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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Zur Charakteristik Wilhelms v. Humboldt.



In der so eben erschienen Schrift: Briefe von W. v. Humboldt an eine
Freundin. 2 Bde. Leipzig 1847. F. A. Brockhaus, wird uns nicht nur zum
Verständniß jenes ausgezeichneten Mannes, sondern auch der Zeit, welcher er
seiner Denkweise nach angehörte, ein wichtiger Beitrag geliefert.

Eine Dame, die sich nicht nennt, hatte mit ihm in Pyrmont im Jahre 1788
einige glückliche Tage verlebt, und obgleich Beide darauf vollständig getrennt wur¬
den, war doch das Andenken an jene Tage lebendig geblieben. Humboldt hatte
sich verheirathet und war zu den höchsten Staatsämtern emporgestiegen, als ihn im
Jahre 1814 ein Brief seiner alten Freundin an jene Zeit wieder erinnerte. Aeu-
ßere Schicksale veranlaßten sie, sich an ihn um Rath zu wenden; er nahm sich
ihrer mit der größten Herzlichkeit und einer Delicatesse an, wie sie nur feingebil¬
deten Gemüthern eigen ist. Es wurden in Folge dessen noch einige Briefe zwi¬
schen ihnen gewechselt, allein erst im Jahre 1822, als Humboldt aus dem Mini¬
sterium geschieden war, beginnt die eigentliche Korrespondenz, die bis an seinen
Tod (1835) in ununterbrochener Folge und mit der größten Lebhaftigkeit fortge¬
führt wurde. Dieser Briefwechsel, der sich zum Theil freilich auf die äußerlichen
Lebensverhältnisse bezieht, der aber vorzugsweise aus dem Bedürfniß hervorging,
die innere Welt des Herzens einer theilnehmenden Seele mitzutheilen, war keinem
Andern bekannt *), und lange Zeit nach dem Tode ihres Freundes, den sie übri¬
gens seit jenem ersten Zusammentreffen nur Einmal gesehen, hegte jene Dame
seine Briefe als ein süßes Geheimniß, bis sie sich endlich zur Herausgabe ent¬
schloß -- kurze Zeit vor ihrem eigenen Ende, wie wenigstens in der Vorrede an¬
gedeutet wird. Wir können es ihr nur Dank wissen, denn selten hat sich eine
schöne Seele in reiferer Vollendung entfaltet. ' Es ist freilich nur die eine Seite



*) Humboldt sagt in einem dieser Briefe: "Ich bin ein großer Feind von alten Briefen,
und wenn auch gar nichts darinnen steht, was irgend jemanden im mindesten nachtheilig sein
könnte, habe ich das Aufheben nicht gern. Ein Brief ist ein Gespräch unter Abwesenden und
Entfernten. Es ist seine Bestimmung, daß er nicht bleiben, sondern vergehen soll, wie die
Stimme verhallt. Bleiben soll der Eindruck, den er in der Seele hervorbringt, und den dann
der zweite und die folgenden verstärken oder verändern."
Zur Charakteristik Wilhelms v. Humboldt.



In der so eben erschienen Schrift: Briefe von W. v. Humboldt an eine
Freundin. 2 Bde. Leipzig 1847. F. A. Brockhaus, wird uns nicht nur zum
Verständniß jenes ausgezeichneten Mannes, sondern auch der Zeit, welcher er
seiner Denkweise nach angehörte, ein wichtiger Beitrag geliefert.

Eine Dame, die sich nicht nennt, hatte mit ihm in Pyrmont im Jahre 1788
einige glückliche Tage verlebt, und obgleich Beide darauf vollständig getrennt wur¬
den, war doch das Andenken an jene Tage lebendig geblieben. Humboldt hatte
sich verheirathet und war zu den höchsten Staatsämtern emporgestiegen, als ihn im
Jahre 1814 ein Brief seiner alten Freundin an jene Zeit wieder erinnerte. Aeu-
ßere Schicksale veranlaßten sie, sich an ihn um Rath zu wenden; er nahm sich
ihrer mit der größten Herzlichkeit und einer Delicatesse an, wie sie nur feingebil¬
deten Gemüthern eigen ist. Es wurden in Folge dessen noch einige Briefe zwi¬
schen ihnen gewechselt, allein erst im Jahre 1822, als Humboldt aus dem Mini¬
sterium geschieden war, beginnt die eigentliche Korrespondenz, die bis an seinen
Tod (1835) in ununterbrochener Folge und mit der größten Lebhaftigkeit fortge¬
führt wurde. Dieser Briefwechsel, der sich zum Theil freilich auf die äußerlichen
Lebensverhältnisse bezieht, der aber vorzugsweise aus dem Bedürfniß hervorging,
die innere Welt des Herzens einer theilnehmenden Seele mitzutheilen, war keinem
Andern bekannt *), und lange Zeit nach dem Tode ihres Freundes, den sie übri¬
gens seit jenem ersten Zusammentreffen nur Einmal gesehen, hegte jene Dame
seine Briefe als ein süßes Geheimniß, bis sie sich endlich zur Herausgabe ent¬
schloß — kurze Zeit vor ihrem eigenen Ende, wie wenigstens in der Vorrede an¬
gedeutet wird. Wir können es ihr nur Dank wissen, denn selten hat sich eine
schöne Seele in reiferer Vollendung entfaltet. ' Es ist freilich nur die eine Seite



*) Humboldt sagt in einem dieser Briefe: „Ich bin ein großer Feind von alten Briefen,
und wenn auch gar nichts darinnen steht, was irgend jemanden im mindesten nachtheilig sein
könnte, habe ich das Aufheben nicht gern. Ein Brief ist ein Gespräch unter Abwesenden und
Entfernten. Es ist seine Bestimmung, daß er nicht bleiben, sondern vergehen soll, wie die
Stimme verhallt. Bleiben soll der Eindruck, den er in der Seele hervorbringt, und den dann
der zweite und die folgenden verstärken oder verändern."
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[0150] Zur Charakteristik Wilhelms v. Humboldt. In der so eben erschienen Schrift: Briefe von W. v. Humboldt an eine Freundin. 2 Bde. Leipzig 1847. F. A. Brockhaus, wird uns nicht nur zum Verständniß jenes ausgezeichneten Mannes, sondern auch der Zeit, welcher er seiner Denkweise nach angehörte, ein wichtiger Beitrag geliefert. Eine Dame, die sich nicht nennt, hatte mit ihm in Pyrmont im Jahre 1788 einige glückliche Tage verlebt, und obgleich Beide darauf vollständig getrennt wur¬ den, war doch das Andenken an jene Tage lebendig geblieben. Humboldt hatte sich verheirathet und war zu den höchsten Staatsämtern emporgestiegen, als ihn im Jahre 1814 ein Brief seiner alten Freundin an jene Zeit wieder erinnerte. Aeu- ßere Schicksale veranlaßten sie, sich an ihn um Rath zu wenden; er nahm sich ihrer mit der größten Herzlichkeit und einer Delicatesse an, wie sie nur feingebil¬ deten Gemüthern eigen ist. Es wurden in Folge dessen noch einige Briefe zwi¬ schen ihnen gewechselt, allein erst im Jahre 1822, als Humboldt aus dem Mini¬ sterium geschieden war, beginnt die eigentliche Korrespondenz, die bis an seinen Tod (1835) in ununterbrochener Folge und mit der größten Lebhaftigkeit fortge¬ führt wurde. Dieser Briefwechsel, der sich zum Theil freilich auf die äußerlichen Lebensverhältnisse bezieht, der aber vorzugsweise aus dem Bedürfniß hervorging, die innere Welt des Herzens einer theilnehmenden Seele mitzutheilen, war keinem Andern bekannt *), und lange Zeit nach dem Tode ihres Freundes, den sie übri¬ gens seit jenem ersten Zusammentreffen nur Einmal gesehen, hegte jene Dame seine Briefe als ein süßes Geheimniß, bis sie sich endlich zur Herausgabe ent¬ schloß — kurze Zeit vor ihrem eigenen Ende, wie wenigstens in der Vorrede an¬ gedeutet wird. Wir können es ihr nur Dank wissen, denn selten hat sich eine schöne Seele in reiferer Vollendung entfaltet. ' Es ist freilich nur die eine Seite *) Humboldt sagt in einem dieser Briefe: „Ich bin ein großer Feind von alten Briefen, und wenn auch gar nichts darinnen steht, was irgend jemanden im mindesten nachtheilig sein könnte, habe ich das Aufheben nicht gern. Ein Brief ist ein Gespräch unter Abwesenden und Entfernten. Es ist seine Bestimmung, daß er nicht bleiben, sondern vergehen soll, wie die Stimme verhallt. Bleiben soll der Eindruck, den er in der Seele hervorbringt, und den dann der zweite und die folgenden verstärken oder verändern."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/150>, abgerufen am 22.07.2024.