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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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außen abschlossen und in die es eine weit über ihren eigentlichen Gehalt
hinausreichende, phantastisch aufgetriebene Bedeutung hineinlegte, fand,
und auf die "Philister" mit ihrer egoistischen Aengstlichkeit und ihrem
prosaischen Lebensinhalt in ungeheuchelter Verachtung herabsah. Diese
burschikosen Zeiten sind offenbar vorüber, das Bürgerthum hat sich zu
einer ungewöhnlichen Bedeutung und Geltung entwickelt, und wie der
Ständeunterschied sich überhaupt immer entschiedener ausgleicht, so ver¬
liert auch das Studentenleben seine absonderlichen und absondernden
Formen. Die Studenten unterscheiden sich immer weniger von andern
gebildeten Leuten ihres Alters, die ihrerseits Manches, was sonst dem
Studentenleben eigenthümlich war, angenommen haben, und diese Aus¬
gleichung, die sich ohne alles Zuthun von selbst macht, und selbst die¬
jenigen unter den Studenten, die das alte Studentenwesen festhalten
möchten, ergreift, wird von einer nicht schwachen studentischen Partei
ausdrücklich als Ziel hingestellt und verfolgt. Die alten, übermüthig
leichtsinnigen und burschikos stolzen Lieder klingen wie aus einer andern
Zeit herein und haben nur noch einen historischen Sinn; die ererbten
feierlichen Ceremonien stechen, wie mit ihrer Gravität und ihremPathos,
so mit ihrer in's Kleinliche gehenden Förmlichkeit gegen die bestehende
Sitte und Geselligkeit sonderbar ab. Die Abnahme des Duells, das
als feststehende studentische Sitte die Studenten nach außen und innen
zusammenhielt, sie als einen außer den gemeinen Rechtsverhältnissen
stehenden Stand charakterisirte und ihrem Leben ein mannichfach spannendes,
in doppeltem Sinne Persönlichkeiten entwickelndes Interesse lieh, macht
reißende Fortschritte, und die Antiduellisten, die noch vor kurzer Zeit
nur vereinzelt und zufällig an den Tag kamen und die Paria'S des
Studentenlebens waren, treten jetzt, zum Theil vereinigt, keck und offen
auf. Selbst von den Duellfreunden, mögen sie im Duell eine persön¬
liche Befriedigung suchen und finden oder dasselbe wenigstens so lange,
als das Studentenleben noch kein durchaus öffentliches und durch sich
selbst rechtlich geordnetes ist, für eine Nothwendigkeit halten, sind sehr
Viele gegen den Duellzwang und wollen das Duell dem freien Ueber¬
einkommen und der auf dieses drängenden öffentlichen Meinung, die
sie dem Duelle im Allgemeinen noch günstig voraussetzen, überlassen.
Daß aber mit dem Aufhören des Duellzwangs das Duell seine studen¬
tische Bedeutung verliert, oder aus dem Studentenleben als solchem,
für das es ein wichtiges Ferment war, hinausgeschoben wird, ist durch
sich klar. Auch gegen ihre rechtlich begründete Absonderung, ihre so¬
genannten Privilegien, die dein gegenwärtigen studentischen Bewußtsein


außen abschlossen und in die es eine weit über ihren eigentlichen Gehalt
hinausreichende, phantastisch aufgetriebene Bedeutung hineinlegte, fand,
und auf die „Philister" mit ihrer egoistischen Aengstlichkeit und ihrem
prosaischen Lebensinhalt in ungeheuchelter Verachtung herabsah. Diese
burschikosen Zeiten sind offenbar vorüber, das Bürgerthum hat sich zu
einer ungewöhnlichen Bedeutung und Geltung entwickelt, und wie der
Ständeunterschied sich überhaupt immer entschiedener ausgleicht, so ver¬
liert auch das Studentenleben seine absonderlichen und absondernden
Formen. Die Studenten unterscheiden sich immer weniger von andern
gebildeten Leuten ihres Alters, die ihrerseits Manches, was sonst dem
Studentenleben eigenthümlich war, angenommen haben, und diese Aus¬
gleichung, die sich ohne alles Zuthun von selbst macht, und selbst die¬
jenigen unter den Studenten, die das alte Studentenwesen festhalten
möchten, ergreift, wird von einer nicht schwachen studentischen Partei
ausdrücklich als Ziel hingestellt und verfolgt. Die alten, übermüthig
leichtsinnigen und burschikos stolzen Lieder klingen wie aus einer andern
Zeit herein und haben nur noch einen historischen Sinn; die ererbten
feierlichen Ceremonien stechen, wie mit ihrer Gravität und ihremPathos,
so mit ihrer in's Kleinliche gehenden Förmlichkeit gegen die bestehende
Sitte und Geselligkeit sonderbar ab. Die Abnahme des Duells, das
als feststehende studentische Sitte die Studenten nach außen und innen
zusammenhielt, sie als einen außer den gemeinen Rechtsverhältnissen
stehenden Stand charakterisirte und ihrem Leben ein mannichfach spannendes,
in doppeltem Sinne Persönlichkeiten entwickelndes Interesse lieh, macht
reißende Fortschritte, und die Antiduellisten, die noch vor kurzer Zeit
nur vereinzelt und zufällig an den Tag kamen und die Paria'S des
Studentenlebens waren, treten jetzt, zum Theil vereinigt, keck und offen
auf. Selbst von den Duellfreunden, mögen sie im Duell eine persön¬
liche Befriedigung suchen und finden oder dasselbe wenigstens so lange,
als das Studentenleben noch kein durchaus öffentliches und durch sich
selbst rechtlich geordnetes ist, für eine Nothwendigkeit halten, sind sehr
Viele gegen den Duellzwang und wollen das Duell dem freien Ueber¬
einkommen und der auf dieses drängenden öffentlichen Meinung, die
sie dem Duelle im Allgemeinen noch günstig voraussetzen, überlassen.
Daß aber mit dem Aufhören des Duellzwangs das Duell seine studen¬
tische Bedeutung verliert, oder aus dem Studentenleben als solchem,
für das es ein wichtiges Ferment war, hinausgeschoben wird, ist durch
sich klar. Auch gegen ihre rechtlich begründete Absonderung, ihre so¬
genannten Privilegien, die dein gegenwärtigen studentischen Bewußtsein


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[0538] außen abschlossen und in die es eine weit über ihren eigentlichen Gehalt hinausreichende, phantastisch aufgetriebene Bedeutung hineinlegte, fand, und auf die „Philister" mit ihrer egoistischen Aengstlichkeit und ihrem prosaischen Lebensinhalt in ungeheuchelter Verachtung herabsah. Diese burschikosen Zeiten sind offenbar vorüber, das Bürgerthum hat sich zu einer ungewöhnlichen Bedeutung und Geltung entwickelt, und wie der Ständeunterschied sich überhaupt immer entschiedener ausgleicht, so ver¬ liert auch das Studentenleben seine absonderlichen und absondernden Formen. Die Studenten unterscheiden sich immer weniger von andern gebildeten Leuten ihres Alters, die ihrerseits Manches, was sonst dem Studentenleben eigenthümlich war, angenommen haben, und diese Aus¬ gleichung, die sich ohne alles Zuthun von selbst macht, und selbst die¬ jenigen unter den Studenten, die das alte Studentenwesen festhalten möchten, ergreift, wird von einer nicht schwachen studentischen Partei ausdrücklich als Ziel hingestellt und verfolgt. Die alten, übermüthig leichtsinnigen und burschikos stolzen Lieder klingen wie aus einer andern Zeit herein und haben nur noch einen historischen Sinn; die ererbten feierlichen Ceremonien stechen, wie mit ihrer Gravität und ihremPathos, so mit ihrer in's Kleinliche gehenden Förmlichkeit gegen die bestehende Sitte und Geselligkeit sonderbar ab. Die Abnahme des Duells, das als feststehende studentische Sitte die Studenten nach außen und innen zusammenhielt, sie als einen außer den gemeinen Rechtsverhältnissen stehenden Stand charakterisirte und ihrem Leben ein mannichfach spannendes, in doppeltem Sinne Persönlichkeiten entwickelndes Interesse lieh, macht reißende Fortschritte, und die Antiduellisten, die noch vor kurzer Zeit nur vereinzelt und zufällig an den Tag kamen und die Paria'S des Studentenlebens waren, treten jetzt, zum Theil vereinigt, keck und offen auf. Selbst von den Duellfreunden, mögen sie im Duell eine persön¬ liche Befriedigung suchen und finden oder dasselbe wenigstens so lange, als das Studentenleben noch kein durchaus öffentliches und durch sich selbst rechtlich geordnetes ist, für eine Nothwendigkeit halten, sind sehr Viele gegen den Duellzwang und wollen das Duell dem freien Ueber¬ einkommen und der auf dieses drängenden öffentlichen Meinung, die sie dem Duelle im Allgemeinen noch günstig voraussetzen, überlassen. Daß aber mit dem Aufhören des Duellzwangs das Duell seine studen¬ tische Bedeutung verliert, oder aus dem Studentenleben als solchem, für das es ein wichtiges Ferment war, hinausgeschoben wird, ist durch sich klar. Auch gegen ihre rechtlich begründete Absonderung, ihre so¬ genannten Privilegien, die dein gegenwärtigen studentischen Bewußtsein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/538>, abgerufen am 03.07.2024.