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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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Briefe aus dem Jahre 1845 gesammelt, die zum Theil in der Allgemeinen
Zeitung, zum Theil in der Kölnischen abgedruckt waren. Der Verfasser hat sich
durch die Verfolgungen, denen ihn seine politische Ansicht ausgeseift hat, einen
gewissen Namen gemacht, diesen lehrt er aber in dem vorliegenden Werke nicht
heraus, er ist hier uur der gebildete Mann, voll von warmem Interesse für alles
Schöne und alles Lebendige.

Die Briefe beginnen in Lyon, es folgt Avignon, Vaucluse, Perpignan; in
Spanien geht es die bekannte Tour von Barcelona ans entlang der Küste bis nach
Granada und Cadix, von da ins Binnenland nach Madrid, wo der Reisende sich
mehrere Monate aufhält, von da über die Baskischen Provinzen zurück.

In keinem Lande auf der Welt lassen sich die beiden Reise-Tendenzen, die
ich vorhin anführte, so natürlich vereinigen, wie in Spanien; mau mag wollen
oder nicht, so leuchten noch aus alleil Säulenhallen der Alhambra die Bilder der
alten phantastischen Vorzeit, die Abenceragen und Zegri's entgegen; noch immer
strahlt aus den düstern Köpfen Zurbarans der alte Fanatismus, der die Inquisi¬
tion nicht weniger hervorbrachte als die Gluth der Calderon'scheu Poesie; noch
immer erinnert selbst die Tracht der Maulthiertreiber, ihre Sitten und ihre Re¬
densarten an das classische Zeitalter Spaniens, das die gravitätisch-groteske Figur
des Ritters von der traurigen Gestalt auch bei uns populär gemacht hat. Das
Mittelalter hat sein Gepräge ans jeden Stein gedrückt. Noch immer weidet sich
der unbarmherzige Blick der spanischen Schönen an dem blutigen Schauspiel der
Stiergefechte, uoch immer verbirgt sich hinter der alt nationalen -- wenn auch
jetzt in Paris verfertigten Mautilla der alte Jntrigueugeist, der das Genre der
Stücke ^"z c-^ur ^ o"n-nu>, hervorgebracht. Und doch, wie reges sich so frisch und
frühlingsartig unter diesen steinernen Arabesken, wie dringt der Geist des jungen
Europa so mächtig wuchernd aus diesen Ruinen heraus! Unter den Schneegipfell
der Nevada sammelt sich das Volk, nicht zu einem Kreuzig gegen die Ungläl-
bige", sondern zu einem Sturm ans die Klöster, zu einem Marsch in die. Haipt-
stadt, um dort ihre. Freiheitsideale zu realisiren; die flüchtigen Gestalten, die im
Schatten der Nacht die Pyrenäenpässe aufsuchen, es sind auch noch Abends"ner
wie weiland die irrenden Ritter, aber ihre Dulcinea ist kein mittclalteriches
Götzenbild, es ist die. Göttin der Freiheit, verkündigt von den Philosoph" der
Aufklärung, empfangen uuter den Wehen der französischen Revolution, gerenzigt
unter der eisernen Herrschaft des corsischcn Helden, begraben uuter den gweihteu
Standarten der heiligen Allianz, wiederaufcrstauden von den Todten indem ju¬
gendlich gewaltigen Glauben, der gegenwärtig die Herzen der Völker dlrchglüht.
Und wenn es noch etwas spukhaft verworren aussieht in diesem JneinaVergreifen
der Gegenwart und der Romantik, wenn man die Träume der Vorzei'uoch nicht
recht zu unterscheiden weiß von den Gesichten der Zukunft, wenn sichre traditio¬
nelle Figur des Schmugglers noch oft genug unter der modernen Mke des Kar-


Briefe aus dem Jahre 1845 gesammelt, die zum Theil in der Allgemeinen
Zeitung, zum Theil in der Kölnischen abgedruckt waren. Der Verfasser hat sich
durch die Verfolgungen, denen ihn seine politische Ansicht ausgeseift hat, einen
gewissen Namen gemacht, diesen lehrt er aber in dem vorliegenden Werke nicht
heraus, er ist hier uur der gebildete Mann, voll von warmem Interesse für alles
Schöne und alles Lebendige.

Die Briefe beginnen in Lyon, es folgt Avignon, Vaucluse, Perpignan; in
Spanien geht es die bekannte Tour von Barcelona ans entlang der Küste bis nach
Granada und Cadix, von da ins Binnenland nach Madrid, wo der Reisende sich
mehrere Monate aufhält, von da über die Baskischen Provinzen zurück.

In keinem Lande auf der Welt lassen sich die beiden Reise-Tendenzen, die
ich vorhin anführte, so natürlich vereinigen, wie in Spanien; mau mag wollen
oder nicht, so leuchten noch aus alleil Säulenhallen der Alhambra die Bilder der
alten phantastischen Vorzeit, die Abenceragen und Zegri's entgegen; noch immer
strahlt aus den düstern Köpfen Zurbarans der alte Fanatismus, der die Inquisi¬
tion nicht weniger hervorbrachte als die Gluth der Calderon'scheu Poesie; noch
immer erinnert selbst die Tracht der Maulthiertreiber, ihre Sitten und ihre Re¬
densarten an das classische Zeitalter Spaniens, das die gravitätisch-groteske Figur
des Ritters von der traurigen Gestalt auch bei uns populär gemacht hat. Das
Mittelalter hat sein Gepräge ans jeden Stein gedrückt. Noch immer weidet sich
der unbarmherzige Blick der spanischen Schönen an dem blutigen Schauspiel der
Stiergefechte, uoch immer verbirgt sich hinter der alt nationalen — wenn auch
jetzt in Paris verfertigten Mautilla der alte Jntrigueugeist, der das Genre der
Stücke ^«z c-^ur ^ o«n-nu>, hervorgebracht. Und doch, wie reges sich so frisch und
frühlingsartig unter diesen steinernen Arabesken, wie dringt der Geist des jungen
Europa so mächtig wuchernd aus diesen Ruinen heraus! Unter den Schneegipfell
der Nevada sammelt sich das Volk, nicht zu einem Kreuzig gegen die Ungläl-
bige», sondern zu einem Sturm ans die Klöster, zu einem Marsch in die. Haipt-
stadt, um dort ihre. Freiheitsideale zu realisiren; die flüchtigen Gestalten, die im
Schatten der Nacht die Pyrenäenpässe aufsuchen, es sind auch noch Abends«ner
wie weiland die irrenden Ritter, aber ihre Dulcinea ist kein mittclalteriches
Götzenbild, es ist die. Göttin der Freiheit, verkündigt von den Philosoph» der
Aufklärung, empfangen uuter den Wehen der französischen Revolution, gerenzigt
unter der eisernen Herrschaft des corsischcn Helden, begraben uuter den gweihteu
Standarten der heiligen Allianz, wiederaufcrstauden von den Todten indem ju¬
gendlich gewaltigen Glauben, der gegenwärtig die Herzen der Völker dlrchglüht.
Und wenn es noch etwas spukhaft verworren aussieht in diesem JneinaVergreifen
der Gegenwart und der Romantik, wenn man die Träume der Vorzei'uoch nicht
recht zu unterscheiden weiß von den Gesichten der Zukunft, wenn sichre traditio¬
nelle Figur des Schmugglers noch oft genug unter der modernen Mke des Kar-


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[0124] Briefe aus dem Jahre 1845 gesammelt, die zum Theil in der Allgemeinen Zeitung, zum Theil in der Kölnischen abgedruckt waren. Der Verfasser hat sich durch die Verfolgungen, denen ihn seine politische Ansicht ausgeseift hat, einen gewissen Namen gemacht, diesen lehrt er aber in dem vorliegenden Werke nicht heraus, er ist hier uur der gebildete Mann, voll von warmem Interesse für alles Schöne und alles Lebendige. Die Briefe beginnen in Lyon, es folgt Avignon, Vaucluse, Perpignan; in Spanien geht es die bekannte Tour von Barcelona ans entlang der Küste bis nach Granada und Cadix, von da ins Binnenland nach Madrid, wo der Reisende sich mehrere Monate aufhält, von da über die Baskischen Provinzen zurück. In keinem Lande auf der Welt lassen sich die beiden Reise-Tendenzen, die ich vorhin anführte, so natürlich vereinigen, wie in Spanien; mau mag wollen oder nicht, so leuchten noch aus alleil Säulenhallen der Alhambra die Bilder der alten phantastischen Vorzeit, die Abenceragen und Zegri's entgegen; noch immer strahlt aus den düstern Köpfen Zurbarans der alte Fanatismus, der die Inquisi¬ tion nicht weniger hervorbrachte als die Gluth der Calderon'scheu Poesie; noch immer erinnert selbst die Tracht der Maulthiertreiber, ihre Sitten und ihre Re¬ densarten an das classische Zeitalter Spaniens, das die gravitätisch-groteske Figur des Ritters von der traurigen Gestalt auch bei uns populär gemacht hat. Das Mittelalter hat sein Gepräge ans jeden Stein gedrückt. Noch immer weidet sich der unbarmherzige Blick der spanischen Schönen an dem blutigen Schauspiel der Stiergefechte, uoch immer verbirgt sich hinter der alt nationalen — wenn auch jetzt in Paris verfertigten Mautilla der alte Jntrigueugeist, der das Genre der Stücke ^«z c-^ur ^ o«n-nu>, hervorgebracht. Und doch, wie reges sich so frisch und frühlingsartig unter diesen steinernen Arabesken, wie dringt der Geist des jungen Europa so mächtig wuchernd aus diesen Ruinen heraus! Unter den Schneegipfell der Nevada sammelt sich das Volk, nicht zu einem Kreuzig gegen die Ungläl- bige», sondern zu einem Sturm ans die Klöster, zu einem Marsch in die. Haipt- stadt, um dort ihre. Freiheitsideale zu realisiren; die flüchtigen Gestalten, die im Schatten der Nacht die Pyrenäenpässe aufsuchen, es sind auch noch Abends«ner wie weiland die irrenden Ritter, aber ihre Dulcinea ist kein mittclalteriches Götzenbild, es ist die. Göttin der Freiheit, verkündigt von den Philosoph» der Aufklärung, empfangen uuter den Wehen der französischen Revolution, gerenzigt unter der eisernen Herrschaft des corsischcn Helden, begraben uuter den gweihteu Standarten der heiligen Allianz, wiederaufcrstauden von den Todten indem ju¬ gendlich gewaltigen Glauben, der gegenwärtig die Herzen der Völker dlrchglüht. Und wenn es noch etwas spukhaft verworren aussieht in diesem JneinaVergreifen der Gegenwart und der Romantik, wenn man die Träume der Vorzei'uoch nicht recht zu unterscheiden weiß von den Gesichten der Zukunft, wenn sichre traditio¬ nelle Figur des Schmugglers noch oft genug unter der modernen Mke des Kar-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/124>, abgerufen am 22.07.2024.