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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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ist um so gespannter, als der Stoff diesmal ein acht deutscher und für
dramatische und lyrische Situationen höchst geeigneter ist.

-- Die Frau von Meyendorf, die in Cöln der romantische Mittel¬
punkt einer zu Gunsten ihrer Nebenbuhlerin entführten Chatoulle wurde,
ist eine in Paris ansässige, nicht unvortheilhaft bekannte Malerin, die
sogar zur deutschen Poesie in einiger Beziehung steht, wenn auch nur
dadurch, daß Herwegh in einem und demselben Hause mit ihr wohnt
(i'iis Lili-I)") oder richtiger gesagt ihr Miethsmann ist, da Frau von
Meyendorf jenes Haus als Eigenthum besitzt und sich damit beschäftigt,
es von unten bis oben mit den Erzeugnissen ihrer eigenen Palette aus¬
zuschmücken. Alle diese kleine Nuancen sind für den Romandichter, der
diese abentheuerliche Chatoullengeschichte zum Stoff wählt, unbezahlbar. Denn
voraussichtlich werden sich unsere in ewigen Stossnöthen seufzende Novelli¬
sten zweiten und dritten Ranges diesen fetten Bissen nicht entgehen lassen.
Gräfinnen, Baroninnen, Assessoren und Doctoren, Banquiers, Steckbriefe,
ein berühmter Musiker aus Mißverständniß verhaftet, Assisen, Chatoullen,
und dies Alles in Deutschland in dem polizeigehüleren, ehrlichen Deutsch¬
land! Welch ein fetter Bissen! Wer weiß, wie viele deutsche Verleger
ihren Leib-Romanschreibern bereits Vorschüsse gemacht haben, welche
die Summe, die in jener verhängnißvollen Ehatoulle sich befanden, über¬
steigen. Die verhängnißvolle Chatoulle! pinKIen -- gar kein übler Titel!

-- Louis Philipp schätzt selbst seine Lebenszeit auf nur noch sieben Jahre.
Bei Gelegenheit der Heirath des Herzogs von Montpensier hat der Kö¬
nig über zweihundert Sträflingen theils die Strafen vollkommen erlassen,
theils dieselben erleichtert. Auch die Gefährten des Quenissets wegen
Mitbetheiligung an dem Attentat gegen Louis Philipp zum Tode und
im Gnadenweg zu Deportation und ewigem Kerker verurtheilt wur¬
den, haben eine Milderung ihres Urtheils erhalten, indem man die
Strafe zu ewigen Kerker, auf sieben Jahre einfaches Gefängniß herabgesetzt
hat. Sie gänzlich frei zu lassen, schien bei der fortdauernden Attentat¬
wuth gegen Louis Philipp gefährlich; aber nach sieben Jahren, denkt
wohl der greise Monarch, sind Attentate auf mein Leben überflüssig.

-- Während mit Kühne's "Europa" der Kritik der schönen Literatur
ein neues Organ gewonnen ist, verlautet aus Stuttgart die Nachricht,
daß Menzel nach Preußen übersiedeln und das Literaturblatt aufhören
werde. Die Eotta'sche Buchhandlung soll aus Rücksicht für den lang¬
jährigen Redacteur in der letzten Zeit mit ansehnlichen Opfern den Fort¬
bestand des Literaturblattes erhalten haben, eine Ehrenhaftigkeit, die nicht
alltäglich ist. Räthselhaft scheint es jedoch, warum mit dem Abgang
des Herrn Menzel auch das Eingehen des Literaturblattes verbunden sein
soll. Wir besitzen ohnehin an kritischen Blattern gegenwärtig nur
eine kleine Zahl -- warum soll auch noch diese einen Abbruch erleiden?
Ist Wolfgang Menzel unersetzlich?




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Lkuranda.
Druck von Friedrich Andrä.

ist um so gespannter, als der Stoff diesmal ein acht deutscher und für
dramatische und lyrische Situationen höchst geeigneter ist.

— Die Frau von Meyendorf, die in Cöln der romantische Mittel¬
punkt einer zu Gunsten ihrer Nebenbuhlerin entführten Chatoulle wurde,
ist eine in Paris ansässige, nicht unvortheilhaft bekannte Malerin, die
sogar zur deutschen Poesie in einiger Beziehung steht, wenn auch nur
dadurch, daß Herwegh in einem und demselben Hause mit ihr wohnt
(i'iis Lili-I)«) oder richtiger gesagt ihr Miethsmann ist, da Frau von
Meyendorf jenes Haus als Eigenthum besitzt und sich damit beschäftigt,
es von unten bis oben mit den Erzeugnissen ihrer eigenen Palette aus¬
zuschmücken. Alle diese kleine Nuancen sind für den Romandichter, der
diese abentheuerliche Chatoullengeschichte zum Stoff wählt, unbezahlbar. Denn
voraussichtlich werden sich unsere in ewigen Stossnöthen seufzende Novelli¬
sten zweiten und dritten Ranges diesen fetten Bissen nicht entgehen lassen.
Gräfinnen, Baroninnen, Assessoren und Doctoren, Banquiers, Steckbriefe,
ein berühmter Musiker aus Mißverständniß verhaftet, Assisen, Chatoullen,
und dies Alles in Deutschland in dem polizeigehüleren, ehrlichen Deutsch¬
land! Welch ein fetter Bissen! Wer weiß, wie viele deutsche Verleger
ihren Leib-Romanschreibern bereits Vorschüsse gemacht haben, welche
die Summe, die in jener verhängnißvollen Ehatoulle sich befanden, über¬
steigen. Die verhängnißvolle Chatoulle! pinKIen — gar kein übler Titel!

— Louis Philipp schätzt selbst seine Lebenszeit auf nur noch sieben Jahre.
Bei Gelegenheit der Heirath des Herzogs von Montpensier hat der Kö¬
nig über zweihundert Sträflingen theils die Strafen vollkommen erlassen,
theils dieselben erleichtert. Auch die Gefährten des Quenissets wegen
Mitbetheiligung an dem Attentat gegen Louis Philipp zum Tode und
im Gnadenweg zu Deportation und ewigem Kerker verurtheilt wur¬
den, haben eine Milderung ihres Urtheils erhalten, indem man die
Strafe zu ewigen Kerker, auf sieben Jahre einfaches Gefängniß herabgesetzt
hat. Sie gänzlich frei zu lassen, schien bei der fortdauernden Attentat¬
wuth gegen Louis Philipp gefährlich; aber nach sieben Jahren, denkt
wohl der greise Monarch, sind Attentate auf mein Leben überflüssig.

— Während mit Kühne's „Europa" der Kritik der schönen Literatur
ein neues Organ gewonnen ist, verlautet aus Stuttgart die Nachricht,
daß Menzel nach Preußen übersiedeln und das Literaturblatt aufhören
werde. Die Eotta'sche Buchhandlung soll aus Rücksicht für den lang¬
jährigen Redacteur in der letzten Zeit mit ansehnlichen Opfern den Fort¬
bestand des Literaturblattes erhalten haben, eine Ehrenhaftigkeit, die nicht
alltäglich ist. Räthselhaft scheint es jedoch, warum mit dem Abgang
des Herrn Menzel auch das Eingehen des Literaturblattes verbunden sein
soll. Wir besitzen ohnehin an kritischen Blattern gegenwärtig nur
eine kleine Zahl — warum soll auch noch diese einen Abbruch erleiden?
Ist Wolfgang Menzel unersetzlich?




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Lkuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/88>, abgerufen am 26.08.2024.