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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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im Jahre, welche zwischen Einst und Jetzt liegen, haben mannichfaltige
Veränderungen herbeigeführt und die Stufenfolgen höherer Bildung
erklimmen lassen, aber ich denke nur immer mit Wonne an die Tage
jenes geflügelten Lebens.

Es wohnten damals unser zwanzig Jäger in dieser Kaserne; die
Mehrzahl befand sich daheim, nur ein Paar waren im Dienste be¬
schäftigt. Der größte Theil bestand aus Naturmenschen, die nicht den
geringsten Anstrich von Bildung je bekommen hatten. Lauter Solda¬
ten und Handwerker, wenige verunglückte Studenten oder Beamte
ausgenommen, waren meine Schlafgenossen, und doch, so oft ich ein
Gedicht vortrug, es geschah selten, sammelten sich diese Barbaren um
mich und lauschten auf jedes meiner Worte in heiliger Stille. Der¬
gleichen Vorträge mußten ihnen, wie mich dünkt, für Predigten gel¬
ten ; denn der Gottesdienst wurde wohl höchst selten und das nur von
Einzelnen, wenn sie übermüßige Stunden hatten, besucht. Trug ich
aber aus der Urania, besonders dem Zweifler, eine Stelle vor, so war
ihnen seltsam wohl zu Muthe. Ich weiß, sie verstanden das Meiste
nicht, dennoch wurde ich von ihnen öfters aufgefordert, mein Amt als
Acteur zu verrichten. War dies vorüber, so nahten sich gewöhnlich
die Meisten mit einem Glas Schnaps, blickten mich freundlich und
wohlwollend an und ich mußte einem Jeden, nach seinem Verlangen,
Bescheid thun.

Während ich vorgelesen hatte, kam Leidenfroh daher, ein kurzer,
stämmiger Mann, mit schwarzem Schnurrbart und Augen, aus
denen Pfeile schössen, die Mütze schief auf den Kopf gedrückt,
mit einem kurzen Röckchen angethan, die Angelruthe und einen kleinen
Fischbehälter in der Rechten, die Tabakspfeife in der Linken haltend,
schrie er schon von Ferne mit volltönender Stimme, aus jedes Wort
den gehörigen Nachdruck legend, denn er war einst auch Schauspieler
gewesen: "Grüß dich Gott, Camill! Was Teufel, wie kommst du in
das Gebirge? Hat dich der Vitzliputzli auch zu den Rabenäsern in die
gotteslästerlichen Keuschen verzaubert? Was Teufel! du hast ja Geld
aus der Ebene mitgebracht? Ich bin immer der Alte, hab'heute nichts,
hab' morgen nichts. Stoß einmal an, Bruder! Bist du bei uns po-
stirt? -- Also nicht? Mußt du schnell wieder fort? Ich habe da so
kleine Teufel die schwere Menge, die müssen noch heute verschnabulirt
werden. Bist eingeladen; Tvroler, du auch. Frau Oberjägerin, Feuer
auf den Herd und Wasser in das Kastrol, ich habe der kleinen Spitz¬
buben die Menge. Hat mir manche Angel gekostet! Wie die Patrone


"rcnzbvttn. IV.

im Jahre, welche zwischen Einst und Jetzt liegen, haben mannichfaltige
Veränderungen herbeigeführt und die Stufenfolgen höherer Bildung
erklimmen lassen, aber ich denke nur immer mit Wonne an die Tage
jenes geflügelten Lebens.

Es wohnten damals unser zwanzig Jäger in dieser Kaserne; die
Mehrzahl befand sich daheim, nur ein Paar waren im Dienste be¬
schäftigt. Der größte Theil bestand aus Naturmenschen, die nicht den
geringsten Anstrich von Bildung je bekommen hatten. Lauter Solda¬
ten und Handwerker, wenige verunglückte Studenten oder Beamte
ausgenommen, waren meine Schlafgenossen, und doch, so oft ich ein
Gedicht vortrug, es geschah selten, sammelten sich diese Barbaren um
mich und lauschten auf jedes meiner Worte in heiliger Stille. Der¬
gleichen Vorträge mußten ihnen, wie mich dünkt, für Predigten gel¬
ten ; denn der Gottesdienst wurde wohl höchst selten und das nur von
Einzelnen, wenn sie übermüßige Stunden hatten, besucht. Trug ich
aber aus der Urania, besonders dem Zweifler, eine Stelle vor, so war
ihnen seltsam wohl zu Muthe. Ich weiß, sie verstanden das Meiste
nicht, dennoch wurde ich von ihnen öfters aufgefordert, mein Amt als
Acteur zu verrichten. War dies vorüber, so nahten sich gewöhnlich
die Meisten mit einem Glas Schnaps, blickten mich freundlich und
wohlwollend an und ich mußte einem Jeden, nach seinem Verlangen,
Bescheid thun.

Während ich vorgelesen hatte, kam Leidenfroh daher, ein kurzer,
stämmiger Mann, mit schwarzem Schnurrbart und Augen, aus
denen Pfeile schössen, die Mütze schief auf den Kopf gedrückt,
mit einem kurzen Röckchen angethan, die Angelruthe und einen kleinen
Fischbehälter in der Rechten, die Tabakspfeife in der Linken haltend,
schrie er schon von Ferne mit volltönender Stimme, aus jedes Wort
den gehörigen Nachdruck legend, denn er war einst auch Schauspieler
gewesen: „Grüß dich Gott, Camill! Was Teufel, wie kommst du in
das Gebirge? Hat dich der Vitzliputzli auch zu den Rabenäsern in die
gotteslästerlichen Keuschen verzaubert? Was Teufel! du hast ja Geld
aus der Ebene mitgebracht? Ich bin immer der Alte, hab'heute nichts,
hab' morgen nichts. Stoß einmal an, Bruder! Bist du bei uns po-
stirt? — Also nicht? Mußt du schnell wieder fort? Ich habe da so
kleine Teufel die schwere Menge, die müssen noch heute verschnabulirt
werden. Bist eingeladen; Tvroler, du auch. Frau Oberjägerin, Feuer
auf den Herd und Wasser in das Kastrol, ich habe der kleinen Spitz¬
buben die Menge. Hat mir manche Angel gekostet! Wie die Patrone


«rcnzbvttn. IV.
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[0057] im Jahre, welche zwischen Einst und Jetzt liegen, haben mannichfaltige Veränderungen herbeigeführt und die Stufenfolgen höherer Bildung erklimmen lassen, aber ich denke nur immer mit Wonne an die Tage jenes geflügelten Lebens. Es wohnten damals unser zwanzig Jäger in dieser Kaserne; die Mehrzahl befand sich daheim, nur ein Paar waren im Dienste be¬ schäftigt. Der größte Theil bestand aus Naturmenschen, die nicht den geringsten Anstrich von Bildung je bekommen hatten. Lauter Solda¬ ten und Handwerker, wenige verunglückte Studenten oder Beamte ausgenommen, waren meine Schlafgenossen, und doch, so oft ich ein Gedicht vortrug, es geschah selten, sammelten sich diese Barbaren um mich und lauschten auf jedes meiner Worte in heiliger Stille. Der¬ gleichen Vorträge mußten ihnen, wie mich dünkt, für Predigten gel¬ ten ; denn der Gottesdienst wurde wohl höchst selten und das nur von Einzelnen, wenn sie übermüßige Stunden hatten, besucht. Trug ich aber aus der Urania, besonders dem Zweifler, eine Stelle vor, so war ihnen seltsam wohl zu Muthe. Ich weiß, sie verstanden das Meiste nicht, dennoch wurde ich von ihnen öfters aufgefordert, mein Amt als Acteur zu verrichten. War dies vorüber, so nahten sich gewöhnlich die Meisten mit einem Glas Schnaps, blickten mich freundlich und wohlwollend an und ich mußte einem Jeden, nach seinem Verlangen, Bescheid thun. Während ich vorgelesen hatte, kam Leidenfroh daher, ein kurzer, stämmiger Mann, mit schwarzem Schnurrbart und Augen, aus denen Pfeile schössen, die Mütze schief auf den Kopf gedrückt, mit einem kurzen Röckchen angethan, die Angelruthe und einen kleinen Fischbehälter in der Rechten, die Tabakspfeife in der Linken haltend, schrie er schon von Ferne mit volltönender Stimme, aus jedes Wort den gehörigen Nachdruck legend, denn er war einst auch Schauspieler gewesen: „Grüß dich Gott, Camill! Was Teufel, wie kommst du in das Gebirge? Hat dich der Vitzliputzli auch zu den Rabenäsern in die gotteslästerlichen Keuschen verzaubert? Was Teufel! du hast ja Geld aus der Ebene mitgebracht? Ich bin immer der Alte, hab'heute nichts, hab' morgen nichts. Stoß einmal an, Bruder! Bist du bei uns po- stirt? — Also nicht? Mußt du schnell wieder fort? Ich habe da so kleine Teufel die schwere Menge, die müssen noch heute verschnabulirt werden. Bist eingeladen; Tvroler, du auch. Frau Oberjägerin, Feuer auf den Herd und Wasser in das Kastrol, ich habe der kleinen Spitz¬ buben die Menge. Hat mir manche Angel gekostet! Wie die Patrone «rcnzbvttn. IV.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/57>, abgerufen am 23.07.2024.