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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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das Wirthshaus mit seinem Schnaps und seinen Karten zu nahe,
als daß man es nicht besuchen sollte. Da wird dann gespielt und
getrunken, bis daß der Gerichtsdiener Haus und Hof verkauft hat
und Weib und Kind an den Bettelstab gebracht sind.

Da die kleinen Städte dieses Landes mit einer einzigen Ausnahme sich
ausschließlich durch den Ackerbau nähren, so findet man keinen großen
Unterschied zwischen dem Leben in den Dörfern und in den Städten,
Von politischer Bildung und Aufklärung ist daher in diesem Lande,
daS dazu noch in den Händen der Geistlichkeit ist, nicht zu sprechen.
Findet man im Lande Unzufriedenheit, so hat dieselbe ihren Grund im
katholischen Fanatismus der Bewohner und dem Drucke der Armuth.
Das Ländchen hatte seine Herren in den letzten 50 Jahren zu oft
gewechselt, als daß es sich nicht zur Vergleichung der verschiedenen
Regierungen und damit zur Kritik derselben hätte bewogen fühlen
sollen. Erst tur-kölnisch (weshalb man das Herzogtum Westphalen
noch jetzt "das kölnische Süderland" nennt), dann Hessen-darmstädtisch,
ist es endlich preußisch geworden, während noch dazwischen, wenig¬
stens in der Umgegend, die französisch-westphälische Regierung gespült
hat. Das Land befindet sich unstreitig unter den Segnungen der
preußischen Negierung am wohlsten. Dennoch gibt eS Leute, welche
die früheren, wie sie behaupten, dem Katholicismus mehr zusagenden
Verhältnisse, nicht ganz vergessen können. Diese Leute haben daher
immer etwas zu murren und zu klagen. Hätte der "Sprecher
für Westphalen und Rheinland," der einmal mich in Arnsberg bei
A. L. Ritter zu erscheinen Miene machte, diese Art Jeremiaden des
Volkes, welche jetzt eigentlich weder Grunv noch Ziel haben, die
im oberflächlichsten Raisonnement sich ergehen, dem das Kleinste mi߬
fällt und das Größte nicht bemerkbar wird, sammeln, lichten und auf
ihren wahren Werth zurückführen wollen, so würde dieses Blatt sich
für die Bildung des Volkes sehr ersprießlich gezeigt haben.




das Wirthshaus mit seinem Schnaps und seinen Karten zu nahe,
als daß man es nicht besuchen sollte. Da wird dann gespielt und
getrunken, bis daß der Gerichtsdiener Haus und Hof verkauft hat
und Weib und Kind an den Bettelstab gebracht sind.

Da die kleinen Städte dieses Landes mit einer einzigen Ausnahme sich
ausschließlich durch den Ackerbau nähren, so findet man keinen großen
Unterschied zwischen dem Leben in den Dörfern und in den Städten,
Von politischer Bildung und Aufklärung ist daher in diesem Lande,
daS dazu noch in den Händen der Geistlichkeit ist, nicht zu sprechen.
Findet man im Lande Unzufriedenheit, so hat dieselbe ihren Grund im
katholischen Fanatismus der Bewohner und dem Drucke der Armuth.
Das Ländchen hatte seine Herren in den letzten 50 Jahren zu oft
gewechselt, als daß es sich nicht zur Vergleichung der verschiedenen
Regierungen und damit zur Kritik derselben hätte bewogen fühlen
sollen. Erst tur-kölnisch (weshalb man das Herzogtum Westphalen
noch jetzt „das kölnische Süderland" nennt), dann Hessen-darmstädtisch,
ist es endlich preußisch geworden, während noch dazwischen, wenig¬
stens in der Umgegend, die französisch-westphälische Regierung gespült
hat. Das Land befindet sich unstreitig unter den Segnungen der
preußischen Negierung am wohlsten. Dennoch gibt eS Leute, welche
die früheren, wie sie behaupten, dem Katholicismus mehr zusagenden
Verhältnisse, nicht ganz vergessen können. Diese Leute haben daher
immer etwas zu murren und zu klagen. Hätte der „Sprecher
für Westphalen und Rheinland," der einmal mich in Arnsberg bei
A. L. Ritter zu erscheinen Miene machte, diese Art Jeremiaden des
Volkes, welche jetzt eigentlich weder Grunv noch Ziel haben, die
im oberflächlichsten Raisonnement sich ergehen, dem das Kleinste mi߬
fällt und das Größte nicht bemerkbar wird, sammeln, lichten und auf
ihren wahren Werth zurückführen wollen, so würde dieses Blatt sich
für die Bildung des Volkes sehr ersprießlich gezeigt haben.




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[0548] das Wirthshaus mit seinem Schnaps und seinen Karten zu nahe, als daß man es nicht besuchen sollte. Da wird dann gespielt und getrunken, bis daß der Gerichtsdiener Haus und Hof verkauft hat und Weib und Kind an den Bettelstab gebracht sind. Da die kleinen Städte dieses Landes mit einer einzigen Ausnahme sich ausschließlich durch den Ackerbau nähren, so findet man keinen großen Unterschied zwischen dem Leben in den Dörfern und in den Städten, Von politischer Bildung und Aufklärung ist daher in diesem Lande, daS dazu noch in den Händen der Geistlichkeit ist, nicht zu sprechen. Findet man im Lande Unzufriedenheit, so hat dieselbe ihren Grund im katholischen Fanatismus der Bewohner und dem Drucke der Armuth. Das Ländchen hatte seine Herren in den letzten 50 Jahren zu oft gewechselt, als daß es sich nicht zur Vergleichung der verschiedenen Regierungen und damit zur Kritik derselben hätte bewogen fühlen sollen. Erst tur-kölnisch (weshalb man das Herzogtum Westphalen noch jetzt „das kölnische Süderland" nennt), dann Hessen-darmstädtisch, ist es endlich preußisch geworden, während noch dazwischen, wenig¬ stens in der Umgegend, die französisch-westphälische Regierung gespült hat. Das Land befindet sich unstreitig unter den Segnungen der preußischen Negierung am wohlsten. Dennoch gibt eS Leute, welche die früheren, wie sie behaupten, dem Katholicismus mehr zusagenden Verhältnisse, nicht ganz vergessen können. Diese Leute haben daher immer etwas zu murren und zu klagen. Hätte der „Sprecher für Westphalen und Rheinland," der einmal mich in Arnsberg bei A. L. Ritter zu erscheinen Miene machte, diese Art Jeremiaden des Volkes, welche jetzt eigentlich weder Grunv noch Ziel haben, die im oberflächlichsten Raisonnement sich ergehen, dem das Kleinste mi߬ fällt und das Größte nicht bemerkbar wird, sammeln, lichten und auf ihren wahren Werth zurückführen wollen, so würde dieses Blatt sich für die Bildung des Volkes sehr ersprießlich gezeigt haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/548>, abgerufen am 26.08.2024.