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Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band.

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zu gewinnen. Dörfer werden verlassen, um nicht mit Reisenden zusammen zu
kommen, und die Gastwirthe schließen ihre Häuser, um mit Niemanden in Berüh-
rung zu kommen.

Die türkische" Behörden ergreifen in der Regel gar keine Maßregeln zum
Schutz gegen die Pest; die Erben der Verstorbenen eilen ihre oft gar nicht ge¬
reinigten Kleider anzuziehen, und Pestkrauke bleibe" oft nach ihrem Tode lange
in den Häusern liegen. Die Todten werden nicht tiefer als gewöhnlich begraben,
und die Todtenhöfe verbreiten zur Pestzeit einen fürchterlichen Geruch. Die Chri¬
sten siud vorsichtiger, daher sie auch gewöhnlich mehr verschont bleiben; übrigens
wird das Alter wie die Jugend und das männliche wie das weibliche Geschlecht
uicht verschont, so daß man in diesen Beziehungen keinen Unterschied hat bemer¬
ken können.

Es ist sehr schwer in einer volkreichen Stadt jede Berührung mit dein Volke
zu vermeiden, und die größte Vorsicht scheitert an der Unachtsamkeit der Diener¬
schaft, die in den engen Straßen leicht an die weiten fliegenden Gewänder der
Orientalen anstreift und sich ansteckt. Man muß sich nie auf einen Teppich setzen
und selbst auf den Boden nur, wenn mau Wachstuch unterlegt. Mäntel von
Wachstuch tragen die Aerzte, aber sie schützen nicht immer vor Berührung.

Glas, Porzellan, Haare und Holz werden nicht für Pest fangend augesehen,
doch ist das Holz auch nicht ganz sicher; für vcrdachtlos werden gehalten: alle
Flüssigkeiten, Wein, Oel, Seefische und getrocknetes Fleisch, frisches und getrock¬
netes Obst, Getreide, Mehl, Gemüse, Kräuter, Gewürze, Harze, Metalle, Edel¬
steine, Alkalien und Asche.

Die letzte große Pest in der europäischen Türkei fand Statt im Jahre 1837
und soll gegen 109,000 Seelen weggerafft haben; die letzte Pest in der Moldau
und Walachei fand nach dem Feldzuge der Russen im Jahre 1829 Statt.

Die sichern Kennzeichen der Pest siud folgende: Gewöhnlich sängt sie mit
heftigem Frost an, verbunden mit Zittern, so daß man wie ein Betrunkener ein-
hergeht; darauf folgt Hitze, bei welcher der Körper trocken, die Gliedmaßen aber
feucht sind. Damit sind verbunden Kopfschmerzen, Schwindel, Anfgetriebenheit
und die obenerwähnte Entstellung des Gesichts, Blässe, gelbe oder schwarzrothe
Gesichtsfarbe, matte oder starrglänzende, an den innern Winkeln rothe Augen,
eine heiße, weiße, schwarze Zunge, unersättlicher Durst, übelriechender Athem,
Herzklopfen, Aufgetriebeuheit des Unterleibes, Uebelkeit, Erbrechen, Angst und
Unruhe oder gänzliche Niedergeschlagenheit, endlich eine durchgängige Mattigkeit.
Dabei siudeu sich Blutflüsse ein, ans der Nase, dem Munde, dem Stuhl¬
gang u. s. w., auch heftige Diarrhöe. Dabei werden die Kopfschmerzen oft so
heftig, daß besonders im Sommer die Kranken toben und rasen und sich bisweilen
zum Fenster hinaus oder in's Wasser stürzen. Nach heftigen Schmerzen unter der
Haut entstehen die ersten erbsengroßen Allsätze der Pestbeulen und später Karfunkeln


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zu gewinnen. Dörfer werden verlassen, um nicht mit Reisenden zusammen zu
kommen, und die Gastwirthe schließen ihre Häuser, um mit Niemanden in Berüh-
rung zu kommen.

Die türkische» Behörden ergreifen in der Regel gar keine Maßregeln zum
Schutz gegen die Pest; die Erben der Verstorbenen eilen ihre oft gar nicht ge¬
reinigten Kleider anzuziehen, und Pestkrauke bleibe« oft nach ihrem Tode lange
in den Häusern liegen. Die Todten werden nicht tiefer als gewöhnlich begraben,
und die Todtenhöfe verbreiten zur Pestzeit einen fürchterlichen Geruch. Die Chri¬
sten siud vorsichtiger, daher sie auch gewöhnlich mehr verschont bleiben; übrigens
wird das Alter wie die Jugend und das männliche wie das weibliche Geschlecht
uicht verschont, so daß man in diesen Beziehungen keinen Unterschied hat bemer¬
ken können.

Es ist sehr schwer in einer volkreichen Stadt jede Berührung mit dein Volke
zu vermeiden, und die größte Vorsicht scheitert an der Unachtsamkeit der Diener¬
schaft, die in den engen Straßen leicht an die weiten fliegenden Gewänder der
Orientalen anstreift und sich ansteckt. Man muß sich nie auf einen Teppich setzen
und selbst auf den Boden nur, wenn mau Wachstuch unterlegt. Mäntel von
Wachstuch tragen die Aerzte, aber sie schützen nicht immer vor Berührung.

Glas, Porzellan, Haare und Holz werden nicht für Pest fangend augesehen,
doch ist das Holz auch nicht ganz sicher; für vcrdachtlos werden gehalten: alle
Flüssigkeiten, Wein, Oel, Seefische und getrocknetes Fleisch, frisches und getrock¬
netes Obst, Getreide, Mehl, Gemüse, Kräuter, Gewürze, Harze, Metalle, Edel¬
steine, Alkalien und Asche.

Die letzte große Pest in der europäischen Türkei fand Statt im Jahre 1837
und soll gegen 109,000 Seelen weggerafft haben; die letzte Pest in der Moldau
und Walachei fand nach dem Feldzuge der Russen im Jahre 1829 Statt.

Die sichern Kennzeichen der Pest siud folgende: Gewöhnlich sängt sie mit
heftigem Frost an, verbunden mit Zittern, so daß man wie ein Betrunkener ein-
hergeht; darauf folgt Hitze, bei welcher der Körper trocken, die Gliedmaßen aber
feucht sind. Damit sind verbunden Kopfschmerzen, Schwindel, Anfgetriebenheit
und die obenerwähnte Entstellung des Gesichts, Blässe, gelbe oder schwarzrothe
Gesichtsfarbe, matte oder starrglänzende, an den innern Winkeln rothe Augen,
eine heiße, weiße, schwarze Zunge, unersättlicher Durst, übelriechender Athem,
Herzklopfen, Aufgetriebeuheit des Unterleibes, Uebelkeit, Erbrechen, Angst und
Unruhe oder gänzliche Niedergeschlagenheit, endlich eine durchgängige Mattigkeit.
Dabei siudeu sich Blutflüsse ein, ans der Nase, dem Munde, dem Stuhl¬
gang u. s. w., auch heftige Diarrhöe. Dabei werden die Kopfschmerzen oft so
heftig, daß besonders im Sommer die Kranken toben und rasen und sich bisweilen
zum Fenster hinaus oder in's Wasser stürzen. Nach heftigen Schmerzen unter der
Haut entstehen die ersten erbsengroßen Allsätze der Pestbeulen und später Karfunkeln


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 6, 1847, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341559_184763/11>, abgerufen am 22.07.2024.