines Todes zu berichti¬
gen, was bis dahin uuberichtigt geblieben war. Von allen Seiten schneidet also
das Hauöbestellen Verwickelung, Ungewißheit und Unruhe ab, und befördert Ord¬
nung, Bestimmtheit und Seelenfrieden. So nimmt man den Ausdruck im äußern,
weltlichen Leben. Auf viel höhere und edlere Weise aber findet das Aehnliche
im Geistigen statt. Auch darin gibt es mehr oder minder Wichtiges, mehr und
minder an das irdische Dasein Geknüpftes, mittelbar oder unmittelbar mit dem
Höchsten im Menschen Verbundenes. Jedermann pflegt in sich die Erfahrung zu
machen, daß er gerade dem, was in ihm das Tiefste und Eigenthümlichste ist,
die wenigste Muße widmet, und sich viel zu viel durch untergeordnete Gegenstände
das Nachdenken rauben und entreißen läßt. Dies muß man abstellen, den stören¬
den Beschäftigungen entsagen und sich mit Eifer den wichtigeren widmen. Noch
mehr aber geht diese Sammlung aus eine kurze Spanne uoch übrigen Lebens, wie
man es auch nennen konnte, in dem Gebiete des Gefühls vor. Doch ist hier im
Allgemeinen ein großer und mächtiger Unterschied. Im Intellectuellen und allen
Sachen des Nachdenkens hat der Vorsatz volle Kraft. Man kann und muß ab¬
sichtlich die Gedanken und das Nachdenken ans gewisse Punkte richten. Im Ge-
fühl ist das nicht nur unmöglich, sondern würde auch geradezu schädlich sein. Im
Gebiete des Empfindens läßt sich nichts Unfreiwilliges, nichts Erzwungenes den¬
ken. Da kann also die Aenderung nur von selbst eintreten, und ist mit der Reife
einer Frucht zu vergleichen. Sie geht von selbst vor sich, so wie die ganze See-
lenstimmung verräth, daß dies Loslassen vom hiesigen Dasein in das Gemüth
ganz übergegangen ist. Die Aenderung besteht auch da in einem Vereinfachen und
Zurückziehen des Gemüths auf sich selbst, doch läßt sich hier noch weniger als im
Gebiete des Denkens, aus einer einzelnen Individualität heraus, etwas allgemein
Geltendes sagen. In mir ist es ganz einfach so zugegangen, daß sich mein Ge¬
müth so auf eine Empfindung concentrirt hat, daß es jeder andern unzugänglich
geworden ist, insofern nämlich, als ich durch eine andere Empfindung etwas
empfangen sollte. Denn ans keine Art bin ich dadurch kalt und untheilnehmend


sonst leicht einengende Wichtigkeit. So sehr auch der Mensch für den Menschen
das Erste und Wichtigste ist, so gibt es gerade nichts gegenseitig mehr Beschrän¬
kendes, als die Menschen, wenn sie, enge zusammengedrängt, nur sich im Ange
haben. Man muß erst oft wieder in der Natur ein höheres und über die Mensch¬
heit waltendes Wesen erkennen und fühlen, ehe man zu den beschränkte« Meuscheu
zurückkehrt. Nur dadurch auch gelangt man dahin, die Dinge der Wirklichkeit
nicht so wichtig zu halten, nicht so viel auf Glück oder Unglück zu geben, Ent¬
behrungen und Schmerz minder zu achten, und nur auf die innere Stimmung,
die Verwandlungen des Geistes und Gemüths seine Aufmerksamkeit zu richten,
und das äußere Leben bis auf einen gewissen Grad in sich untergehen zu lassen."
Im Alter bestellt man sein Haus. „Mail sagt, daß man sein Haus bestellt hat,
wenn man Sorge getragen hat, alles das ans den Fall seines Todes zu berichti¬
gen, was bis dahin uuberichtigt geblieben war. Von allen Seiten schneidet also
das Hauöbestellen Verwickelung, Ungewißheit und Unruhe ab, und befördert Ord¬
nung, Bestimmtheit und Seelenfrieden. So nimmt man den Ausdruck im äußern,
weltlichen Leben. Auf viel höhere und edlere Weise aber findet das Aehnliche
im Geistigen statt. Auch darin gibt es mehr oder minder Wichtiges, mehr und
minder an das irdische Dasein Geknüpftes, mittelbar oder unmittelbar mit dem
Höchsten im Menschen Verbundenes. Jedermann pflegt in sich die Erfahrung zu
machen, daß er gerade dem, was in ihm das Tiefste und Eigenthümlichste ist,
die wenigste Muße widmet, und sich viel zu viel durch untergeordnete Gegenstände
das Nachdenken rauben und entreißen läßt. Dies muß man abstellen, den stören¬
den Beschäftigungen entsagen und sich mit Eifer den wichtigeren widmen. Noch
mehr aber geht diese Sammlung aus eine kurze Spanne uoch übrigen Lebens, wie
man es auch nennen konnte, in dem Gebiete des Gefühls vor. Doch ist hier im
Allgemeinen ein großer und mächtiger Unterschied. Im Intellectuellen und allen
Sachen des Nachdenkens hat der Vorsatz volle Kraft. Man kann und muß ab¬
sichtlich die Gedanken und das Nachdenken ans gewisse Punkte richten. Im Ge-
fühl ist das nicht nur unmöglich, sondern würde auch geradezu schädlich sein. Im
Gebiete des Empfindens läßt sich nichts Unfreiwilliges, nichts Erzwungenes den¬
ken. Da kann also die Aenderung nur von selbst eintreten, und ist mit der Reife
einer Frucht zu vergleichen. Sie geht von selbst vor sich, so wie die ganze See-
lenstimmung verräth, daß dies Loslassen vom hiesigen Dasein in das Gemüth
ganz übergegangen ist. Die Aenderung besteht auch da in einem Vereinfachen und
Zurückziehen des Gemüths auf sich selbst, doch läßt sich hier noch weniger als im
Gebiete des Denkens, aus einer einzelnen Individualität heraus, etwas allgemein
Geltendes sagen. In mir ist es ganz einfach so zugegangen, daß sich mein Ge¬
müth so auf eine Empfindung concentrirt hat, daß es jeder andern unzugänglich
geworden ist, insofern nämlich, als ich durch eine andere Empfindung etwas
empfangen sollte. Denn ans keine Art bin ich dadurch kalt und untheilnehmend


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/154>, abgerufen am 22.07.2024.