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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band.

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vor ihm. Trotz 'aller seiner Keckheit machte dieses urplötzliche Erscheinen
einen Eindruck auf Hugo, als hätte er das Haupt der Gorgone erblickt.

Und in der That war dieser Eindruck ein leicht erklärlicher, wenn
man einerseits das böse Gewissen des Neffen und andrerseits die Per¬
sönlichkeit seines Onkels in Betracht zog. Letzterer war eine große,
imponirende Gestalt mit schönem, aber stark gebräuntem und zer¬
furchtem Gesichte, und einer Körperhaltung, der man den alten Sol¬
daten sogleich ansah. Dabei war er ernst, kalt und wortkarg und
wenn er es wollte, von beißendem Sarkasmus. Hugo fürchtete nun,
sein ganzes Sündenregister hergezählt zu bekommen: die durchlöcherte
Scheunenwand, die zu Schanden gejagten Pferde, den zerbrochenen
Jagdwagen, die geangelten Goldfische, die gerauchten Havannah-
Cigarren, das gelähmte Hinterbein HectorS und nun noch dazu die
in's Wasser gestürzte Warnungstafel. Ihm graute! Indessen traf
zum großen Erstaunen des jungen Mannes nichts von seinen Befürch¬
tungen ein. Der Onkel war ein viel zu abgeschlossener Charakter, um
über geschehene Dinge Worte zu verlieren. Obgleich er in den we¬
nigen Stunden, die er wieder auf seiner Fabrik zugebracht hatte, alle
die sauberen Streiche seines Herrn Neffen erfahren hatte, so erwähnte
er doch derselben mit keiner Sylbe. Er betrachtete nur mit einem
langen prüfenden Blicke die abgejagten und gemagerten Thiere, die er
so feurig und wohlgenährt verlassen hatte, dann sagte er ruhig zu
Johann: Du brauchst nicht erst aufzuspannen.

Hugo harrte der Dinge, die da kommen sollten.

Hast Du noch Geld? war die erste Frage, die sein Onkel an
ihn richtete. Hugo besaß noch ein paar Gulden Münze, fand es aber
unter obwaltenden Umständen für passend, diese Frage verneinend zu
beantworten, denn er ahnte schon dunkel das Nachfolgende, und zog
es vor, die Rückreise auf Kosten seines Onkels zu unternehmen, sehr
vorsichtig berechnend, daß er das Geld auch in der Residenz noch ge¬
brauchen können werde. Der Onkel zog seine Börse.

So, sagte er, soviel kostet die zweite Classe der Eisenbahn von
Neustadt nach Wien. Du kannst gerade noch mit dem letzten Abend¬
zuge abfahren. Johann wird Dich mit meinem Geschirr nach dem
Bahnhofe bringen. Dein Gepäck werde ich Dir nachschicken. Aber
merke Dir Eines, Hugo: Du hast meine Güte mißbraucht, darum
hüte Dich, je in Deinem Leben Deinen Fuß auch nur Ein einziges
Mal wieder in meine Fabrik zu setzen. Damit wandte der Onkel
seinem Neffen den Rücken und ging wieder in seine Wohnung hinauf.


vor ihm. Trotz 'aller seiner Keckheit machte dieses urplötzliche Erscheinen
einen Eindruck auf Hugo, als hätte er das Haupt der Gorgone erblickt.

Und in der That war dieser Eindruck ein leicht erklärlicher, wenn
man einerseits das böse Gewissen des Neffen und andrerseits die Per¬
sönlichkeit seines Onkels in Betracht zog. Letzterer war eine große,
imponirende Gestalt mit schönem, aber stark gebräuntem und zer¬
furchtem Gesichte, und einer Körperhaltung, der man den alten Sol¬
daten sogleich ansah. Dabei war er ernst, kalt und wortkarg und
wenn er es wollte, von beißendem Sarkasmus. Hugo fürchtete nun,
sein ganzes Sündenregister hergezählt zu bekommen: die durchlöcherte
Scheunenwand, die zu Schanden gejagten Pferde, den zerbrochenen
Jagdwagen, die geangelten Goldfische, die gerauchten Havannah-
Cigarren, das gelähmte Hinterbein HectorS und nun noch dazu die
in's Wasser gestürzte Warnungstafel. Ihm graute! Indessen traf
zum großen Erstaunen des jungen Mannes nichts von seinen Befürch¬
tungen ein. Der Onkel war ein viel zu abgeschlossener Charakter, um
über geschehene Dinge Worte zu verlieren. Obgleich er in den we¬
nigen Stunden, die er wieder auf seiner Fabrik zugebracht hatte, alle
die sauberen Streiche seines Herrn Neffen erfahren hatte, so erwähnte
er doch derselben mit keiner Sylbe. Er betrachtete nur mit einem
langen prüfenden Blicke die abgejagten und gemagerten Thiere, die er
so feurig und wohlgenährt verlassen hatte, dann sagte er ruhig zu
Johann: Du brauchst nicht erst aufzuspannen.

Hugo harrte der Dinge, die da kommen sollten.

Hast Du noch Geld? war die erste Frage, die sein Onkel an
ihn richtete. Hugo besaß noch ein paar Gulden Münze, fand es aber
unter obwaltenden Umständen für passend, diese Frage verneinend zu
beantworten, denn er ahnte schon dunkel das Nachfolgende, und zog
es vor, die Rückreise auf Kosten seines Onkels zu unternehmen, sehr
vorsichtig berechnend, daß er das Geld auch in der Residenz noch ge¬
brauchen können werde. Der Onkel zog seine Börse.

So, sagte er, soviel kostet die zweite Classe der Eisenbahn von
Neustadt nach Wien. Du kannst gerade noch mit dem letzten Abend¬
zuge abfahren. Johann wird Dich mit meinem Geschirr nach dem
Bahnhofe bringen. Dein Gepäck werde ich Dir nachschicken. Aber
merke Dir Eines, Hugo: Du hast meine Güte mißbraucht, darum
hüte Dich, je in Deinem Leben Deinen Fuß auch nur Ein einziges
Mal wieder in meine Fabrik zu setzen. Damit wandte der Onkel
seinem Neffen den Rücken und ging wieder in seine Wohnung hinauf.


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[0524] vor ihm. Trotz 'aller seiner Keckheit machte dieses urplötzliche Erscheinen einen Eindruck auf Hugo, als hätte er das Haupt der Gorgone erblickt. Und in der That war dieser Eindruck ein leicht erklärlicher, wenn man einerseits das böse Gewissen des Neffen und andrerseits die Per¬ sönlichkeit seines Onkels in Betracht zog. Letzterer war eine große, imponirende Gestalt mit schönem, aber stark gebräuntem und zer¬ furchtem Gesichte, und einer Körperhaltung, der man den alten Sol¬ daten sogleich ansah. Dabei war er ernst, kalt und wortkarg und wenn er es wollte, von beißendem Sarkasmus. Hugo fürchtete nun, sein ganzes Sündenregister hergezählt zu bekommen: die durchlöcherte Scheunenwand, die zu Schanden gejagten Pferde, den zerbrochenen Jagdwagen, die geangelten Goldfische, die gerauchten Havannah- Cigarren, das gelähmte Hinterbein HectorS und nun noch dazu die in's Wasser gestürzte Warnungstafel. Ihm graute! Indessen traf zum großen Erstaunen des jungen Mannes nichts von seinen Befürch¬ tungen ein. Der Onkel war ein viel zu abgeschlossener Charakter, um über geschehene Dinge Worte zu verlieren. Obgleich er in den we¬ nigen Stunden, die er wieder auf seiner Fabrik zugebracht hatte, alle die sauberen Streiche seines Herrn Neffen erfahren hatte, so erwähnte er doch derselben mit keiner Sylbe. Er betrachtete nur mit einem langen prüfenden Blicke die abgejagten und gemagerten Thiere, die er so feurig und wohlgenährt verlassen hatte, dann sagte er ruhig zu Johann: Du brauchst nicht erst aufzuspannen. Hugo harrte der Dinge, die da kommen sollten. Hast Du noch Geld? war die erste Frage, die sein Onkel an ihn richtete. Hugo besaß noch ein paar Gulden Münze, fand es aber unter obwaltenden Umständen für passend, diese Frage verneinend zu beantworten, denn er ahnte schon dunkel das Nachfolgende, und zog es vor, die Rückreise auf Kosten seines Onkels zu unternehmen, sehr vorsichtig berechnend, daß er das Geld auch in der Residenz noch ge¬ brauchen können werde. Der Onkel zog seine Börse. So, sagte er, soviel kostet die zweite Classe der Eisenbahn von Neustadt nach Wien. Du kannst gerade noch mit dem letzten Abend¬ zuge abfahren. Johann wird Dich mit meinem Geschirr nach dem Bahnhofe bringen. Dein Gepäck werde ich Dir nachschicken. Aber merke Dir Eines, Hugo: Du hast meine Güte mißbraucht, darum hüte Dich, je in Deinem Leben Deinen Fuß auch nur Ein einziges Mal wieder in meine Fabrik zu setzen. Damit wandte der Onkel seinem Neffen den Rücken und ging wieder in seine Wohnung hinauf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365123/524>, abgerufen am 26.08.2024.