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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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empören kann. Und darum -- ich komme immer darauf zurück --
und darum haben wir das Fegefeuer der Franzosen ausgestanden, um
nach der Erlösung nicht in's Paradies, sondern in die Hölle zu kom¬
men. -- 1819. .....-

-- Die spanischen Granden haben das Recht, mit bedecktem Haupte
vor dem Könige zu erscheinen. Daher kommt wahrscheinlich die auch
an manchem deutschen Hofe herrschende Sitte: Den Kopf nicht se¬
hen zu lassen.

-- Friedrich der Große sagte: "Wein ich eine Provinz züchtigen
wollte, so würde ich ihr Gelehrte zu Beamten geben." Diese Ansicht
deS großen Königs ist in Deutschland noch stark herrschend, und die
meisten Provinzen werden väterlich, das heißt von Umgekehrten regiert.

-- Man würde mich steinigen, schreibt Ameive, wenn ich hundert
herrlich blühende Familien nennen wollte, die alle ihre Größe der Ver¬
rätherei des Vaterlandes zu verdanken haben.

-- So viel Tausend Vögel, sagt Fontenelle, sind schon in Netzen
gefangen worden und werden noch täglich darin gefangen, keiner flieht
die Stricke, die seinen Vorältern tödtlich waren. Das ist die wahre
Geschichte des Verstandes der Menschen. Es steht immer wieder eine
neue Welt auf, die eben so vernünftig sein will, als die alte; der
Mensch wird nie durch alte, der Mensch wird nie durch Anderer Fehler
klug. Er will es auf eigne Gefahr und Kosten werden.

-- Die Erfahrung Anderer kann wohl dazu dienen, unsere eigene
zu ordnen und in Regeln zu bringen; aber sie macht uns eben so
wenig klüger, als wir satt werden von dem, was unser Nachbar ge¬
gessen hat. Wir glauben wohl Jedem gern, der uns sagt: morgen
oder in zwanzig Jahren werde ein Komet erscheinen; aber wo Leiden¬
schaften und Abneigungen sich einmischen, da wird eine Brille unsere
falsche Ansicht nur vergrößern. Möchten sich dieses die Altklugen mer¬
ken, und zur Belehrung der Unbesonnenen nicht immer Exempel auf
Exempel häufen. Man lernt fremde Weisheit alsdann erst schätzen,
wenn man ihrer nicht mehr bedarf.




empören kann. Und darum — ich komme immer darauf zurück —
und darum haben wir das Fegefeuer der Franzosen ausgestanden, um
nach der Erlösung nicht in's Paradies, sondern in die Hölle zu kom¬
men. — 1819. .....-

— Die spanischen Granden haben das Recht, mit bedecktem Haupte
vor dem Könige zu erscheinen. Daher kommt wahrscheinlich die auch
an manchem deutschen Hofe herrschende Sitte: Den Kopf nicht se¬
hen zu lassen.

— Friedrich der Große sagte: „Wein ich eine Provinz züchtigen
wollte, so würde ich ihr Gelehrte zu Beamten geben." Diese Ansicht
deS großen Königs ist in Deutschland noch stark herrschend, und die
meisten Provinzen werden väterlich, das heißt von Umgekehrten regiert.

— Man würde mich steinigen, schreibt Ameive, wenn ich hundert
herrlich blühende Familien nennen wollte, die alle ihre Größe der Ver¬
rätherei des Vaterlandes zu verdanken haben.

— So viel Tausend Vögel, sagt Fontenelle, sind schon in Netzen
gefangen worden und werden noch täglich darin gefangen, keiner flieht
die Stricke, die seinen Vorältern tödtlich waren. Das ist die wahre
Geschichte des Verstandes der Menschen. Es steht immer wieder eine
neue Welt auf, die eben so vernünftig sein will, als die alte; der
Mensch wird nie durch alte, der Mensch wird nie durch Anderer Fehler
klug. Er will es auf eigne Gefahr und Kosten werden.

— Die Erfahrung Anderer kann wohl dazu dienen, unsere eigene
zu ordnen und in Regeln zu bringen; aber sie macht uns eben so
wenig klüger, als wir satt werden von dem, was unser Nachbar ge¬
gessen hat. Wir glauben wohl Jedem gern, der uns sagt: morgen
oder in zwanzig Jahren werde ein Komet erscheinen; aber wo Leiden¬
schaften und Abneigungen sich einmischen, da wird eine Brille unsere
falsche Ansicht nur vergrößern. Möchten sich dieses die Altklugen mer¬
ken, und zur Belehrung der Unbesonnenen nicht immer Exempel auf
Exempel häufen. Man lernt fremde Weisheit alsdann erst schätzen,
wenn man ihrer nicht mehr bedarf.




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[0559] empören kann. Und darum — ich komme immer darauf zurück — und darum haben wir das Fegefeuer der Franzosen ausgestanden, um nach der Erlösung nicht in's Paradies, sondern in die Hölle zu kom¬ men. — 1819. .....- — Die spanischen Granden haben das Recht, mit bedecktem Haupte vor dem Könige zu erscheinen. Daher kommt wahrscheinlich die auch an manchem deutschen Hofe herrschende Sitte: Den Kopf nicht se¬ hen zu lassen. — Friedrich der Große sagte: „Wein ich eine Provinz züchtigen wollte, so würde ich ihr Gelehrte zu Beamten geben." Diese Ansicht deS großen Königs ist in Deutschland noch stark herrschend, und die meisten Provinzen werden väterlich, das heißt von Umgekehrten regiert. — Man würde mich steinigen, schreibt Ameive, wenn ich hundert herrlich blühende Familien nennen wollte, die alle ihre Größe der Ver¬ rätherei des Vaterlandes zu verdanken haben. — So viel Tausend Vögel, sagt Fontenelle, sind schon in Netzen gefangen worden und werden noch täglich darin gefangen, keiner flieht die Stricke, die seinen Vorältern tödtlich waren. Das ist die wahre Geschichte des Verstandes der Menschen. Es steht immer wieder eine neue Welt auf, die eben so vernünftig sein will, als die alte; der Mensch wird nie durch alte, der Mensch wird nie durch Anderer Fehler klug. Er will es auf eigne Gefahr und Kosten werden. — Die Erfahrung Anderer kann wohl dazu dienen, unsere eigene zu ordnen und in Regeln zu bringen; aber sie macht uns eben so wenig klüger, als wir satt werden von dem, was unser Nachbar ge¬ gessen hat. Wir glauben wohl Jedem gern, der uns sagt: morgen oder in zwanzig Jahren werde ein Komet erscheinen; aber wo Leiden¬ schaften und Abneigungen sich einmischen, da wird eine Brille unsere falsche Ansicht nur vergrößern. Möchten sich dieses die Altklugen mer¬ ken, und zur Belehrung der Unbesonnenen nicht immer Exempel auf Exempel häufen. Man lernt fremde Weisheit alsdann erst schätzen, wenn man ihrer nicht mehr bedarf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/559>, abgerufen am 03.07.2024.