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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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iisdem oder auch wohl des Modcrado und Progrcssistcn versteckt, wenn in dem
Hose der "unschuldige,," Jsabella der chevalcreske Sinn einer -- Katharina II. sich
selbst mit dem leichten Schleier der gewöhnlichen Convenienz zu umhüllen ver-^
schmäht -- so stört das alles das Auge eines ruhigen Beobachters nicht, dessen
Glaube an das Gute und Vernünftige nicht an einem festen, unwandelbaren Ideal
haftet, sondern der auch in den verworrenen Regungen des concreten, mtürlicheu
Lebens die leise Stimme des Geistes zu vernehmen weiß.

Ein solcher Beobachter ist unser Reisende. Er überläßt sich unbedingt den
wechselnden, unmittelbaren Eindrücken, die ihm begegnen; er interessirt sich für
die Stiergefechte und die populären Scenen der Maulthiertreiber und der Wirths¬
häuser eben so, wie für deu aristokratischen Genuß der Reminiscenz, die Mnrillos
und die Colvnadcn arabischer Architectur; er läßt sich von der Politik erzählen,
was man ihm gerade sagt, ohne ängstlich nachzuforschen, er macht Beobachtungen
über das Wetter und die zierlichen Füße der Tochter Andalusiens; er folgt dem
Hofe in seinen Festlichkeiten, dem Volke in seine lustigen Schmaußereien, er be¬
sucht fleißig das Theater, wie den Markt; er ist zu Hause in deu Schenken und
den Museen. Ueberall hören wir das Urtheil eines feingebildeten Kenners, über¬
all wird es uns in der feinen, anmuthigen Form eines künstlerisch vollendeten
Styls vorgetragen.

Eins nnr habe ich vermißt, was freilich durch die freie, rcceptive Stellung
des blos genießenden Wanderers bedingt wird: die Tendenz, wenn ich mich so aus¬
drücken darf. Wenn ?er Reisende in unserem Auftrag seinen Weg gemacht hätte,
so würde er seine Aufmerksamkeit auf manches Andere gewendet haben. Für uns
sind nämlich bis dahin die politischen Parteien, die Spanien bald beherrschen, bald
daraus vertrieben werden, wenig mehr als bloße Namen. Wenn wir in England
von Whigs, Tones, Radicalen, Chartisten u. s. w. hören, so wissen wir genau,
was wir uns darunter zu denken haben; eben so in Frankreich, in der Schweiz.
In Spanien aber kennen wir wohl die politische Tendenz der Parteien im Allge¬
meinen, aber von ihrer Zusammensetzung, ihren materiellen Grundlage,,, ihrer in¬
nern Organisation wisse" wir so gut wie gar nichts. Wo haben z. B. die Mvde-
rados ihre eigentliche Macht? Wo haben sie ihre großen Mittel her? Wie ist
ihr Einfluß auf das Militär zu erklären? ist es der alte Adel? der höhere Bürger-
stand? das Alles sind Fragen, über die wir auch in Nochan vergebens nach Auf¬
schlüssen suchen.

Für denjenigen also, der einen wesentlichen Beitrag zum Verständniß der
neuern Politik erwartet, send diese Briefe uicht geschrieben. Wer aber Sinn hat
für ein anschauliches, lebendiges Gemälde der bunten Zustände einer unserer Civi¬
lisation angehörenden und uns doch so fremden Welt, dem wird dieses Buch ein
reicher Genuß sein.


iisdem oder auch wohl des Modcrado und Progrcssistcn versteckt, wenn in dem
Hose der „unschuldige,," Jsabella der chevalcreske Sinn einer — Katharina II. sich
selbst mit dem leichten Schleier der gewöhnlichen Convenienz zu umhüllen ver-^
schmäht — so stört das alles das Auge eines ruhigen Beobachters nicht, dessen
Glaube an das Gute und Vernünftige nicht an einem festen, unwandelbaren Ideal
haftet, sondern der auch in den verworrenen Regungen des concreten, mtürlicheu
Lebens die leise Stimme des Geistes zu vernehmen weiß.

Ein solcher Beobachter ist unser Reisende. Er überläßt sich unbedingt den
wechselnden, unmittelbaren Eindrücken, die ihm begegnen; er interessirt sich für
die Stiergefechte und die populären Scenen der Maulthiertreiber und der Wirths¬
häuser eben so, wie für deu aristokratischen Genuß der Reminiscenz, die Mnrillos
und die Colvnadcn arabischer Architectur; er läßt sich von der Politik erzählen,
was man ihm gerade sagt, ohne ängstlich nachzuforschen, er macht Beobachtungen
über das Wetter und die zierlichen Füße der Tochter Andalusiens; er folgt dem
Hofe in seinen Festlichkeiten, dem Volke in seine lustigen Schmaußereien, er be¬
sucht fleißig das Theater, wie den Markt; er ist zu Hause in deu Schenken und
den Museen. Ueberall hören wir das Urtheil eines feingebildeten Kenners, über¬
all wird es uns in der feinen, anmuthigen Form eines künstlerisch vollendeten
Styls vorgetragen.

Eins nnr habe ich vermißt, was freilich durch die freie, rcceptive Stellung
des blos genießenden Wanderers bedingt wird: die Tendenz, wenn ich mich so aus¬
drücken darf. Wenn ?er Reisende in unserem Auftrag seinen Weg gemacht hätte,
so würde er seine Aufmerksamkeit auf manches Andere gewendet haben. Für uns
sind nämlich bis dahin die politischen Parteien, die Spanien bald beherrschen, bald
daraus vertrieben werden, wenig mehr als bloße Namen. Wenn wir in England
von Whigs, Tones, Radicalen, Chartisten u. s. w. hören, so wissen wir genau,
was wir uns darunter zu denken haben; eben so in Frankreich, in der Schweiz.
In Spanien aber kennen wir wohl die politische Tendenz der Parteien im Allge¬
meinen, aber von ihrer Zusammensetzung, ihren materiellen Grundlage,,, ihrer in¬
nern Organisation wisse» wir so gut wie gar nichts. Wo haben z. B. die Mvde-
rados ihre eigentliche Macht? Wo haben sie ihre großen Mittel her? Wie ist
ihr Einfluß auf das Militär zu erklären? ist es der alte Adel? der höhere Bürger-
stand? das Alles sind Fragen, über die wir auch in Nochan vergebens nach Auf¬
schlüssen suchen.

Für denjenigen also, der einen wesentlichen Beitrag zum Verständniß der
neuern Politik erwartet, send diese Briefe uicht geschrieben. Wer aber Sinn hat
für ein anschauliches, lebendiges Gemälde der bunten Zustände einer unserer Civi¬
lisation angehörenden und uns doch so fremden Welt, dem wird dieses Buch ein
reicher Genuß sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/125>, abgerufen am 24.08.2024.