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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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keine mehr sind und zugleich auf der andern Seite Beschränkungen
einschließen, von denen die Bevorzugungen, die in den Augen der Stu¬
denten allmälig ihren Werth verloren haben, weit aufgewogen werden,
streben die Studenten hier und da an. Die Aeltern, die das frühere
Studentenleben durchgemacht haben, schütteln bei diesen Erscheinungen
zum Theil mißvergnügt das einst in Farbenstreifen prangende Haupt
und klagen, daß es so anders, geworden in dieser neuen Zeit und daß
dem Studentenleben die Poesie verloren gegangen sei. Allerdings
hatte das alte Studentenleben etwas Poetisches, wie jedes Leben, das
sich aus einem eigenthümlichen Geiste entwickelt und feste Gestaltung
gewinnt, das die Persönlichkeiten rein und scharf hervortreten läßt und
über die Noth und Arbeit der Existenz hinausgestellt ist. Diese Be¬
dingungen einer poetischen, das heißt frei und eigenthümlich aus sich
entfalteten, leicht mühsam aus roher Massenhaftigkeit herausgearbeiteten
und durch rein materielle Bedürfnisse auseinander und niedergehaltenen
Lebensgestaltung sind für das Studentenleben bleibende, so lange wir
wirkliche Universitäten haben, und es trägt daher auch als ein aufge¬
löstes und auseinandergehendes fortwährend die Möglichkeit in sich,
sich zusammenzufassen und eigenthümlich auszuprägen. Die Poesie
aber des für uns alten, seinem Wesen nach im siebzehnten und acht¬
zehnten Jahrhunderte ausgebildeten Studentenlebens insbesondere, lag
vorzugsweise in dem Gegensatze des kecken und unbesorgten Genusses,
der maßlosen Befriedigung und der abgemessenen, strengen Formen,
durch welche die Befriedigung scheinbar gebunden war, in der phanta¬
stischen Willkür, mit der man sich innerhalb enger, zum Theil mit der¬
selben Willkür gezogener Grenzen bewegte und in der Bedeutung, die
man in Formen und Aeußerlichkeiten, die an sich nichtig waren, hinein¬
legte. Es war eine Poesie des Scheines, deren bunter Schimmer viel
Gemeinheit, Rohheit und Selbstsucht überdeckte und verbarg. Ebenso
war die vielgepriesene akademische Freiheit eine unwahre; sie war Frei¬
heit nur im Gegensatz gegen das Volksleben, dem die Büreaukratie
jede Selbstbeivegung und Selbstgestaltung entzogen und das sie auf
das baare Brod- und Familieninteresse zurückgedrängt hatte, ferner im
Gegensatze gegen die pedantische Schulzucht, die noch den zum Selbst,
gefühl erwachten Jüngling in peinlichen Fesseln hält; endlich in dem durch
die studentische Sitte geheiligten Kriegszustande gegen die Universitäts¬
verwaltung und Polizei. Es war eine Freiheit der Willkür innerhalb
eines eng genug begrenzten Gebietes, einer Willkür, die, weil sie nicht in
die Weite gehen konnte, dadurch gewissermaßen intensiver wurde, mit


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keine mehr sind und zugleich auf der andern Seite Beschränkungen
einschließen, von denen die Bevorzugungen, die in den Augen der Stu¬
denten allmälig ihren Werth verloren haben, weit aufgewogen werden,
streben die Studenten hier und da an. Die Aeltern, die das frühere
Studentenleben durchgemacht haben, schütteln bei diesen Erscheinungen
zum Theil mißvergnügt das einst in Farbenstreifen prangende Haupt
und klagen, daß es so anders, geworden in dieser neuen Zeit und daß
dem Studentenleben die Poesie verloren gegangen sei. Allerdings
hatte das alte Studentenleben etwas Poetisches, wie jedes Leben, das
sich aus einem eigenthümlichen Geiste entwickelt und feste Gestaltung
gewinnt, das die Persönlichkeiten rein und scharf hervortreten läßt und
über die Noth und Arbeit der Existenz hinausgestellt ist. Diese Be¬
dingungen einer poetischen, das heißt frei und eigenthümlich aus sich
entfalteten, leicht mühsam aus roher Massenhaftigkeit herausgearbeiteten
und durch rein materielle Bedürfnisse auseinander und niedergehaltenen
Lebensgestaltung sind für das Studentenleben bleibende, so lange wir
wirkliche Universitäten haben, und es trägt daher auch als ein aufge¬
löstes und auseinandergehendes fortwährend die Möglichkeit in sich,
sich zusammenzufassen und eigenthümlich auszuprägen. Die Poesie
aber des für uns alten, seinem Wesen nach im siebzehnten und acht¬
zehnten Jahrhunderte ausgebildeten Studentenlebens insbesondere, lag
vorzugsweise in dem Gegensatze des kecken und unbesorgten Genusses,
der maßlosen Befriedigung und der abgemessenen, strengen Formen,
durch welche die Befriedigung scheinbar gebunden war, in der phanta¬
stischen Willkür, mit der man sich innerhalb enger, zum Theil mit der¬
selben Willkür gezogener Grenzen bewegte und in der Bedeutung, die
man in Formen und Aeußerlichkeiten, die an sich nichtig waren, hinein¬
legte. Es war eine Poesie des Scheines, deren bunter Schimmer viel
Gemeinheit, Rohheit und Selbstsucht überdeckte und verbarg. Ebenso
war die vielgepriesene akademische Freiheit eine unwahre; sie war Frei¬
heit nur im Gegensatz gegen das Volksleben, dem die Büreaukratie
jede Selbstbeivegung und Selbstgestaltung entzogen und das sie auf
das baare Brod- und Familieninteresse zurückgedrängt hatte, ferner im
Gegensatze gegen die pedantische Schulzucht, die noch den zum Selbst,
gefühl erwachten Jüngling in peinlichen Fesseln hält; endlich in dem durch
die studentische Sitte geheiligten Kriegszustande gegen die Universitäts¬
verwaltung und Polizei. Es war eine Freiheit der Willkür innerhalb
eines eng genug begrenzten Gebietes, einer Willkür, die, weil sie nicht in
die Weite gehen konnte, dadurch gewissermaßen intensiver wurde, mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/539>, abgerufen am 16.01.2025.