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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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so ist diese Empfindung doch nie sentimental, und hat stets etwas sinniges und
Ursprüngliches, und andererseits ist das Auge der Dichterin heiter und unbefangen
genug, auch das Bekannte durch eine neue, überraschende Wendung zu versinnli-
chen. Ich wähle ein Beispiel, nicht gerade als neuster einer classischen Darstel¬
lung, aber einer naiven Anschauung. "Soll ich einmal ein Bild brauchen, das einer
Frau nahe liegt, so möchte ich sagen, der Mailänder Dom sieht aus wie ein rie¬
siges, überaus zartes Spitzeugcwebe, das die Hand eiues Zaubcrcs Plötzlich zu
Stein verwandelt hätte. Die Zeit hat dem Marmor, ans dem er ganz und gar
erbaut ist, eine leichte, gelblich braune Färbung gegeben, die, wie mich dünkt, sei¬
ner Schönheit zu Statten kommt, weil das ursprüngliche Weiß des Marmors wohl
etwas Kaltes in der Farbe gehabt haben mag. Filogranartig leicht, in schlanken,
zierlichsten Arabesken steigt der schöne Bau empor, an dem jede Statue, jedes
Blättchen mit der Sauberkeit gearbeitet ist, mit der man die zierlichen Basen von
Alabaster gemacht sieht." Solcher niedlichen Einfälle finden sich zahlreich, und
tragen wesentlich dazu bei, den Reiz der Lectüre zu erhöhen. Sehr anerkennens-
werth ist es, daß die Verfasserin überall individualisirt, sich nie aus die allgemeine,
stereotype Beschreibung beschränkt, sondern stets das Zeitliche, Momentane festhält.
Sie besucht z. B. häufig das Theater, und sucht in der Beschreibung des Drama's,
der einzelnen Schauspieler, der einzelnen Aeußerungen des Publikums uns ein
zugleich lebendiges und doch möglichst bleibendes Bild zu verschaffen; wenn sie
die Antiken, die Gemäldegalerien, die Paläste besucht, so schildert sie uns dieselben
durch den Eindruck, die sie auf diese oder jene bestimmte Individualität macheu,
oder durch den Contrast mit der leichtfertig umhcrwogcnden Menge. In dem
Straßengewühl, in der Procession, dem Carneval, heftet sich ihre Aufmerksamkeit
ans einzelne, bestimmte Masken, ans abgesonderte Gruppen, und wir werden stets
mitten in die Scene versetzt, weil wir alles einzelne vor uns haben. Für Details
ist das weibliche Auge immer am schärfste", und das ist bei einem Gegenstand,
dessen Totaleindruck doch schon allgemein bekannt ist, von dem größten Werth. Ihr
künstlerisches Urtheil wird ohne Kennermiene, aber mit liebenswürdiger Unbefan¬
genheit abgegeben; sie sucht nie ihre Eigenthümlichkeit zu verstecken, und drängt
sie doch nie auf. Sie ist liberal, wie es einer Königsbergerin ziemt, und nimmt
lebhaften Antheil an dem, was sie von lebendigen Regungen der Freiheit erfährt,
aber sie macht kein Handwerk aus der Politik. Wie das politische Wesen wird anch
der Eindruck der Antiquitäten localisirt und dadurch in's poetische Gebiet herüber¬
gezogen. Wenn sie sich ihren Empfindungen überläßt, so ist es nie ohne die Bei¬
mischung eines Gedankens, der das Gefühl rechtfertigt. So bei ihren Eintritt in
Rom. "Heiße Thränen stürzten mir aus den Angen. Freude, am ersehnten Ziele
zu sein; Ahnung des Schönen, das mir nun werden müsse; ein Gefühl von Leere,
wie man es empfindet, wenn mit dem Erreichen eines Zieles die Nothwendigkeit
des Strebens aufhört, und eine ganz unsägliche Freude kamen über mich, so daß


so ist diese Empfindung doch nie sentimental, und hat stets etwas sinniges und
Ursprüngliches, und andererseits ist das Auge der Dichterin heiter und unbefangen
genug, auch das Bekannte durch eine neue, überraschende Wendung zu versinnli-
chen. Ich wähle ein Beispiel, nicht gerade als neuster einer classischen Darstel¬
lung, aber einer naiven Anschauung. „Soll ich einmal ein Bild brauchen, das einer
Frau nahe liegt, so möchte ich sagen, der Mailänder Dom sieht aus wie ein rie¬
siges, überaus zartes Spitzeugcwebe, das die Hand eiues Zaubcrcs Plötzlich zu
Stein verwandelt hätte. Die Zeit hat dem Marmor, ans dem er ganz und gar
erbaut ist, eine leichte, gelblich braune Färbung gegeben, die, wie mich dünkt, sei¬
ner Schönheit zu Statten kommt, weil das ursprüngliche Weiß des Marmors wohl
etwas Kaltes in der Farbe gehabt haben mag. Filogranartig leicht, in schlanken,
zierlichsten Arabesken steigt der schöne Bau empor, an dem jede Statue, jedes
Blättchen mit der Sauberkeit gearbeitet ist, mit der man die zierlichen Basen von
Alabaster gemacht sieht." Solcher niedlichen Einfälle finden sich zahlreich, und
tragen wesentlich dazu bei, den Reiz der Lectüre zu erhöhen. Sehr anerkennens-
werth ist es, daß die Verfasserin überall individualisirt, sich nie aus die allgemeine,
stereotype Beschreibung beschränkt, sondern stets das Zeitliche, Momentane festhält.
Sie besucht z. B. häufig das Theater, und sucht in der Beschreibung des Drama's,
der einzelnen Schauspieler, der einzelnen Aeußerungen des Publikums uns ein
zugleich lebendiges und doch möglichst bleibendes Bild zu verschaffen; wenn sie
die Antiken, die Gemäldegalerien, die Paläste besucht, so schildert sie uns dieselben
durch den Eindruck, die sie auf diese oder jene bestimmte Individualität macheu,
oder durch den Contrast mit der leichtfertig umhcrwogcnden Menge. In dem
Straßengewühl, in der Procession, dem Carneval, heftet sich ihre Aufmerksamkeit
ans einzelne, bestimmte Masken, ans abgesonderte Gruppen, und wir werden stets
mitten in die Scene versetzt, weil wir alles einzelne vor uns haben. Für Details
ist das weibliche Auge immer am schärfste», und das ist bei einem Gegenstand,
dessen Totaleindruck doch schon allgemein bekannt ist, von dem größten Werth. Ihr
künstlerisches Urtheil wird ohne Kennermiene, aber mit liebenswürdiger Unbefan¬
genheit abgegeben; sie sucht nie ihre Eigenthümlichkeit zu verstecken, und drängt
sie doch nie auf. Sie ist liberal, wie es einer Königsbergerin ziemt, und nimmt
lebhaften Antheil an dem, was sie von lebendigen Regungen der Freiheit erfährt,
aber sie macht kein Handwerk aus der Politik. Wie das politische Wesen wird anch
der Eindruck der Antiquitäten localisirt und dadurch in's poetische Gebiet herüber¬
gezogen. Wenn sie sich ihren Empfindungen überläßt, so ist es nie ohne die Bei¬
mischung eines Gedankens, der das Gefühl rechtfertigt. So bei ihren Eintritt in
Rom. „Heiße Thränen stürzten mir aus den Angen. Freude, am ersehnten Ziele
zu sein; Ahnung des Schönen, das mir nun werden müsse; ein Gefühl von Leere,
wie man es empfindet, wenn mit dem Erreichen eines Zieles die Nothwendigkeit
des Strebens aufhört, und eine ganz unsägliche Freude kamen über mich, so daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/132>, abgerufen am 12.12.2024.