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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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und charaktervoller Männer zahlt -- aber für ihre Sitzungen und Be¬
schlüsse hatte der Bürgerstand bisher keinen Sinn.

Und wie sollte es auch anders sein, da er in ihrer Mitte nicht vertreten
und durch den Mangel an jeder Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen
auch nicht zum allgemein patriotischen Interesse für die Vertreter des
Grundbesitzes sich angeregt fühlte, und auch nicht die Einsicht erhielt,
ob nicht blos engherzige und egoistische Standesinteressen im Schooße
der aristokratischen Sitzungen verhandelt werden. Das Actenstück, welches
die Grenzboten mitgetheilt haben, hat in dieser Beziehung ein freudiges
Erstaunen erweckt. Man lernte im Allgemeinen daraus kennen, daß der
Gesichtspunkt der niederösterreichischen Standeschast ein weiterer und freierer
ist, und wenn der Mittelstand auch noch nicht absieht, was ihm für
Vortheil durch die Wiederbelebung der alten ständischen Rechte, die doch
durchaus aristokratischer Natur sind, erwachsen soll, so fühlt er doch in
halbem Bewußtsein, daß die ständischen Kräfte ohne Herbeiziehung der
bürgerlichen Besitzer, des Handels- und Gewerbestandes, auf die Lange
erlahmen müssen und daß die landständische Vertretung, wenn sie eine
Wahrheit werden soll, sich allmälig von selbst auf weitere Kreise aus¬
dehnen muß. Der Verfasser jener merkwürdigen Denkschrift ist der
Baron von Doblhoss, eine der bedeutendsteiijund kenntnißreichsten Indivi¬
dualitäten unserer Stadt, und die Stande haben ihm einstimmig eine
Dankadresse dafür police und ihm dieselbe durch das Verordneten-Collegium
zugestellt.

In unsern literarischen Kreisen hat eine Eorrespondenz der Allgem.
Zeitung, in welcher gemeldet wurde, daß der Redacteur der Grenzboten
seit seiner Ausweisung aus Berlin sich hier in Wien befindet, viel Lachen
erregt. Der gute Correspondent schrieb seine Nachricht mit solcher Sicher¬
heit hin, daß er mit vornehmer Bestimmtheit versicherte, Ihrem hiesigen
Aufenthalte und Ihrer Abreise stände nicht das Mindeste entgegen *).
Da dieser so ungeheuer gut unterrichtete Mann sich das Ansehen gibt,
tief in die Geheimnisse unserer Behörden eingeweiht zu sein, so möchten
wir ihn bitten, ein gutes Wort wenigstens für die Grenzboten einzulegen,
gegen die hier in letzterer Zeit mit verdoppelter Strenge zu Werke ge¬
gangen wird.

Der ehemalige Redakteur der Wiener Zeitschrift Herr Friedrich
Witthauer ist in Meran in Tyrol gestorben. Er war Sachse von
Geburt und ein durchaus braver Mann, aber ohne alles schriftstellerische
Talent. Sein größtes Verdienst waren die unparteiischen und durch
strengen Ernst sich auszeichnenden Beurtheilungen des hiesigen Burgthea¬
ters, die er seiner Zeit lieferte. Seiner Zeit, d. h. in jenen schönen Ta¬
gen, wo das Burgtheater noch werth einer ernsten Besprechung war und
wo der Tadel nicht schadete, weil er Hand in Hand mit einem ehrlichen
Lob gehen konnte. Jetzt ist es freilich anders, und weil das Lob auch
der zahmsten Kritik verstummen muß gegenüber der langweiligen Wirth-



*) Jene Korrespondenz war vom 3 K. . October datirt; am Morgen desselben
Tages befand ich mich noch in Berlin!

und charaktervoller Männer zahlt — aber für ihre Sitzungen und Be¬
schlüsse hatte der Bürgerstand bisher keinen Sinn.

Und wie sollte es auch anders sein, da er in ihrer Mitte nicht vertreten
und durch den Mangel an jeder Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen
auch nicht zum allgemein patriotischen Interesse für die Vertreter des
Grundbesitzes sich angeregt fühlte, und auch nicht die Einsicht erhielt,
ob nicht blos engherzige und egoistische Standesinteressen im Schooße
der aristokratischen Sitzungen verhandelt werden. Das Actenstück, welches
die Grenzboten mitgetheilt haben, hat in dieser Beziehung ein freudiges
Erstaunen erweckt. Man lernte im Allgemeinen daraus kennen, daß der
Gesichtspunkt der niederösterreichischen Standeschast ein weiterer und freierer
ist, und wenn der Mittelstand auch noch nicht absieht, was ihm für
Vortheil durch die Wiederbelebung der alten ständischen Rechte, die doch
durchaus aristokratischer Natur sind, erwachsen soll, so fühlt er doch in
halbem Bewußtsein, daß die ständischen Kräfte ohne Herbeiziehung der
bürgerlichen Besitzer, des Handels- und Gewerbestandes, auf die Lange
erlahmen müssen und daß die landständische Vertretung, wenn sie eine
Wahrheit werden soll, sich allmälig von selbst auf weitere Kreise aus¬
dehnen muß. Der Verfasser jener merkwürdigen Denkschrift ist der
Baron von Doblhoss, eine der bedeutendsteiijund kenntnißreichsten Indivi¬
dualitäten unserer Stadt, und die Stande haben ihm einstimmig eine
Dankadresse dafür police und ihm dieselbe durch das Verordneten-Collegium
zugestellt.

In unsern literarischen Kreisen hat eine Eorrespondenz der Allgem.
Zeitung, in welcher gemeldet wurde, daß der Redacteur der Grenzboten
seit seiner Ausweisung aus Berlin sich hier in Wien befindet, viel Lachen
erregt. Der gute Correspondent schrieb seine Nachricht mit solcher Sicher¬
heit hin, daß er mit vornehmer Bestimmtheit versicherte, Ihrem hiesigen
Aufenthalte und Ihrer Abreise stände nicht das Mindeste entgegen *).
Da dieser so ungeheuer gut unterrichtete Mann sich das Ansehen gibt,
tief in die Geheimnisse unserer Behörden eingeweiht zu sein, so möchten
wir ihn bitten, ein gutes Wort wenigstens für die Grenzboten einzulegen,
gegen die hier in letzterer Zeit mit verdoppelter Strenge zu Werke ge¬
gangen wird.

Der ehemalige Redakteur der Wiener Zeitschrift Herr Friedrich
Witthauer ist in Meran in Tyrol gestorben. Er war Sachse von
Geburt und ein durchaus braver Mann, aber ohne alles schriftstellerische
Talent. Sein größtes Verdienst waren die unparteiischen und durch
strengen Ernst sich auszeichnenden Beurtheilungen des hiesigen Burgthea¬
ters, die er seiner Zeit lieferte. Seiner Zeit, d. h. in jenen schönen Ta¬
gen, wo das Burgtheater noch werth einer ernsten Besprechung war und
wo der Tadel nicht schadete, weil er Hand in Hand mit einem ehrlichen
Lob gehen konnte. Jetzt ist es freilich anders, und weil das Lob auch
der zahmsten Kritik verstummen muß gegenüber der langweiligen Wirth-



*) Jene Korrespondenz war vom 3 K. . October datirt; am Morgen desselben
Tages befand ich mich noch in Berlin!
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[0086] und charaktervoller Männer zahlt — aber für ihre Sitzungen und Be¬ schlüsse hatte der Bürgerstand bisher keinen Sinn. Und wie sollte es auch anders sein, da er in ihrer Mitte nicht vertreten und durch den Mangel an jeder Oeffentlichkeit der Landtagsverhandlungen auch nicht zum allgemein patriotischen Interesse für die Vertreter des Grundbesitzes sich angeregt fühlte, und auch nicht die Einsicht erhielt, ob nicht blos engherzige und egoistische Standesinteressen im Schooße der aristokratischen Sitzungen verhandelt werden. Das Actenstück, welches die Grenzboten mitgetheilt haben, hat in dieser Beziehung ein freudiges Erstaunen erweckt. Man lernte im Allgemeinen daraus kennen, daß der Gesichtspunkt der niederösterreichischen Standeschast ein weiterer und freierer ist, und wenn der Mittelstand auch noch nicht absieht, was ihm für Vortheil durch die Wiederbelebung der alten ständischen Rechte, die doch durchaus aristokratischer Natur sind, erwachsen soll, so fühlt er doch in halbem Bewußtsein, daß die ständischen Kräfte ohne Herbeiziehung der bürgerlichen Besitzer, des Handels- und Gewerbestandes, auf die Lange erlahmen müssen und daß die landständische Vertretung, wenn sie eine Wahrheit werden soll, sich allmälig von selbst auf weitere Kreise aus¬ dehnen muß. Der Verfasser jener merkwürdigen Denkschrift ist der Baron von Doblhoss, eine der bedeutendsteiijund kenntnißreichsten Indivi¬ dualitäten unserer Stadt, und die Stande haben ihm einstimmig eine Dankadresse dafür police und ihm dieselbe durch das Verordneten-Collegium zugestellt. In unsern literarischen Kreisen hat eine Eorrespondenz der Allgem. Zeitung, in welcher gemeldet wurde, daß der Redacteur der Grenzboten seit seiner Ausweisung aus Berlin sich hier in Wien befindet, viel Lachen erregt. Der gute Correspondent schrieb seine Nachricht mit solcher Sicher¬ heit hin, daß er mit vornehmer Bestimmtheit versicherte, Ihrem hiesigen Aufenthalte und Ihrer Abreise stände nicht das Mindeste entgegen *). Da dieser so ungeheuer gut unterrichtete Mann sich das Ansehen gibt, tief in die Geheimnisse unserer Behörden eingeweiht zu sein, so möchten wir ihn bitten, ein gutes Wort wenigstens für die Grenzboten einzulegen, gegen die hier in letzterer Zeit mit verdoppelter Strenge zu Werke ge¬ gangen wird. Der ehemalige Redakteur der Wiener Zeitschrift Herr Friedrich Witthauer ist in Meran in Tyrol gestorben. Er war Sachse von Geburt und ein durchaus braver Mann, aber ohne alles schriftstellerische Talent. Sein größtes Verdienst waren die unparteiischen und durch strengen Ernst sich auszeichnenden Beurtheilungen des hiesigen Burgthea¬ ters, die er seiner Zeit lieferte. Seiner Zeit, d. h. in jenen schönen Ta¬ gen, wo das Burgtheater noch werth einer ernsten Besprechung war und wo der Tadel nicht schadete, weil er Hand in Hand mit einem ehrlichen Lob gehen konnte. Jetzt ist es freilich anders, und weil das Lob auch der zahmsten Kritik verstummen muß gegenüber der langweiligen Wirth- *) Jene Korrespondenz war vom 3 K. . October datirt; am Morgen desselben Tages befand ich mich noch in Berlin!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/86>, abgerufen am 26.08.2024.