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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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macht wird. Meyerbeer hingegen zog sich nicht allein von diesem Ge-
biete möglichst zurück, sondern schwächte selbst den Eindruck seines Auf¬
tretens als Dirigent durch eine Schüchternheit, die bei einer solchen Au¬
torität unerklärlich bleiben muß. Uns thut aber vor Allem ein Dirigent
noth, der die sich auflösenden Bande der musikalischen Disciplin mit
mächtiger Hand zusammenhält. Wir brauchen einen Musiktyrannen,
denn so sehr wir auf allen Gebieten des Lebens für freisinnige Institu¬
tionen sind, glauben wir doch in der musikalischen Verfassung der Oper
und des Orchesters weder an Aristokratie noch an Demokratie und Och-
lokratie.

Signora Viardot Garcia ist nun endlich als Amme in Bel-
lini's Sonnambula aufgetreten. Von dem Triumph, den das Genie
dieser Künstlerin feierte, brauche ich Ihnen kein Wort zu sagen, ich
erspare mir eine Charakteristik ihrer Leistungen bis auf einen späte¬
ren Zeitpunkt. Schweigen kann ich jedoch nicht von dem, unglück¬
lichen Personal, mit dem Sgra. Garcia zu singen gezwungen ist. Der
Graf Gritti, der Impressario dieser Truppe ist es, der uns mit diesem
Häuflein beschenkt hat. Gritti, von der Königstädtischen Bühne beauf¬
tragt, keine Kosten zu sparen, um ein Berlin würdiges Personal zu en-
gagiren, scheint uns für Tölpel genug gehalten zu haben, um mit feinem
Nudel zufrieden zu sein. Diese Leute können nichts. Sie verletzen
durch ihr abscheuliches Detoniren die erste Grundregel, die Sirach Cap.
32. V. 5 den Sängern gibt: "Irret die Spielleute nicht!" Sie zäh¬
len nicht; zählen sie aber, so verzählen sie sich. Sie spielen auch nicht,
obwohl Sgra. Garcia sie mit großem Fleiße darin unterrichtet hatte.
Wie wir hören, sollen jetzt Alle fort und mit'großen Kosten andere Sänger
aus Italien verschrieben werden.

Das großartige, mit dem neuen politischen Organe verknüpfte Lese¬
institut, genannt: Zeitungshalle, ist bis jetzt noch nicht eröffnet worden.
Die Unzuverlässigkeit und Saumseligkeit der hiesigen Arbeiter, die mit
der Ablieferung der Möbel und Instandsetzung der Draperien nicht pünkt¬
lich gewesen sind, verhinderten bis jetzt den Beginn des Unternehmens.
So viel kann ich Ihnen indessen nach einer flüchtigen Betrachtung des
Lesesalons sagen: wir haben nicht ein Institut besessen, das solchen lite¬
rarischen Gehalt, wie den im Prospectus versprochenen mit so viel ge¬
schmackvoller Eleganz und Zweckmäßigkeit der Einrichtung verbindet. Die¬
ses neue Local verheißt nicht allein den Bedürfnissen der politischen Leser
abzuhelfen und die vielen hier anwesenden Ausländer aller Nationen mit
ihrem Vaterlande wenigstens literarisch zu verbinden, sondern auch gleich¬
sam eine Börse des Berliner literarischen Verkehrs zu werden, wozu die
ungemein günstige Lage im Mittelpunkt der Stadt auffordert.

Von dem durch seine Dichtung und treffliches Werk: Das hohe
Lied, rühmlichst bekannten Dr. Titus Ulrich, nähert sich ein zweites
Gedicht seiner Vollendung und dürfte vielleicht gegen Neujahr erscheinen.


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macht wird. Meyerbeer hingegen zog sich nicht allein von diesem Ge-
biete möglichst zurück, sondern schwächte selbst den Eindruck seines Auf¬
tretens als Dirigent durch eine Schüchternheit, die bei einer solchen Au¬
torität unerklärlich bleiben muß. Uns thut aber vor Allem ein Dirigent
noth, der die sich auflösenden Bande der musikalischen Disciplin mit
mächtiger Hand zusammenhält. Wir brauchen einen Musiktyrannen,
denn so sehr wir auf allen Gebieten des Lebens für freisinnige Institu¬
tionen sind, glauben wir doch in der musikalischen Verfassung der Oper
und des Orchesters weder an Aristokratie noch an Demokratie und Och-
lokratie.

Signora Viardot Garcia ist nun endlich als Amme in Bel-
lini's Sonnambula aufgetreten. Von dem Triumph, den das Genie
dieser Künstlerin feierte, brauche ich Ihnen kein Wort zu sagen, ich
erspare mir eine Charakteristik ihrer Leistungen bis auf einen späte¬
ren Zeitpunkt. Schweigen kann ich jedoch nicht von dem, unglück¬
lichen Personal, mit dem Sgra. Garcia zu singen gezwungen ist. Der
Graf Gritti, der Impressario dieser Truppe ist es, der uns mit diesem
Häuflein beschenkt hat. Gritti, von der Königstädtischen Bühne beauf¬
tragt, keine Kosten zu sparen, um ein Berlin würdiges Personal zu en-
gagiren, scheint uns für Tölpel genug gehalten zu haben, um mit feinem
Nudel zufrieden zu sein. Diese Leute können nichts. Sie verletzen
durch ihr abscheuliches Detoniren die erste Grundregel, die Sirach Cap.
32. V. 5 den Sängern gibt: „Irret die Spielleute nicht!" Sie zäh¬
len nicht; zählen sie aber, so verzählen sie sich. Sie spielen auch nicht,
obwohl Sgra. Garcia sie mit großem Fleiße darin unterrichtet hatte.
Wie wir hören, sollen jetzt Alle fort und mit'großen Kosten andere Sänger
aus Italien verschrieben werden.

Das großartige, mit dem neuen politischen Organe verknüpfte Lese¬
institut, genannt: Zeitungshalle, ist bis jetzt noch nicht eröffnet worden.
Die Unzuverlässigkeit und Saumseligkeit der hiesigen Arbeiter, die mit
der Ablieferung der Möbel und Instandsetzung der Draperien nicht pünkt¬
lich gewesen sind, verhinderten bis jetzt den Beginn des Unternehmens.
So viel kann ich Ihnen indessen nach einer flüchtigen Betrachtung des
Lesesalons sagen: wir haben nicht ein Institut besessen, das solchen lite¬
rarischen Gehalt, wie den im Prospectus versprochenen mit so viel ge¬
schmackvoller Eleganz und Zweckmäßigkeit der Einrichtung verbindet. Die¬
ses neue Local verheißt nicht allein den Bedürfnissen der politischen Leser
abzuhelfen und die vielen hier anwesenden Ausländer aller Nationen mit
ihrem Vaterlande wenigstens literarisch zu verbinden, sondern auch gleich¬
sam eine Börse des Berliner literarischen Verkehrs zu werden, wozu die
ungemein günstige Lage im Mittelpunkt der Stadt auffordert.

Von dem durch seine Dichtung und treffliches Werk: Das hohe
Lied, rühmlichst bekannten Dr. Titus Ulrich, nähert sich ein zweites
Gedicht seiner Vollendung und dürfte vielleicht gegen Neujahr erscheinen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/84>, abgerufen am 26.08.2024.