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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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die tolerante, versöhnliche Auffassung des Touristen nur noch in ein besseres Licht
gestellt wird.

Im Ganzen ist diese Lectüre zumeist für die feine Welt. Der Gelehrte
wird daraus nichts lernen, der Politiker auch nicht viel. Ans der andern Seite
ist dieser sui'jective Neiz der Persönlichkeit, der seit Heine's Reisebildern den Leitton
vieler Schilderungen auszumachen pflegt, hier doch nnr sehr äußerlich gehalten.
Fürst Pückler interessirt als vornehmer, eleganter, gebildeter Mann, der vermöge
seiner Stellung mehr zu sehen bekommt, als Andere, und die Gegenden, die er
schildert, haben wenigstens den Neiz der Neuheit, Eine künstlerische Vollendung
kann man an der Darstellung nicht rühmen; sie ist auch nicht bezweckt, der Rei¬
sende ist eben ein Gentleman, der sich gibt, wie er gerade ist, und in dieser seiner
Unmittelbarkeit gerade am interessantesten wirkt.


3. E. K. Gnitzmann

Es ist hier nicht ein vornehmer Mann, den wir vor uns haben, dem die
höchsten Kreise leicht geöffnet werden, aber ein fleißiger und sorgfältiger Beobach¬
ter. Ein bairischer Arzt, gemüthlich, redselig, der gern seinen Witz macht, wenn
dieser anch mitunter etwas zu sehr nach Bier schmeckt. Die Reichhaltigkeit der
neuen Bilder und Anschauungen, die wir ans den ziemlich unbekannten Ländern
des Ostens empfangen, läßt uns den Mangel an Eleganz in der Form verschmerzen.

Der Reisende beginnt seinen Orient mit Wien, der letzten Stadt der eigentlich
deutschen Bildung, in welcher bereits von allen Seiten die Völker des Ostens sich
zusammendrängen. Obgleich politisch liberal, ist er doch im höchsten Grade em¬
pfänglich für die gemüthlichen Verhältnisse, in denen das Leben des Wieners sich
bewegt, und er erkennt mit Recht in dem Volkstreiben, welches in den heitern
Umgebungen der Kaiserstadt wogt und wühlt, in einer Unbefangenheit und Fülle,
wie man sie im dentschen Norden vergebens suchen würde, einigen Ersatz für die
mangelnde politische Bildung. Der österreichischen Negierung, so wenig er ihr
AbschlicßnngSsystem zu vertheidigen unternimmt, läßt er doch in Rücksicht auf die
Großartigkeit ihrer äußeren Stellung Gerechtigkeit wiederfahren. Der Entwickelung
Polnischer Tendenzen in der jüngern Generation, ihren Hoffnungen und Wünschen,
folgt er mit gespannter Aufmerksamkeit, wem, auch bei seinem kurzen Aufenthalt
ihm vieles Einzelne entgehen muß. Die socialen Verhältnisse, namentlich die freien
Ansichten in Beziehung ans den geschlechtlichen Verkehr, weiß der Münchner besser
zu würdigen, als es einem Norddeutschen möglich sein würde. Natürlich interes-
siren den Arzt unter' den speciellen Einrichtungen vorzugsweise die medicinischen,
und er gibt manche, wenigstens für den Ausländer schätzbare Notizen, obgleich sie
dem Oesterreicher selbst nichts Neues bieten dürften.



*) "Deutsche Brich über den Orient." Stuttgart, 1843. Ä- B. Müller.

die tolerante, versöhnliche Auffassung des Touristen nur noch in ein besseres Licht
gestellt wird.

Im Ganzen ist diese Lectüre zumeist für die feine Welt. Der Gelehrte
wird daraus nichts lernen, der Politiker auch nicht viel. Ans der andern Seite
ist dieser sui'jective Neiz der Persönlichkeit, der seit Heine's Reisebildern den Leitton
vieler Schilderungen auszumachen pflegt, hier doch nnr sehr äußerlich gehalten.
Fürst Pückler interessirt als vornehmer, eleganter, gebildeter Mann, der vermöge
seiner Stellung mehr zu sehen bekommt, als Andere, und die Gegenden, die er
schildert, haben wenigstens den Neiz der Neuheit, Eine künstlerische Vollendung
kann man an der Darstellung nicht rühmen; sie ist auch nicht bezweckt, der Rei¬
sende ist eben ein Gentleman, der sich gibt, wie er gerade ist, und in dieser seiner
Unmittelbarkeit gerade am interessantesten wirkt.


3. E. K. Gnitzmann

Es ist hier nicht ein vornehmer Mann, den wir vor uns haben, dem die
höchsten Kreise leicht geöffnet werden, aber ein fleißiger und sorgfältiger Beobach¬
ter. Ein bairischer Arzt, gemüthlich, redselig, der gern seinen Witz macht, wenn
dieser anch mitunter etwas zu sehr nach Bier schmeckt. Die Reichhaltigkeit der
neuen Bilder und Anschauungen, die wir ans den ziemlich unbekannten Ländern
des Ostens empfangen, läßt uns den Mangel an Eleganz in der Form verschmerzen.

Der Reisende beginnt seinen Orient mit Wien, der letzten Stadt der eigentlich
deutschen Bildung, in welcher bereits von allen Seiten die Völker des Ostens sich
zusammendrängen. Obgleich politisch liberal, ist er doch im höchsten Grade em¬
pfänglich für die gemüthlichen Verhältnisse, in denen das Leben des Wieners sich
bewegt, und er erkennt mit Recht in dem Volkstreiben, welches in den heitern
Umgebungen der Kaiserstadt wogt und wühlt, in einer Unbefangenheit und Fülle,
wie man sie im dentschen Norden vergebens suchen würde, einigen Ersatz für die
mangelnde politische Bildung. Der österreichischen Negierung, so wenig er ihr
AbschlicßnngSsystem zu vertheidigen unternimmt, läßt er doch in Rücksicht auf die
Großartigkeit ihrer äußeren Stellung Gerechtigkeit wiederfahren. Der Entwickelung
Polnischer Tendenzen in der jüngern Generation, ihren Hoffnungen und Wünschen,
folgt er mit gespannter Aufmerksamkeit, wem, auch bei seinem kurzen Aufenthalt
ihm vieles Einzelne entgehen muß. Die socialen Verhältnisse, namentlich die freien
Ansichten in Beziehung ans den geschlechtlichen Verkehr, weiß der Münchner besser
zu würdigen, als es einem Norddeutschen möglich sein würde. Natürlich interes-
siren den Arzt unter' den speciellen Einrichtungen vorzugsweise die medicinischen,
und er gibt manche, wenigstens für den Ausländer schätzbare Notizen, obgleich sie
dem Oesterreicher selbst nichts Neues bieten dürften.



*) „Deutsche Brich über den Orient." Stuttgart, 1843. Ä- B. Müller.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/127>, abgerufen am 22.07.2024.